Heiliger Krieg: Rechtsextremer Kulturkampf torpediert die Kunstfreiheit

Aachen. Ein rechter Kulturkampf ausgerechnet in Aachen? Im Jahr 2017 schrieb der damalige Vorsitzende des AfD-Verbandes Aachen äußerst provokante Mails an seinen ehemaligen Mitstreiter und Regisseur Reza Jafari sowie an weitere Mitwirkende des „chaOSTheaters“. Der AfD-Funktionär forderte Jafari auf, eine bestimmte „Passage“ aus dem Stück „Heiliger Krieg“ komplett zu „streichen“. Im Stück ging es um radikale Islamist*innen und in der Passage um die Gemeinsamkeiten von diesen und Rechten. Der AfD-Mann setzte eine Frist und drohte „mit juristischen Mitteln gegen Deine hetzerische, beleidigende und verleumderische Aussage“.
Seit einigen Jahren häufen sich rechte Angriffe auf Kunst, Künstler*innen und Kultur(einrichtungen). Der Journalist Peter Laudenbach stellt in seinem wichtigen Buch „Volkstheater – Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit“ Beispiele vor. Eines davon ist der Kampf des AfD-Mannes gegen das ambitionierte und renommierte Amateurtheater in Aachen, das zugleich ein soziales Projekt darstellt, Laien einbindet und an die Kunst heranführen will. Während die AfD bei den Angriffen wie ein parlamentarischer Arm agiert, gehen radikalere Aktivist*innen offensiv und militant vor.
Laudenbach widmet sich diesem rechten bis rechtsextremen Kulturkampf in Deutschland. Als Kulturjournalist, Theaterkritiker und Autor von Interviewbüchern mit Künstler*innen gehört er im Sinne der rechten bis rechtsextremen Einheiten aber wohl auch als Komplize zum Kulturbetrieb. Seit Jahren klärt der Autor über den rechten, rechtsradikalen bis offen rechtsextremen „Krieg“ auf. Einen solchen hatte beispielsweise der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider Ende 2020 in einer Landtagsrede dem „linksliberalen Kulturestablishment“ angekündigt
Rechte Kreise und Parteien ziehen dabei längst auf allen ihnen möglichen und unmöglichen Ebenen in die Schlacht. Die brachiale und laute Empörungswelle kann dabei ebenso hilfreich sein wie der eher schleichend wirkende Mikroprozess. Das Waffenarsenal reicht von parlamentarischen Handlungsoptionen über anvisierte Budgetkürzungen bei Theatern oder geförderten Künstlern. Es geht um „Outings“, um virtuelle Hetzkampagnen und zunehmend auch um Gewalttaten, Brandanschläge und Bombendrohungen. Der als „undeutsch“ und „degeneriert“ empfundene Kulturbetrieb soll gestört werden.
Die heterogene Einheitsfront aus AfD, neurechten Aktivist*innen und Straßenfaschist*innen agiert mittlerweile bundesweit. Einen Überblick über die bisherigen Nadelstiche und den Brachialaktionismus hat Laudenbach in seinem Buch zusammengestellt. Er beginnt mit der Kofferbombenattrappe, die die späteren NSU-Terrorist*innen 1997 vor dem Jenaer Theater deponierten. Vor allem aber dröselt er das Crossover von parlamentarischem Arm und Militanz im vorpolitischen Raum auf. Es gehe nicht um Kunstkritik, attestiert Laudenbach, sondern um „Akte symbolischer Gewalt“, die – siehe NSU – in Bluttaten münden könnten.
Mit massiven Störaktionen und Schlägereien in Filmtheatern torpedierte Ende 1930 bereits die SA die Vorführungen des Antikriegsfilms „Im Westen nichts Neues“. Allein in Berlin sprengten rund 150 SA-Männer um Joseph Goebbels eine Vorführung. Goebbels bezeichnete den Film als „Sudelwerk“ und den Autor der Romanvorlage, Erich Maria Remarque, als „Lackaffen“. Schließlich verbot die Film-Oberprüfstelle weitere Aufführungen. Goebbels fand es großartig, dass der „Filmsieg“ zudem eine Bürgerkriegsstimmung angeheizt habe.
Laudenbach zitiert in seinem Buch den Soziologen Wilhelm Heitmeyer, um eine relevante Manövertaktik im Kulturkrieg zu umschreiben. Unterschiedliche Akteure mit verschiedenen Waffensystemen „verschaffen einander den Eindruck von Legitimation. Diese Legitimationsbrücken tragen zur Verschärfung der Eskalation bei.“ Weniger intellektuell ausgedrückt: Militante Rechtsextremist*innen, Hetz-Blogs der Szene, die auf Facebook pöbelnde Hausfrau oder Großmutter und die Nadelstreifen-Anzugträger in den Parlamenten schaukeln sich gegenseitig hoch. Sie radikalisieren sich, sind kommunizierende Röhren.
Massive Drohungen und Verleumdungen bis hin zu Bombendrohungen, Gewalttaten und Brandanschlägen dienen zudem dazu, die Gesellschaft und die Demokratie zu destabilisieren. Laudenbach stellt fest, dass der Kulturbetrieb und die Kunstinstitutionen, die oft etwas elitär und abgehoben, verschroben und schräg wirken, dabei nur eine „Stellvertreterfunktion“ einnehmen. „Sie symbolisieren die Verkommenheit des Systems, des Establishments, der politischen Klasse“.
Der Kulturkampf in Aachen war etwas tiefergehender als im Buch skizziert. Der AfD-Funktionär lag auch mit dem „chaOSTheater“ und der OT Josefshaus im Clinch, weil er dort zuvor als Mitarbeiter und Bühnenbauer tätig war. Nachdem er sich der AfD zugewandt hatte und deren Ortschef geworden war, eskalierte der Streit. Die private Fehde und die vermeintliche Macht des Parteiamtes vermischten sich. 2018 verließ der Mann dann überraschend die Region und wurde 2021 in Brandenburg in anderer Sache wegen Volksverhetzung und Beleidigung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. (mik)