Wahl zum Städteregionsrat: Die fast unsichtbare AfD

Städteregion. An diesem Wochenende kam es zur Stichwahl bei der Wahl zum neuen Städteregionsrat, die Tim Grüttemeier (CDU) mit 52,59 Prozent gegen Daniela Jansen (SPD, 47,41 Prozent) für sich entschied. Und obschon der Kandidat der „Alternative für Deutschland“ (AfD), Markus Matzerath (Alsdorf), vor Wochen in den Medien noch mit den Worten wiedergegeben wurde, er könne sich eine Teilnahme bei der Stichwahl vorstellen zu erreichen, fiel die Entscheidung erwartungsgemäß ohne ihn. Matzerath hatte im ersten Wahlgang am 4. November trotz niedriger Wahlbeteiligung nur 6,84 Prozent der Stimmen geholt.

Die Gründe für das schwache Ergebnis sind simpel: Die anderen Kandidaten nahmen an Podiumsdiskussionen teil; sie hielten gut beworbene Wahlkampfabende etwa in Gaststätten ab und stellten sich den Fragen der Bürger. Sie und ihre Parteien waren mit unzähligen Infoständen, Verteilaktionen und Plakaten in der Öffentlichkeit und medial präsent. Demgegenüber war die AfD im Bereich der Städteregion weder logistisch noch finanziell oder gar personell in der Lage, den nötigen Wahlkampf zu führen und blieb oft unsichtbar. Das bescheidene Resultat bei zudem niedriger Wahlbeteiligung nannte der Bundespolizist Matzerath dennoch ein „beachtliches Ergebnis“.

Das Vage und Widersprüchliche als Programm

Tatsächlich war im Wahlkampf deutlich geworden, dass die sonst um keine populistische Überhöhung verlegene AfD, deren Anhänger sich zuweilen schon kurz vor der Machtübernahme wähnen und meinen für ein ganzes Volk sprechen zu können, in der Fläche der Städteregion nicht aktionsfähig ist. Ohne Hilfe von Außen konnte man fast keinen Wahlkampf führen. Dabei wurde der AfD-Kandidat nach eigenen Angaben sogar von Abgeordneten aus dem Bundes- oder Landtag bzw. deren Mitarbeiter sowie weiteren Parteifunktionären aus NRW unterstützt.

Jene Unterstützer und Helfer reichten vom sich moderat gebenden Flügel bis hin zum äußerst rechten Parteirand. Der Bundespolizist trat denn auch mit einem Sammelsurium von Themen in Erscheinung, die von alldem etwas anboten und zum Teil über das Vage und Widersprüchliche nicht hinaus kamen. Anders als seine Mitbewerber schien Matzerath auch kaum Kenntnis über die Städteregion und den komplizierten Verwaltungsapparat zu haben, obschon er immerhin als Chef genau jener Verwaltung gewählt werden wollte. In einem Videointerview nannte er als eine Stärke der Städteregion die Vulkaneifel in Rheinland-Pfalz; im Zuge der Debatte um den Hambacher Forst und RWE wollte er Arbeitsplätze in den Kreisen Heinsberg, Düren und Rhein-Erft retten; anfangs schrieb er auf seiner Facebook-Seite noch, für das Amt des Landrats kandidieren zu wollen, welches es in der Städteregion allerdings seit fast 10 Jahren nicht mehr gibt. Zugleich wollte er ziemlich genau wissen, dass in der Städteregion 5.000 abgelehnte Asylbewerber lebten. Tatsächlich waren es zu dem Zeitpunkt rund 2.900 Geduldete.

Bundesweit segelt die AfD auf einer Art Erfolgswelle. In der Städteregion holte die Partei bei der letzten Bundestagswahl zwar kein herausragendes Ergebnis im Vergleich zum Bundes- oder Landesdurchschnitt, trotzdem blieb Matzerath als AfD-Kandidat für das Amt des Städteregionsrates sogar noch hinter dem Ergebnis von Herbst 2017 zurück. Am Abend des ersten Wahlgangs Anfang November war denn auch klar: die 6,84 Prozentsäule in der Projektion zum vorläufigen Endergebnis im Mediensaal des Städteregionshauses schlüsselt sich in mageren 10.622 Wählerinnen und Wähler auf. Wie bei der letzten Landtags- und Bundestagswahl blieb die rechtspopulistische Partei in Aachen, Monschau, Roetgen und Simmerath im unteren Bereich. Alsdorf (13,74 Prozent) und Eschweiler (10,63 Prozent) waren wie zuvor schon die Hotspots.

Alsdorfs Stammwähler mobilisiert

Die Lokalpresse wies in einem Bericht darauf hin, dass die AfD stark in den früher „als Rot geltenden Städten Alsdorf und Eschweiler“ abgeschnitten hat. Das dürfte indes nur bedingt zutreffen, denn bei der Bundestagswahl 2017 schnitt die AfD in Eschweiler besonders dort gut ab, wo die CDU Verluste verzeichnete. Tatsächlich ist auch die Zustimmung für rechte Parteien in Alsdorf schon seit vielen Jahren hoch, die rechtsradikalen „Republikaner“ holten hier schon seit Ende der 1980er Jahre überdurchschnittlich hohe Wahlergebnisse und saßen mit bis zu drei Vertretern im Stadtrat. Bürgermeister Alfred Sonders (SPD) bewertete gegenüber der Lokalpresse die hohen AfD-Ergebnisse in bestimmten Bezirken anhand der effektiven Zahlen und der Wahlbeteiligung. Sonders kam zu dem Schluss: dort, wo die AfD in Alsdorf besonders gut abgeschnitten hat, sei wohl die komplette Stammwählerschaft der rechten Partei an die Wahlurne gepilgert.

Der Ex-Sozialdemokrat, AfD-Kandidat und Bundespolizist Matzerath sitzt in seiner Heimatstadt Alsdorf im Stadtrat. In seinem Wahlkampf in Aachen traten auch der völkisch-nationalistische Parteiflügel und ehemalige „Pro NRW“-Mitglieder in Erscheinung. Matzerath hat im Alsdorfer Stadtrat vor Monaten schon mit einem ehemaligen Vertreter der rechtsradikalen „Republikaner“ (REP) die Fraktion „Bürger für Alsdorf“ (BfA) gegründet. Der Bundespolizist fungiert zudem als stellvertretender Sprecher des AfD-Verbandes in der Städteregion. Anfang 2018 hat jener Verband in Herzogenrath-Kohlscheid einen Vortrag mit Alexander Markovics aus Wien zum Thema „Die Neue Rechte – ein Ausblick auf Europas geistige Zukunft“ veranstaltet. Der Referent hatte über Jahre enge Bezüge zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB).

Trotz dieser Nähe der regionalen AfD zu Parteien und Gruppierungen vom rechten Rand, die teilweise durch die Verfassungsschutzämter beobachtet werden, wich Matzerath gegenüber der Lokalpresse der Frage nach dem Rechtsextremismus in der AfD aus. Mit dem für einen Polizisten erstaunlich prähistorischen Klischeebild wiegelte er ab, denn in seinem parteinahen Kreis kenne er niemanden, „der mit Springerstiefeln rumläuft“. Ähnlich entrückt bis naiv wirkte manche Aussage in einem Radiointerview, als er sagte, als Städteregionsrat wolle er nicht als AfD-Politiker aktiv sein, sondern für alle „Bürger“ da sein. Seine Partei setze auch nicht auf Ausgrenzung behauptete Matzerath entgegen der Realität und allen Metamorphosen hin zur heutigen Rechtsaußenradikalität der AfD.

Ein Dialog findet nicht statt

Für seine eigene Ausgrenzung sorgte Matzerath im Wahlkampf selbst. Wie schon bei der Bundestagswahl 2017, als er als Direktkandidat fungierte, besuchte Matzerath in diesem Wahlkampf nur eine der Podiumsdiskussionen, um sich der politischen Debatte mit den Mitbewerbern zu stellen. Gleichwohl verbreitete er Opfergeschichten, denen zufolge er zu solchen Debatten nicht eingeladen werde. Dass er selbst Einladungen unbeantwortet ließ, diese absagte oder noch vor Ort kurzfristig wieder ausschlug, in zwei Fällen mit fadenscheinigen Begründungen wieder fortging, blieb in seiner Eigen-PR oft unerwähnt oder wurde nur sehr verzerrt dargestellt.

Manche seiner Fans und Parteifreunde glauben daher wohl bis heute in ihren Filterblasen und Echokammern, die anderen Kandidaten oder Veranstalter von Podiumsdiskussionen hätten undemokratisch gehandelt und seien zu feige und dumm gewesen, um sich überhaupt mit Matzerath messen zu können. Tatsächlich deutet vieles genau auf das Gegenteil hin: Der Bundespolizist ist nicht sonderlich wortgewandt, ihm fehlte es an Wissen über die Städteregion, über das angestrebte Amt sowie die Verwaltungsstrukturen. Auch wurde er etwa auf kritische Nachfragen in Interviews hin nervös. Im Gesamtbild also alles Zeichen für die Schwäche der AfD in der Region.

Die Parteiverbände Aachen-Stadt und Städteregion hoben schlicht einen Kandidaten auf den Schild, der dem politischen Wettstreit und Wahlkampf nicht bzw. kaum gewachsen war. Während die Stammwähler in Alsdorf und Eschweiler ihn wählten, stimmten möglicherweise Stamm- und Protestwähler in anderen Städten, Gemeinden und Wahlbezirken teilweise noch nicht mal für diesen Kandidaten um den „Etablierten“ zumindest einen Denkzettel zu verpassen. So betrachtet wäre dem Bundespolizisten Matzerath sogar zuzustimmen. Ein „beachtliches Ergebnis“ – trotz minimalistischem Einsatz. (mik)