Regionale Radikalisierung: Gegner der Schutzmaßnahmen wähnen sich im Kampf gegen die „Corona-Diktatur“

Region Aachen. Ende August erinnerte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Sommerpressekonferenz daran, dass die Corona-Pandemie das gesamte Leben dramatisch verändert habe. Seinerzeit stiegen die Infektionszahlen noch nicht so stark an wie heute. „Das Virus ist eine demokratische Zumutung“, erklärte die Kanzlerin. Während aber die breite Gesellschaft bemüht ist, sich solidarisch zu verhalten, agiert eine Minderheit von „Corona Rebellen“ und „Querdenkern“ immer radikaler. Längst ist auch in der Region das aus den unterschiedlichen rechten Szenen her bekannte „Merkel muss weg!“ inhaltlich umgewandelt geworden, allerdings soll die Kanzlerin nun nicht wegen ihrer Flüchtlingspolitik, sondern wegen der Schutzmaßnahmen „weg“.

Unsere Analyse Antisemitismus und Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zeigte zwar offen antisemitische oder antisemitisch konnotierte Vorfällen im Zuge der regionalen Proteste. Eine generelle und wachsende Demokratiefeindlichkeit in den „Bewegungen“ bildete unser Text aber nicht ab. Und längst treten auch in der Region Protagonist/innen aus dem rechten Lager – zuweilen prägend – in Erscheinung. Neu sind rechte Vorfälle oder Aktivitäten gleichwohl nicht, auch wenn in Aachen-Stadt die Proteste heterogener als in vielen anderen Städten begannen.

Am rechten Rand brennt weiter Licht…

Abgesehen von einer Kundgebung der AfD im Mai waren die andauernden größeren Proteste in Aachen zuerst aus dem eher linken, friedensbewegten (und Querfront-offenen) Spektrum organisiert worden. Gleichwohl nahmen an den Protesten zuweilen Personen aus dem rechten, rechtsesoterischen und antisemitischen Spektrum oder der „Reichsbürger“-Szene teil. An einer nicht genehmigten Versammlung am 9. Mai 2020 nahmen z.B. auch Rechte und QAnon-Gläubige – darunter auch Migrant/innen – teil. Eine regulär genehmigte Mahnwache der „Seebrücke“ wurde dabei massiv bedrängt und musste sich zurückziehen.

Nach Umstrukturierungen wurden ab Spätsommer 2020 auch Personen und „Corona Rebellen“ aus dem rechten bzw. rechtsoffenen Spektrum aktiver. Waren die ersten Proteste in Aachen noch von dem Verschwörungsideologen Ansgar K. aus Würselen initiiert worden und auch Mitglieder und Politiker/innen von Die Linke aktiv, firmierte später das heterogene verschwörungsideologische Bündnis „Aachener für eine menschliche Zukunft“ als Organisator. Unterdessen ist an dessen Stelle ein Ableger des bundesweiten Netzwerkes „Querdenken“ mit dem Zusatz „241“ für Aachen geworden. Personen wurden aktiv(er), die neben Verschwörungsmythen rechte Inhalte vertreten oder Geschichte und Politikgeschehen im rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Sinne umdeuten wollen.

Eine radikale Impfgegnerin behauptete kürzlich in einer internen Debatte in einem Chat der Szene, dass die Corona-Maßnahmen viel schlimmer seien als der Massenmord an Juden durch die Nationalsozialisten. In einer anderen Diskussion wurden Demokratie, Politik und Behörden von Teilnehmer/innen diffamiert, u.a. weil angesichts einer Maskenpflicht an Schulen Lehrer/innen mit Aufseher/innen in NS-Konzentrationslagern gleichgesetzt wurden. Aktivist/innen setzten zudem Kanzlerin Merkel mit einer Diktatorin gleich, die im Sinne ihrer DDR- und angeblichen Stasi-Biografie Deutschland vernichten wolle.

Kritiker/innen wurden dabei in die Nähe der linken oder antifaschistischen Szene gerückt. Als Sibylle Keupen als parteilose Kandidatin für die Grünen die Wahl zur Oberbürgermeisterin gewann, warnten „Querdenker“ in ihren Chats vor einer grünen Diktatur. US-Präsident Trump wurde offen verehrt, obschon dieser immer wieder mit anti-demokratischen, sexistischen und rassistischen Aussagen auffiel. Andere „Querdenker“ bezogen sich positiv auf die AfD.

Manches erinnerte dabei eher an das, was die rechtspopulistischen bis rechtsextremen Szenen seit Jahren unverdrossen verbreiten: Jener Denkweise nach sei die liberale Demokratie Faschismus, Diktatur und ein Unrechtsregime, man selbst kämpfe jedoch für die Freiheit. Im Endeffekt ist das eine ähnliche Strategie, mit der die Nationalsozialisten seinerzeit ihre Machtübernahme und letztlich die NS-Diktatur vorbereiteten. Sie diffamierten die Weimarer Republik als Diktatur, die unter dem „Joch der Judenheit“ stehe. Zugleich logen sich Hitler, Goebbels und die NS-Bewegung zu „Freiheitskämpfern“ um.

Wiederholt kam es daher in Chats der regionalen Szene zu Aufrufen und Debatten darüber, endlich Widerstand gegen die „Corona Diktatur“ zu leisten. Diese Chats haben zwischen rund 35 (Geilenkirchen, bei rund 28.000 Einwohnern), 100 (Kreis Düren, bei rund 260.00 Einwohnern) bis 250 (Städteregion Aachen, bei rund 550.000 Einwohnern) Mitglieder aus der „Querdenken“-Szene. Schon anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass hier eine radikale Minderheit von einem Umsturz phantasiert, weil sie sich selbst als Mehrheit empfindet. Der Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, zeigte sich vor Wochen daher besorgt über die Radikalisierung in Chats und Filterblasen der Szene. Corona-Schutzmaßnahmen und Behörden würden als Bedrohung wahrgenommen und so könne „Individual-Terrorismus“ entstehen.

Nach allen Seiten offen

Am 20. Oktober stoppten drei Köpfe der „Querdenken“-Bewegung mit ihrer „Corona-Info-Tour“ in Aachen. Die Aktivisten waren mit einem Bus bundesweit auf Tour und hielten vor dem Tivoli vor rund 200 Anhänger/innen und Zuhörer/innen ihre Reden. Köpfe jener Bustour sind Bodo Schiffmann, Betreiber einer Schwindelambulanz im baden-württembergischen Sinsheim, und Samuel Eckert, ein früherer Laienprediger einer Adventsgemeinde. Begleitet wurden sie beim Stopp in Aachen auch vom Leipziger Anwalt Ralf Ludwig. Alle drei waren zuvor und auch danach durch teils abstruse und radikale Redeinhalte aufgefallen.

Mit ihrem luxuriösen Nightliner waren die Popststars der „Bewegung“ schon am Abend zuvor angereist. Gemeinsam mit Aktivist/innen von „Querdenken 241“ waren Schiffmann, Eckert und Ludwig in einem Restaurant in der Innenstadt eingekehrt, das von einem Migranten betrieben wird. Die Stimmung war ausgelassen, rund zehn örtliche „Querdenker“ pilgerten zu diesem Meet and Greet. An Abstandsregeln und Maskenpflicht verschwendeten die Pandemie-Leugner/innen kaum einen Gedanken.

Tags darauf war die Welt der „Querdenker“ an jenem Dienstag auch in Aachen erneut heterogen bis diffus. Die Besucher/innen der Kundgebung am Tivoli waren aus der gesamten Region, vom Niederrhein, aus dem Ruhrgebiet und dem benachbarten Ausland angereist. Unter den Zuhörer/innen war ein Mitglied der Partei Die Linke, das dem bisherigen Städteregionstag angehört hatte. Linksalternative waren vor Ort, Friedensbewegte, Heilpraktiker/innen, Esoteriker/innen und Impfgegner/innen sowie Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben. Erweckte Christ/innen standen neben Rockern aus dem belgischen Lontzen. Es nahmen Rechtsextremist/innen und überdies AfD-Mitglieder teil, etwa die AfD-Landtagsabgeordnete Iris Dworeck-Danielowski aus Köln.

Und auch wenn sich die „Querdenken“-Bewegung offiziell von Rechtsextremen und „Reichsbürgern“ distanziert, hielt man in Aachen den Mindestabstand zu diesen nicht ein. Im Rahmen der Kundgebung durfte auch Dieter B. aus der Städteregion Aachen neben den Stars der Szene eine Rede halten. B. war bis kurz zuvor noch der Kopf der NRW-Abordnung der rechtsextremen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Splittergruppe „Patriotic Opposition Europe“. Zudem war B. mit dabei, als Ende August „Reichsbürger“ und Rechtsextremist/innen am Rande einer großen „Querdenken“-Demo das Reichstagsgebäude in Berlin respektive dessen Treppe erstürmten.

Streiten, streiten über alles – und das kompromisslos

In der Szene der „Querdenker“ sind auch Menschen aktiv, die zuvor in der linken, Antirassismus-, Friedens- und Antiatomkraft-Bewegung aktiv waren. Andere Aktivist/innen sind streng gläubige Christ/innen. Manche arbeiten in angesehenen Unternehmen – etwa der IT-Branche – und in teils leitender Position, andere sind in der Kranken- und Altenpflege oder im Bildungswesen beschäftigt. Gleichwohl werden unter dem Deckmantel des Fragenstellens dubiose Inhalte verbreitet – und sind sie auch noch so abstrus oder sogar strafrechtlich relevant, so soll aus ihrer Sicht darüber frei und offen diskutiert werden dürfen.

Immer wieder werden Zuhörer/innen bei Kundgebungen darauf hingewiesen, sie sollten und müssten alles hinterfragen, was sie in den folgenden Reden hören würden. Tatsächlich wird jedoch wenig hinterfragt – gleichwohl werden Kritik und kritische Medienberichte verurteilt als Hetze gegen die wirklich „Erwachten“, die nunmehr „hinter die Kulissen blicken“ können. Hier hört das Hinterfragen dann auf und ein klassisches Denkmuster für Verschwörungsgläubige greift. Man selbst sei „erweckt“, Andersdenkende seien jedoch „Schlafschafe“, „Corona-Gläubige“ oder psychisch Erkrankte.

Die angeblich offene Debattenkultur hat also Grenzen, was auch Vorfälle in Aachen belegen. Obschon sich etwa der Vorstand des Aachener Friedenspreises öffentlich von diesen dubiosen Kundgebungen Verschwörungsgläubiger distanzierte, nahmen bis Anfang August zwei Vorstandsmitglieder – zuweilen als Rednerin – daran teil. Der interne Streit eskalierte und die Vorstandsmitglieder traten von ihren Ämtern zurück.

Schon zuvor hatten die seinerzeit noch „Grundrechte“-Demonstrationen genannten Kundgebungen in der linken Szene und in der Friedensbewegung zu Zerwürfnissen geführt. Nachdem auch rechte Teilnehmer/innen die „Seebrücke“-Mahnwache am Elisenbrunnen Ende April aufmischten (s.o.), kam es zu Debatten zwischen Vertreter/innen der Partei Die Linke, die bei der „Seebrücke“ engagiert sind, und solchen, die die „Grundrechte“-Demos unterstützten. Im „Antikriegsbündnis Aachen“ (AKB) kam es zu offenem Streit, weil ein Mitbegründer die „Grundrechte“-Demos unterstützte und mit organisierte. Dessen AKB-Mitstreiter/innen engagieren sich bei der „Seebrücke“ und in antifaschistischen Kreisen, einige davon gehörten zu jenen, die zuvor bedrängt worden waren.

Kurz nach den kritischen Berichten über den Streit im Friedenspreis wurde der Autor dieser Zeilen bei Recherchen während einer „Querdenken“- und „Grundrechte“-Demonstration bedrängt, bedroht und beim Fotografieren mit der eigenen Kamera im Gesicht leicht verletzt. Ansgar K. teilte dazu zynisch mit, ein Fotograf und „Schreiberling namens Michael Klarmann“ bausche „einen zufälligen Zusammenstoß des Armes eines Zuhörers mit der Kamera des hinter ihm stehenden Klarmann als gezielten Angriff“ auf.

Räumlichkeiten fanden Ansgar K. sowie die „Aachener für eine menschliche Zukunft“ und „Querdenken“ bis dahin in einem Zentrum, das mit städtischen Mitteln gefördert wird [1]. Lange tat man sich dort angesichts der Biografie von K. schwer, ihm oder seinen Gruppen keine Räume mehr zu überlassen, schaffte dies am Ende dennoch nach kontroversen internen Debatten. In einem anderen Fall konnte „Querdenken“ einen Vortrag über Hannah Arendt in einem renommierten Privatinstitut abhalten, das mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Die Werbung zu dem Vortrag ließ vermuten, dass Arendts Kritik am Faschismus umgedeutet werden sollte, weil sich die „Querdenker“ nun als Verfolgte der als „Faschisten“ diffamierten Demokrat/innen wähnten. Kooperationspartner des Institutes waren irritiert.

Interne Debatten über den Umgang mit den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen führten regional gesehen zu Streit und Problemen in Initiativen und Bündnissen, die sich für eine offene, demokratische Gesellschaft oder „gegen rechts“ engagieren. Es stellte sich bei diesen Diskussionen und Absprachen heraus, dass sogar eigene Mitglieder – teils auch in gehobenen Positionen – schon an den Demonstrationen teilgenommen hatten oder diese zumindest befürworteten. Intern folgten daher lähmende, zuweilen Kraft und Energie raubende Debatten, auch weil manche die Radikalisierung der „Bewegung(en)“ nicht erkennen oder wahrhaben wollten.

Unterdessen sorgen Musiker/innen für Irritationen, die seit Jahren u.a. Gedenkfeiern für die Opfer des Naziregimes und des Holocausts musikalisch umrahmt haben. Seit längerem treten sie nun bei Aktionen und Protesten der „Querdenker“ auf, selbst wenn dabei auch Rechtsextremisten und Relativierer des Holocausts (s.o.) vor ihnen stehen.

Der Querulant als scheinbarer Revolutionär

Die „Corona Rebellen“ und „Querdenker“ in der Region vernetzen sich seit dem Sommer verstärkt, einzelne Aktionen werden nun terminlich abgestimmt. Bei einem Protest in Heinsberg am 17. Oktober, angemeldet von einem jungen Mann den der Bundesverfassungsschutz zuvor der rechtsextremen Szene zuordnete, waren die meisten Demonstrant/innen aus dem übrigen Rheinland angereist. Masse war lokal nicht vorhanden und wurde simuliert. Zudem äußern manche Aktivist/innen ihren Protest strategisch abgestimmt nun von Zuhause aus.

Einige „Querdenker“ und Eltern aus der Region sind dazu übergegangen Schulen, Behörden und Politiker/innen mit Protestschreiben per Brief oder Mail zu überschütten. Diese Taktik gleicht jener der „Reichsbürger“, die ebenso lange Schreiben an Behörden senden und diese letztlich so lahmlegen wollen. Im Kreis Düren ist etwa eine querschnittsgelähmte Mutter – also selbst Teil der Risikogruppe – besonders aktiv, schreibt zuweilen täglich den Lehrer/innen der Schule des Kindes mehrere lange Nachrichten. Sie ruft intern andere Eltern dazu auf, es ihr gleich zu tun und stellt ihre Schreiben in Kopie zwecks Weiterverwendung zur Verfügung.

Während also Schulen mit den ständig wechselnden Hygiene-Vorschriften beschäftigt und teils schon überlastet sind, wollen „Querdenker“ mittels Massenzuschriften noch mehr Störungen provozieren. In Einzelfällen nährten interne Schilderungen dieses Vorgehens sogar den Verdacht, dass jene „Freiheitskämpfer“ eigene Kinder und sogar Pflegekinder für ihren eigenen ideologischen Kampf instrumentalisieren würden.

So oft die „Querdenker“, „Corona Rebellen“ und andere Aktivisten sich rühmen, die Flagge der Meinungsfreiheit hoch zu halten und selbst über antisemitische Inhalte oder die Leugnung der Shoa „vorurteilsfrei“ debattieren wollen, so dünnhäutig reagieren manche unterdessen auf Kritik oder sachliche Einordnung. Mehrfach wurden Strafanzeigen wegen Rufmord und Verleumdung angekündigt oder erstattet. Auch Strafanzeigen gegen Politiker/innen oder Behördenvertreter/innen wurden erstattet, wenn diese durch Anordnungen oder deren Umsetzung angeblich Straftaten begingen. Die Maskenpflicht an Schulen sei etwa ein „Unrecht“, mit dem man Kinder „quälen und foltern“ würde, so die Argumentation. Schulleiter/innen schrieb man, sollte das eigene Kind zu Schaden kommen, seien sie haftbar zu machen und schuldig.

Dieser Denkweise nach gehören Politiker/innen und Behördenvertreter/innen eines demokratischen Rechtsstaates sowie Wissenschaftler/innen bei den „Querdenkern“ also mindestens auf die Anklagebank. Keineswegs wird dabei kontrovers über Inhalte und unterschiedliche Meinungen diskutiert oder der demokratische Konsens gesucht. Der Rechtsstaat wird zur „Corona Diktatur“ umgedeutet. So verwundert es letztlich dann auch nicht, dass manche – auch rechtsextreme – „Querdenker“ sich mit Sophie Scholl vergleichen oder hoffen, dass ein neuer Claus Schenk Graf von Stauffenberg aktiv werden möge und die „Diktatorin“ Merkel wegbombe. (mik)

  • [1] Nachfolgend werden nicht öffentlich oder nur kurz öffentlich bekannt gewordene Fälle bewusst nicht namentlich genannt. Auch um weiteren Schaden abzuwenden für die Gruppen bzw. Institutionen.