Rückblick und Ausblick: Der Nahostkonflikt tief im Westen
Aachen. Die aktuelle Eskalation der Gewalt im Nahen Osten hat auch tief im Westen zu Demonstrationen, Diskussionen und Straftaten geführt. In Aachen führten bisher zwei große pro-palästinensische Demonstrationen über die Peterstraße und die Heinrichsallee rund um das Promenadenviertel. Aus Angst vor Ausschreitungen vor der Synagoge riegelte die Polizei den Bereich hermetisch ab. Im Gegensatz zu Protesten in anderen Städten eskalierten die in Aachen nicht – auch der von der Hamas verübte Massenmord an Jüdinnen und Juden wurden nicht bejubelt. Teile der Querfront-„Friedensbewegung“ wollen nun jedoch an die Demonstrationen andocken.
Zur Erinnerung: Am Wochenende um den 7. Oktober drangen radikalislamistische Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen nach Israel ein und richteten ein Massaker und Blutbad vor allem unter der Zivilbevölkerung an. Israel wurde mit Raketen beschossen und schlug militärisch massiv zurück. Die Zahl der Opfer auf beiden Seiten geht unterdessen in die Tausende. Seitdem geht auch lokal wieder ein Riss durch Teile der Friedensbewegung, der linken Szene und der Menschenrechtsinitiativen. Längst nutzt auch das rechte Spektrum die Ereignisse, um massiv antiarabischen und antimuslimischen Rassismus zu verbreiten.
Am ersten Wochenende nach dem Massaker der Hamas fanden in Aachen drei Kundgebungen beziehungsweise Demonstrationen statt. Am Freitag, 13. Oktober, fand am Elisenbrunnen eine Mahnwache statt. Sie wurde von einem Arbeitskreis zum Thema Antisemitismus an der Katholischen Fachhochschule Aachen und der linksradikalen antideutschen Gruppe „Diskursiv Aachen“ in Kooperation mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Aachen und der Jüdischen Gemeinde organisiert. Der Rabbiner der Aachener Gemeinde Michael Jedwabny leitete eine Schweigeminute für die Opfer ein. Insgesamt bekundeten rund 150 Menschen ihre Solidarität mit Israel. Sie demonstrierten gegen Antisemitismus und verurteilten den feigen Massenmord der Hamas-Terroristen an Zivilisten.
Zudem bekundeten vor dem Rathaus am Sonntag, 15. Oktober, erneut rund 150 Menschen ihre Solidarität mit Israel. Zwar wurde auch hier der feige Massenmord der Hamas-Terroristen an Zivilisten kritisiert. Redner*innen wie Elisabeth Paul, Vorsitzende der DIG Aachen, betonten aber auch: „Auch die Palästinenser selbst sind Opfer der Hamas“. Unterstützt wurde die Kundgebung von den im Rat vertretenen Fraktionen respektive den Kreisverbänden der Parteien und der DIG Aachen. Es sprachen Kommunalpolitiker*innen, der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Laschet und Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen.
Kein Wort zum Massenmord an Zivilisten durch die Hamas
Zwischen den beiden Kundgebungen demonstrierten am 14. Oktober rund 350 Menschen für Frieden und Freiheit in Palästina. Anlass war auch hier der eskalierende Konflikt. Der feige Massenmord an Zivilisten durch Hamas-Terroristen wurde jedoch bei der Auftaktkundgebung vor dem Theater nicht klar benannt und verurteilt. Reden und Plakate richteten sich explizit gegen Israel als Aggressor. In einigen Reden wurden jedoch in Nebensätzen die zivilen Opfer auf allen Seiten des Konfliktes bedauert. Viele Teilnehmer*innen bekannten sich hörbar zum Islam, einige haben nach eigenen Angaben auch Verwandte, die im Gazastreifen leben.
Zwar wurde Israel immer wieder scharf kritisiert, unter anderem als „Apartheidstaat“ bezeichnet und in mindestens einem Fall der Holocaust relativiert (auf einem Plakat stand in englischer Sprache, dass ein Holocaust keinen zweiten an den Palästinensern rechtfertige). Offene Hetze gegen Israel – dem ein „Genozid“ an den Palästinenser*innen vorgeworfen wurde – hielt sich in Reden, auf Plakaten oder Parolen jedoch in Grenzen. Schon hier hatte die Polizei mit Auflagen dafür gesorgt, dass bestimmte Parolen und Äußerungen unterblieben. Der Ruf nach Frieden und Freiheit war dennoch mehrdeutig.
Immer wieder klang durch, dass beides nur möglich sei, wenn Israel als Aggressor zumindest kapituliere, wenn nicht gar besiegt werde. Gelegentlich wurde in Reden und auf Plakaten auch zu einem friedlichen Zusammenleben der Religionen und Völker im Nahen Osten aufgerufen. Westliche Medien wurden jedoch wiederholt als „Lügenpresse“ beschimpft und der Verbreitung von „Fakenews“ bezichtigt, weil sie falsche Informationen über die Gräueltaten der Hamas verbreiteten. Tatsächlich verbreitet jedoch die Hamas selbst Lügen und Fakenews, was sich auch in einigen Plakattexten und Reden widerspiegelte.
„Allahu Akbar“ und „Hoch die internationale Solidarität“
Während des Demonstrationszuges wurde fast durchgehend „Free Palastine“, „Freiheit für Palästina“ und „Allahu Akbar“ skandiert. Einige Teilnehmer*innen kommunistischer und marxistischer Splittergruppen konnten sich mit ihrem Ruf „Hoch die internationale Solidarität“ nicht durchsetzen. Anwesend waren neben kommunistischen Migrant*innen auch Mitglieder der sektiererischen „Kommunistischen Organisation“ (KO) und einzelne Vertreter*innen der „Sozialistischen Organisation Solidarität“ (SOL), einer Splittergruppe am Rande der „Linkjugend“. Das Aachener Querfront-Zentralorgan berichtete erwartungsgemäß wohlwollend über die Kundgebung.
Nach einem zu diesem Zeitpunkt völlig ungeklärten Raketeneinschlag in respektive vor einem Krankenhaus im Gazastreifen fand in der Nacht von Dienstag (17. Oktober) auf Mittwoch in Aachen spontan ein pro-palästinensischer „Schweigemarsch“ mit rund 200 Teilnehmer*innen statt. Am darauffolgenden Samstag demonstrierten dann rund 80 Menschen auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs für Freiheit und Frieden in Palästina und Gaza. Organisiert wurde die Kundgebung diesmal von der marxistischen SOL (s.o.). Neben Vertreter*innen sektiererischer und kommunistischer Kleingruppen (s.o.) nahmen vor allem wieder Muslime und Menschen arabischer Herkunft teil.
Zwar bekundeten die Redner*innen ihre Solidarität mit den zivilen Opfern und den Zivilisten auf allen Seiten des Konflikts. Kritik wurde unter anderem aber auch an der Bundesregierung geübt, die sich bedingungslos auf die Seite Israels und der in Teilen rechtsextremen Regierung stelle. Insbesondere Muslime und Menschen arabischer Herkunft kritisierten Israel erneut als „Apartheidstaat“. Es finde ein „Genozid“ und eine „ethnische Säuberung“ durch Israel statt, hieß es auf Plakaten. Die Veranstalter*innen distanzierten sich zugleich davon, Antisemiten zu sein.
Der Zynismus „Von Hanau bis Gaza. Yallah Intifada“
Am Samstag, den 28. Oktober demonstrierten in Aachen rund 1.000 Menschen für „Frieden in Palästina“ und gegen die israelischen Militärschläge in Gaza. Laut Auflagen der Polizei waren bestimmte Parolen und Aussagen untersagt worden. So durften sie sich nicht gegen Jüdinnen und Juden richten oder dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen. Penibel kontrollierte die Polizei die Plakate, einige wurden beschlagnahmt, darunter eines mit der zynischen und makaberen Aufschrift „Von Hanau nach Gaza. Yallah Intifada“. Es stellte einen Zusammenhang zwischen dem rechtsextremen Massenmord in Hanau und den aktuellen Militäraktionen Israels her und rief darüber hinaus zu einer neuen, dritten Intifada auf.
An der Auftaktkundgebung vor dem Theater und dem anschließenden Demonstrationszug nahmen erneut vor allem Menschen mit arabischem und muslimischem Hintergrund teil. Anders als zwei Wochen zuvor wurden nur sehr kurze Reden gehalten und kaum arabische Parolen gerufen. Zwar agierten die überwiegend noch sehr jungen Organisator*innen diesmal chaotischer als eine Woche zuvor und wirkten an manchen Stellen überfordert damit, den Demonstrationszug zu koordinieren.
Gleichzeitig agierten sie aber auch strategisch. Da nämlich arabische Parolen oder der Ruf „Allahu Akbar“ kontraproduktiv seien und die Menschen am Straßenrand nicht erreichen oder sogar abschrecken würden, wurden alle Teilnehmer*innen diesmal über den Lautsprecherwagen darauf hingewiesen, dass derlei zu unterbleiben habe. Skandiert wurden erneut Parolen wie „Freiheit für Palästina“, „Free Gaza“ und „Israel bombardiert, Deutschland finanziert“. Auch gegen die Medien, insbesondere gegen ein Reporterteam des WDR, wetterten die Organisator*innen erneut. Sie untersagten allen Teilnehmer*innen, mit dem WDR zu sprechen. Später wurde wiederholt die Parole angestimmt: „Deutsche Medien lügen, lasst euch nicht betrügen!“
Erneut beteiligten sich auch kommunistische Splittergruppen (s.o.) an der Demonstration. Erstmals nahmen auch sektiererische und verschwörungsideologische Vertreter*innen der lokalen Querfront teil, darunter solche aus dem Spektrum von „Querdenken“, „dieBasis“, „Freie Linke“ sowie der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. Hunko war kurz zuvor aus der Partei „Die Linke“ ausgetreten und gehört nun dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ an. Der Zusammenschluss ist die Vorstufe zur Gründung einer Partei um die Ex-Linken-Politikerin.
Wie schon zwei Wochen zuvor riegelte die Polizei das Promenadenviertel zum Schutz der Synagoge zeitweise hermetisch ab. Im Gegensatz zu den letzten pro-palästinensischen Versammlungen in Aachen, bei denen die Polizei nahezu nie eingreifen musste, verzeichnete sie diesmal zahlreiche Fälle, in denen sie Maßnahmen ergreifen musste. So bilanzierte die Behörde abschließend zwar einen weitgehend friedlichen Einsatz, ergänzte jedoch im Polizeibericht:
„Es wurden drei mitgeführte Plakate festgestellt, bei denen der Verdacht bestand, dass Texte strafrechtlich relevant waren. In zwei Fällen wurden Strafanzeigen gefertigt und die Plakate sichergestellt. Insgesamt wurde bei 27 Personen die Identität festgestellt, davon 20 mal im Umfeld der […] Synagoge […]. Eine Person wurde in Gewahrsam genommen. Der Mann wurde auf der Anfahrt zur Versammlung in einem PKW kontrolliert. Er war stark emotionalisiert und aggressiv. In seinem PKW wurde ein Baseballschläger gefunden und sichergestellt – dies führt ebenfalls zu einer Anzeige.“
Hass auf Muslime und Araber – und auf Jüdinnen und Juden
Auf der Abschlusskundgebung am Ende dieser Demonstration lud ein Redner der „Freien Linken“ die überwiegend muslimisch und arabisch geprägten Menschen ein, an ihrer Querfront-„Friedensdemonstration“ am kommenden Samstag teilzunehmen. Offensichtlich sind Teile des völlig marginalisierten und isolierten Querfront-Spektrums bestrebt, durch neue Bündnisse entweder wieder ein Teil von Großdemonstrationen zu sein – oder solche selbst zu organisieren. Spannend dürfte sein, wie die rechten bis rechtsextremen Mitstreiter*innen auf diese Entwicklung reagieren. Sie haben bisher mit jenen Linken bei den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, gegen das Impfen und bei den dubiosen „Friedensdemonstrationen“ kooperiert – wollen aber eigentlich, dass weder Araber noch Muslime in Deutschland leben sollen.
Die Eskalation im Nahen Osten wird derzeit vom rechten bis rechtsextremen Spektrum in vielfältiger Weise propagandistisch ausgeschlachtet. Während die eine Seite die Eskalation nutzt, um ihren Hass auf Muslime und Araber noch hemmungsloser als bisher auszuleben, lebt die andere Seite ihren Hass auf Jüdinnen und Juden sowie auf Israel aus und relativiert oder glorifiziert den Terror der Hamas sogar.
Inzwischen wurden am Haus der Städteregion dreimal israelische Flaggen heruntergerissen oder gestohlen – einmal sogar vor Ort angezündet – und zweimal wurde eine israelische Fahne am Rathaus beschädigt oder gestohlen. In Chats und Internetkommentaren werden diese Taten, obschon bisher keine Täter*innen gefasst wurden, ausnahmslos Migrant*innen zugeschrieben. Ein junger Mann, der aus dem Irak stammt und betrunken war, schlug überdies in einer Nacht auf die Fenster der Synagoge ein. Als Polizisten ihn stoppten gab er als Motiv Hass auf Juden an.
Bundesweit, aber auch regional ist zu beobachten, dass Teile der aus der „Querdenken“-Welt stammenden anti-antifaschistischen, verschwörungsideologischen und rechtsoffenen „Friedensbewegung“ sich aktionistisch in Richtung Palästina-Solidarität bewegen. Auch in dieser Szene wird bereits gegen den angeblichen „Genozid“ durch Israel agitiert. Am Rande dieser neuen „Friedensbewegung“ verbreiten gleichzeitig Antisemiten und „Reichsbürger*innen“ über Telegram-Kanäle, -Chats und Foren ganz offen und zum Teil auch strafbare Propaganda und Hetze gegen Jüdinnen und Juden. (mik)