Parteipolitischer Arm der Impfgegner*innen? Die AfD…

Region Aachen. Bundesweit, jedoch auch mit Blick auf die bevorstehende nordrhein-westfälische Landtagswahl, will die Alternative für Deutschland (AfD) mit der „Gesund ohne Zwang“-Kampagne das Thema Impfungen, Lockdown und Corona-Schutzmaßnahmen politisch nutzen. Im Raum Aachen sind Funktionäre, Mitglieder und Anhänger*innen der Partei schon länger Teil der Proteste. Anders als die „Querdenken“-Partei „dieBasis“, die oft durch Logos oder ihre Farben zu erkennen ist, bleibt die AfD überwiegend unsichtbar.

Exemplarisch umschrieb ein Kommentar zu einem Artikel auf dem Verlautbarungsportal der Impfgegner*innen in Aachen diese Strategie. Am 9. Februar kommentierte dort ein Michael, der zuvor schon mit AfD-Inhalten in anderen Nutzer*innen-Kommentaren aufgefallen war und bei dem es sich wohl um einen Parteifunktionär handelt: „Wir als Vertreter der bürgerlichen Mitte werden niemals an Demonstrationen von […] Linksextremisten teilnehmen. Bei der nächsten […] Demonstration gegen die Impflicht werden wir […] sein […]. Für uns bleibt auch selbstverständlich auf Parteifahnen zu verzichten, weil WIR (AfD) das parteipolitische Kapital hinter die gemeinsame Sache zurückstellen!“

Tatsächlich sind die Vertreter*innen der AfD für Menschen, denen entsprechende Funktionäre, Mitglieder und Anhänger*innen nicht schon bekannt sind, kaum als solche zu identifizieren. Anders war dies einzig am 13. Februar in Eschweiler bei einem „Sonntagsspaziergang“, an dem die AfD organisatorisch mitwirkte. Sowohl AfD-Leute, aber auch „Querdenker*innen“ trugen Westen in den Parteifarben aus der „Gesund ohne Zwang“-Kampagne. Dennoch ist der AfD-Einfluss bei Demonstrationen, „Spaziergängen“ und in Chats der Szene oder den Sozialen Netzwerken nicht zu unterschätzen.

Statt Messermänner und Taugenichtse neue Bündnispartner

Bei einer Kundgebung von „Querdenken 241“ am 19. Februar spielten diese zu Beginn am Elsassplatz eine Rede der Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, zum Thema Impfen ab. Durch die Versammlung mit rund 40 Personen sollten auch die im Ostviertel lebenden Migrant*innen und Geschäftsleute angesprochen und für die Proteste gewonnen werden. Vergessen schien dabei, dass Weidel 2018 im Bundestag zuwanderungsfeindlich und diskriminierend gesagt hatte: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“

Für die AfD sind Impf- und Maßnahmengegner*innen inhaltlich kompatibel, weil diese von einer „Corona-Diktatur“ oder einem „Pharma-“ bzw. „Impf-Faschismus“ fabulieren. Denn schon länger ist auch das rechte Spektrum darum bemüht, die Demokratie als „Faschismus“ zu diskreditieren. Reaktionäre Rebellen inszenieren sich daher ähnlich wie „Querdenker*innen“ auch als „Freiheitskämpfer“. So gesehen war es ein gelungener PR-Coup der Szene, als ein empörter Zwischenrufer in einer WDR-Reportage über die „Montagsspaziergänge“ zuerst wie ein unbeteiligter Passant wirkte. Tatsächlich ist der Mann im Ratsinformationssystem der Stadt Aachen als sachkundiger Bürger der AfD in einem städtischen Ausschuss gelistet.

Während ein Polizist am Abend jenes 14. Februar „Spaziergänger“ ansprach und dabei mit einem AfD-Mann aus Herzogenrath einige Worte wechselte, schimpfte der trojanische Passant aufgebracht. Vom WDR gefilmt rief er, das heutige Deutschland sei eine „Diktatur“. Den Parteifreund siezte der Zwischenrufer distanziert. Ein Unternehmer aus Stolberg, der der AfD früher angehörte und ihr weiter nahe steht, filmte das Geschehen und verbreitete das Video davon über einen Chat. Der später in der Lokalzeit-Reportage vermeintlich unbeteiligte, gleichwohl emotional aufgebracht wirkende Passant, nimmt seit langem an den Protesten teil, fungierte als Ordner und hielt in mindestens einem Fall selbst eine Rede.

Vermeintlich unpolitische „Identitäre“ und Redner

Im näheren Umfeld der AfD und auch unter Impfgegner*innen und „Querdenker*innen“ ist ein ehemaliger Führungskader der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) aktiv. 1994 wurde diese Neonazi-Kleinpartei verbotenen. Der Mann unterhielt lange Kontakte in rechtsextreme Kreise, war zeitweise aber politisch inaktiv. Nach der Gründung von AfD und „Identitärer Bewegung“ (IB) änderte sich das. Er vermittelt in den Sozialen Netzwerken heute das Bild eines Kreuzritters im Kampf gegen Islam und Kommunismus. In Glaubensfragen steht er den Pius-Brüdern nahe. Unauffällig gekleidet fällt er bei den Protesten nicht nennenswert auf. Selbst Demonstrierende, die sich in den 1980er und 1990er Jahren als Punks oder Linksalternative vor ihm fürchteten, weil er als brutaler Schläger galt, erkennen ihn heute nicht mehr.

AfD-Anhänger oder doch nur ein Herr aus der bürgerlichen Mitte? Sicher ist nur: Der Maskengegner trägt Maske… Foto: Klarmann

So wie jener Mann nehmen AfD-Funktionäre, -Mitglieder und -Anhänger*innen regelmäßig an den Protesten teil. Mehrfach waren die Partei und ihr Umfeld mit einem eigenen Block vertreten, zogen inmitten anderer Impfgegner*innen hinter einem Banner mit der Aufschrift „Wir sind die rote Linie“ durch Aachen und Eschweiler. Das Transparent wurde von Parteifreund*innen und Funktionären getragen, auch vom Sprecher des AfD-Kreisverbandes Städteregion Aachen, Roland Oschlies. Besonders groß war der AfD-nahe Block am 8. Januar 2022 in Aachen. Bei späteren Protesten schrumpfte er wieder, AfD-Mitglieder, -Funktionäre und -Sympathisant*innen nahmen zugleich verstreut an den Demonstrationszügen teil. Mehrfach anwesend waren auch die Aachener Ratsleute Markus Mohr und Wolfgang Palm.

Ein AfD-Anhänger und Nachhilfelehrer aus Aachen hielt im Juni 2021 eine Rede auf den seinerzeit noch sehr kleinen Demos, die schon in jenen Tagen vermeintliche Linke, sektiererische Gewerkschafter*innen und verschwörungsideologische Friedensbewegte organisierten. Bei einer Kundgebung in Jülich Mitte Februar 2022 hielt eine AfD-Ratsfrau und -Funktionärin aus Eschweiler neben „Querdenker*innen“ und einem Vertreter der „dieBasis“ eine Rede. An demselben Wochenende trat in Eschweiler Kreischef Oschlies beim „Sonntagsspaziergang“ auf den Stufen der Hauptpfarrkirche St. Peter und Paul ans Mikrophon.

Björn Höcke skizzierte die AfD schon vor Jahren als „fundamental-oppositionelle Bewegungspartei“. Im Raum Aachen agiert sie ähnlich. Bei den Protesten gegen die Schutzmaßnahmen und gegen das Impfen gibt man sich allerdings nicht wirklich zu erkennen. Immer wieder betonen andere Demonstrierende daher, man habe gar keine AfD-Vertreter*innen, Rechte oder gar Rechtsextremisten gesehen. „Querdenken 241“ inszeniert sich derweil überparteilich und schließt Teilnehmende nicht aus, solange diese auf Parteiwerbung verzichten.

In den zahlreichen regionalen Chats der Szene werden gleichwohl regelmäßig Inhalte der Partei, aber auch solche von rechtsextremen Quellen verbreitet. In einem Chat der Dürener „Spaziergänger“ waren AfD-Lokalpolitiker*innen und -Anhänger*innen aktiv, darunter der Geschäftsführer des AfD-Landesverbandes NRW, Klaus Esser. Dessen Ehefrau gehört dem Stadtrat an. Sie ermutigte nach kritischen Stimmen aus der Lokalpolitik über die „Spaziergänger“ in Düren und Jülich am 14. Januar 2022 in einer Stellungnahme „jeden dazu, für seine Meinung auch auf die Straße zu gehen“. Der Landesgeschäftsführer selbst, ebenso Chef der AfD-Fraktion im Kreistag Düren, teilte am 28. Januar angesichts eines Verbotes von „Spaziergängen“ in Dresden via Facebook und Telegram mit: „Jetzt erst recht: Auf die Straße!“

Die „fundamental-oppositionelle Bewegungspartei“

Während die AfD Aachen-Stadt sich nach außen hin zurück hält, bewirbt der Kreisverband in der Städteregion seit längerem die Demonstrationen und „Spaziergänge“ offensiv. Solche in Alsdorf und Eschweiler initiiert die Partei mit, in letztgenanntem Fall in Kooperation mit „Querdenkern“ aus dem Kreis Düren und unterstützt von Vertreter*innen der Partei „dieBasis“. Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf nutzten die AfD in der Städteregion bzw. deren Ortsverbände mittels sozialer Medien und auf den Homepages das Thema Corona und Impfen, um sich als Partei der Impfgegner*innen zu präsentieren.

Jene AfD-Verbände publizierten Stellungnahmen und Polemiken, die teils Verschwörungsmythen, Andeutungen oder Fake-News aus den Filterblasen der Verschwörungsideologen transportierten. Im Februar nannte die AfD Städteregion auf ihrer Facebook-Seite Polizisten, die gegen „Spaziergänger“ im Einsatz seien, eine „Costapo“ (Cop-Gestapo oder Corona-Gestapo?). Das Wort wurde dabei als Zitat aus dem „Volksmund“ deklariert, so dass man es –vermeintlich! – nur wiedergab. Durch ein solches Agieren biedert die Partei sich Demonstrierenden an oder will diese als Wähler*innen gewinnen.

Regional arbeitet die AfD dabei geschickter als „dieBasis“, die erst aus der „Querdenken“-Bewegung heraus entstand. Am 19. Februar postete die AfD Städteregion bei Facebook eine Stellungnahme über Corona-Maßnahmen und das Impfen sowie über die Gegenproteste. Über die Rolle der eigenen Partei hieß es dabei im üblich verzerrten Duktus: „Die Menschen beschäftigen sich zunehmend mit der AfD und stellen immer öfter fest, dass dort keine Studienabbrecher und Ideologen sitzen, sondern viele kluge Realisten, die […] weder extrem noch radikal“ seien. Tatsächlich durchlebt die AfD bundesweit, aber auch im Raum Aachen eine fortschreitende Radikalisierung.

Als authentisch gilt es dabei, wenn auch führende AfD-Vertreter*innen an nicht angemeldeten Versammlungen teilnehmen und sich so am „Zivilen Ungehorsam“ beteiligen. Als die Polizei am 31. Januar 2022 Teile des „Montagsspaziergangs“ in Aachen stoppte, festsetzte und Personalien kontrollierte, weil die „Spaziergänger“ in den Wochen zuvor immer unkooperativer geworden waren, war auch Aachens AfD-Chef Markus Mohr dabei. In einem Szene-Video ist Mohr zu sehen, wie er an jenem Abend mit anderen „Spaziergängern“ außerhalb des Polizeikessels steht und die Polizisten lautstark auffordert, die Leute freizulassen, damit sie „weiter spazieren“ gehen könnten.

Altlasten vom rechten Rand

Selbst ehemalige Funktionäre oder Mitglieder der AfD sind in der „Bewegung“ aktiv und wirken auf diese ein, so als hätten sie die Partei nie verlassen. 2016 und 2017 wurde ein Rentner auf der Homepage der AfD Aachen-Stadt als Beisitzer im Vorstand aufgelistet. Er gehört dem „Rolling Stones Club Aachen/Stolberg“ an und bewegt sich im Umfeld des „Arbeitskreises GewerkschafterInnen Aachen“. In Chats der Szene fällt der Senior immer wieder durch radikale Inhalte auf. Dort teilte er Anfang Februar mit, Deutschland sei „mitten drin in einer totalitären Diktatur. […] Das ist Globalfaschismus in Reinkultur. 1933 lässt grüßen!“ Über den Polizeikessel (s.o.) und Polizist*innen schrieb er: „Verbrecher […] Sturmtruppen des Regimes […] Horde Söldner […] Aber das Pack kann uns nicht einschüchtern. […] Faschismus. Wir sind schon mittendrin. Die Verbrecher die uns regieren zeigen jetzt ihre wahre Fratze.“

Während am vergangenen Wochenende rund 500 Impfgegner*innen vom Kurpark aus durch die Innenstadt zogen, demonstrierten rund 40 Personen zeitgleich im Ost-, Frankenberger und Rehmviertel mit „Querdenken 241“. Unter ihnen war eine rechtsradikale und verschwörungsideologische Medienaktivistin aus Düren sowie ein ähnlich politisch eingestellter Mann aus dem Kreis Euskirchen. Beide Aktivist*innen gehörten nach eigenen Aussagen oder jenen von Parteifreund*innen in der Vergangenheit der AfD an. Der Mann will diese unterdessen verlassen haben, die Frau galt vor zwei Jahren schon in moderateren Parteikreisen als umstrittenen, hat aber weiter Kontakte zu radikaleren Mitgliedern und Funktionären.

Beide am vergangenen Samstag „gegen die Impfpflicht“ gerichteten Demos fanden am zweiten Jahrestag der rechtsextremen Morde in Hanau statt. Auch wenn die terminliche Überschneidung ein Zufall war, weist die Teilnahme der beiden Aktivist*innen auf eine unheilvolle Allianz hin. Kurz nach jenen Morden fand 2020 in Düren eine Gedenkkundgebung für die Opfer statt. Die Medienaktivistin und der als „Schilder-Heinz“ bundesweit bekannte Dauerdemonstrant waren an dem Abend in Düren maßgeblich in eine „Gegenmahnwache“ von Rechtsextremen, Verschwörungsideologen und „Reichsbürgern“ involviert.

Jene Versammlung war die einzige provokante Störaktion aus dem rechten Spektrum gegen die seinerzeit bundesweit stattfindenden Mahnwachen für die Toten in Hanau. Ausgerechnet diese beiden Aktivist*innen begleiteten nun am Jahrestag der Morde den Impfgegner*innen-Protest im stark von Migranten bewohnten Ostviertel. „Schilder-Heinz“ äußerte in dem Video der Dürenerin zudem an jenem Jahrestag, getarnt hinter historischen, philosophischen und theaterwissenschaftlichen Aussagen, Gewalt- und Mordphantasien gegen den Autor dieser Zeilen. Kurz zuvor hatte „Querdenken 241“ dem angereisten „Schilder-Heinz“ für einige Sekunden noch das Mikrophon überlassen, so dass er kurz über die „Corona-Diktatur“ lästern konnte.

Die Dürenerin selbst hat in der Vergangenheit regelmäßig die Aachener Versammlungen live im Internet gestreamt. Ihre Videos werden u.a. von „Querdenken 241“ verbreitet und empfohlen. Optisch gleichen beide Aktivist*innen hippiesken Sozialarbeiter*innen. In den letzten Jahren haben sie gleichwohl immer wieder bundesweit an offen rechtsextremen und fremdenfeindlichen Versammlungen teilgenommen. Impfgegner*innen, die sich selbst als „Antifaschisten“ inszenieren, stört diese Nähe zum extrem rechten Rand offenbar sehr viel weniger, als junge Antifaschisten und Linksradikale, die „Nazis raus!“ oder „Haltet die Fresse!“ skandieren. (mik)