Bericht: „Infotag Impfschäden“ und die apokalyptische Erzählung
Aachen. Erneut wollen „Querdenker*innen“ und Impfgegner*innen in Aachen einen „Infotag“ zum Thema „Impfschäden“ abhalten. Er soll am kommenden Samstag, dem 28. Oktober, über neun Stunden lang mit „Ausstellungen“, Redner*innen, Musik und Infoständen im und rund um den Elisengarten stattfinden. Eine solche Aktion gab es bereits am 9. September – parallel zur damaligen AfD-Kundgebung auf dem Markt und den Gegenprotesten.
Die Aktion am Samstag wird mit Worten angekündigt, die man eher aus der Erinnerungskultur an die Gräuel der Nazizeit kennt und die diese somit abermals indirekt relativieren: „Ein Zeichen gegen das Vergessen!“ wolle man setzen, heißt es in der Ankündigung. „Die Politik“ wolle „das Unrecht der Coronazeit am liebsten unter den Tisch kehren.“ Symbolisch wolle man „den Opfern der Corona-Impfkampagne und denen der politischen Maßnahmen, ein Gesicht und unsere Stimmen“ geben. Kritisieren will man daher die Medien und die Regierungspolitik. Informationen wolle man anbieten, „die in dieser Form und Darlegung der Mehrzahl unserer Mitbürger von den schlagseitigen Massenmedien vorenthalten werden.“
Seit Beginn der Corona-Pandemie haben Impfgegner*innen, „Querdenker*innen“ und Verschwörungsideologen eine Anti-Impf-Agitation gestartet. Das Thema war zentral für die neue „Bewegung“ und verlief parallel zum „Kampf“ gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Es wurden die abenteuerlichsten Schauermärchen über Impfungen verbreitet. Mit Beginn der Schutzimpfungen und der Diskussion um eine Impfpflicht wurde die Agitation noch radikaler. Das Thema war als Agitations- und Resonanzraum in der Szene später zwar nicht ganz verschwunden. An seine Stelle traten jedoch prominentere Themen der neuen „Querdenken“- und verschwörungsgläubigen „Friedensbewegung“, siehe etwa die Proteste gegen die Karlspreis-Verleihung.
Inzwischen bemühen sich Impfgegner*innen, „Querdenker*innen“ und – zumindest im Rheinland – Mitglieder, Sympathisanten und Funktionäre der Kleinstpartei „dieBasis“, das Thema „Impfschäden“ und „Impftote“ wieder in die Öffentlichkeit zu tragen. Nach dem weitgehenden Ende der Pandemie und dem Abklingen anderer prominenter Themen scheint das Thema für die Szene wieder interessant zu werden. Seit einiger Zeit wird in den Medien auch über Einzelfälle von Personen berichtet, die nach der Impfung erhebliche Nebenwirkungen bis hin zu (schweren) gesundheitlichen Spätfolgen erlitten haben. Inzwischen sind auch erste Klagen vor Gericht anhängig. Durch die Präsenz des Themas in den Medien hoffen die Impfgegner*innen, wieder mehr Bürger*innen für ihre Sache gewinnen zu können.
„Straße des Erwachens“ oder „Galerie der Aufklärung“?
Die erste Aktion dieser Größenordnung fand am 9. September mit Infoständen, Musik und Redebeiträgen sowie einer äußerst fragwürdigen „Wanderausstellung“ namens „Straße des Erwachens“ oder „Galerie der Aufklärung“ im Eisengarten statt. Zentrales Element der „Ausstellung“ sind Leinen, auf denen eine riesige Loseblattsammlung über „Impfschäden“ und „Impftote“ informieren will. Es handelt sich um eine Masse von teilweise nicht nachprüfbaren Zeitungsartikeln, Texten aus verschwörungsideologischen und rechts-„alternativen“ Medien sowie Todesanzeigen. Über den Erfolg dieser Aktion herrschte im September allerdings unter den Beteiligten Uneinigkeit. Während die einen meinten, zwischen 10 und 19 Uhr viele Passant*innen erreicht zu haben, blieben andere skeptisch.
Zwar nahmen die Passant*innen die Aktion seinerzeit wahr, wendeten sich aber oft wieder ab, nachdem sie erkannten, wer dort aktiv war. Die Reden und die Musik erreichten fast ausschließlich die im Park Anwesenden, zumeist Angehörige der Szene, zum Teil aber auch eine Gruppe von Obdachlosen und Trinker*innen, die mehrere Parkbänke als ihr Quasi-Wohnzimmer betrachten. Einer davon versuchte gelegentlich, mit Passant*innen und Parkbesucher*innen ins Gespräch zu kommen. Dabei erweckte er ungewollt den Eindruck, Teil der Aktion zu sein. Der Außenwirkung dürfte dies nicht zuträglich gewesen sein.
Am offenen Mikrofon beschwerten sich auch Passant*innen oder widersprachen und kritisierten die Impfgegner*innen. Dass es überhaupt zu solchen Dialogen kam, werteten diese seinerzeit schon als Erfolg. Umliegende Geschäftsleute nahmen demgegenüber Anstoss an der Daueraktion. Dabei hatten die esoterisch angehauchten Aktivist*innen nach eigenen Angaben zuvor rund um die Aktionsfläche „sphärische Schwingungen“ erzeugt, um eine besonders harmonische und friedliche Stimmung im Park zu installieren. Besagte „sphärische Schwingungen“ sollten zudem den Dialog mit den Passant*innen positiv beeinflussen.
Kleinere Aktionen dieser Art – eine Kombination aus Ausstellung, Infoständen, Vorträgen und Musik – fanden auch in Düren, Geilenkirchen und im Rhein-Erft-Kreis statt. Eingeladene Ärzte, zum Teil bereits im Ruhestand, hielten Reden oder beantworteten Fragen. Das nannte man „Bürgerdialog“. In Düren und im Rhein-Erft-Kreis wurden die kleinen Versammlungen überwiegend aus dem verschwörungsideologischen Spektrum im Verbund mit Aktivisten und Funktionären von „dieBasis“ und der AfD organisiert. In Aachen traten die am 9. September zum Teil aus dem Rheinland angereisten „Querdenker*innen“ und Impfgegner*innen organisatorisch mit Personen aus dem Umfeld von „dieBasis“ in Erscheinung.
Hausärzte und ein Lungenfacharzt als Leumund
Aus diesem Spektrum rekrutierten sich auch die Ärzte, die bei mehreren Aktionen entweder aus dem übrigen Rheinland anreisten und Verbindungen zu „dieBasis“ hatten oder Funktionäre der AfD waren – wie ein pensionierter Lungenfacharzt aus Bielefeld. Auch Vertreter dubioser neuer „Menschenrechtsgruppen“ traten bei solchen Versammlungen an Infoständen auf. Diese nutzten jedoch das Label „Menschenrechtsinitiative“ plakativ verzerrt, um lediglich die Corona-Schutzimpfung, mögliche Schäden und Spätfolgen als „Menschenrechtsverletzungen“ zu framen. Andere, tatsächliche Menschenrechtsverletzungen werden kaum thematisiert.
Die Aktionen – wie kommenden Samstag in Aachen – werden zwar als Versammlungen angemeldet, aber bewusst nicht als Demonstrationen mit vielen Teilnehmern und lautstarken Reden, sondern eher als großflächige Infostände gestaltet. Daneben finden in diesem Spektrum sporadisch auch nicht oder halböffentliche Vortragsveranstaltungen statt. Aus dem Umfeld von „dieBasis“ wurde eine solche am 13. Oktober in einem renommierten Restaurant in Geilenkirchen durchgeführt. Das Thema lautete: „Gesundheitsschäden und Behandlungsansätze nach Corona-Impfung“. Als „Dozent“ war ein praktizierender Hausarzt aus Düsseldorf vor Ort. Er war auch schon bei Straßenaktionen aufgetreten und steht der „dieBasis“ nahe.
Im Gegensatz zu den großen Demonstrationen und „Spaziergängen“ im Rahmen der Impfpflicht-Debatte Ende 2021/Anfang 2022 will die Szene mit den neuen Aktionen weder Masse generieren, noch mittels Protestumzügen sehr viele Menschen erreichen. Zwar sollen möglichst viele Menschen die „Wanderausstellung“ sehen und sich zumindest ansatzweise damit auseinandersetzen. Aber beim „Bürgerdialog“ und Ähnlichem will man eher wenige neue Mitstreiter oder „Leidensgenossen“ ansprechen und für die eigene Sache gewinnen.
Bargeldabschaffung und Impfen
Aber auch andere Themen werden angesprochen. So agitierte in Aachen eine antisemitische Esoterikerin in einem Videointerview an einem der Infostände gegen die „Frühsexualisierung“ in Kindergärten und lobte Russlands Staatschef Wladimir Putin. Zudem wurden dubiose Flyer verteilt, die mit zum Teil abstrusen apokalyptischen Hinweisen für den Erhalt von Bargeld warben. Auch hier zeigt sich: Das Thema Impfen ist nach wie vor Mittel zum Zweck. Man will mit den Menschen ins Gespräch kommen – auch wenn sich dann weitere fragwürdige Verschwörungserzählungen und Opfermythen anschließen können. (mik)