Rechte „Gelbwesten“ bleiben in Aachen eine marginalisierte Gruppierung
Aachen. Als Reinfall endete an Karnevalssamstag eine rechte „Gelbwesten“-Demonstration in Aachen unter dem Label „Europa steht auf!!!“ Exemplarisch stand die Aktion allerdings dafür, wie heterogen und unterdessen zerstritten die „Gelbwesten“ in der Region respektive dem übrigen Rheinland sind, die sich aus den unterschiedlichen rechten politischen bis verschwörungsgläubigen Spektren zusammengeschlossen beziehungsweise schon wieder zerstritten haben.
Nur rund 15 Personen aus unterschiedlichen rechten Spektren und sektenartigen Gruppierungen hatten den Weg am Samstag nach Aachen gefunden. Nur einige davon kamen überhaupt aus Aachen oder dem direkten Umland. Angekündigt als „Europa’s Akt 1 der Gelben Westen!!!“ [sic!] sowie „Hand in Hand mit unseren Freunden aus ganz Europa“ hatte man damit geworben, dass auch „Gelbwesten“ aus dem Ausland nach Aachen kommen würden. „Europa’s Akt 1“ sollte symbolisch dafür stehen, dass man künftig Protesttouren durch Städte Europas abhalten will. Aachen als Europastadt im Dreiländereck schien als Ausgangspunkt für die Serie prädestiniert.
Zuerst beworben als Standkundgebung zogen die rund 15 Personen dann jedoch durch Aachens Innenstadt, die schon im Zeichen des Straßenkarnevals stand. Im Bereich u.a. des Alexianergrabens und der Jakobstraße kam es dabei zeitweise zu Verkehrsbehinderungen. Die Teilnehmer stammten aus der verschwörungsideologischen rechtsesoterischen Szene, anwesend waren ebenso „Reichsbürger“, rechte „Wutbürger“, Rechtsradikale, Fremdenfeinde und AfD-Anhänger aus dem deutlich rechtsaußen stehenden Spektrum der Partei. Teilnehmer waren u.a. aus dem Raum Mönchengladbach, den Kreisen Düren und Euskirchen sowie dem übrigen Rheinland angereist.
Pleite auf der Straße trotz hoher Präsenz in den sozialen Medien
Rechtsradikale und Fremdenfeinde aus dem Rheinland hatten wenige Tage zuvor verstärkt über verschiedene sozialen Medien und Netzwerke zu dieser „Gelbwesten“-Demonstration auf dem Markt in Aachen aufgerufen. Es handelte sich dabei teils um denselben Kreis wie schon bei den rechtsextremen „Gelbwesten“-Protesten am 22. Januar gegen die Unterzeichnung des neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrages. Auch die Anmelderin der Versammlung am Karnevalssamstag war erneut die Heilpraktikerin aus Roetgen, die schon Ende Januar die Proteste angemeldet und mit organisiert hat.
Angegeben hatte die Frau bei der Polizei, dass sie mit bis zu 30 Teilnehmern rechne. Angesichts dessen und der Werbung für die Aktion in den sozialen Netzwerken dürften die lediglich 15 Teilnehmer eine deutliche Schlappe darstellen. Das allerdings steht zugleich exemplarisch für die Heterogenität und Zerstrittenheit der rechten „Gelbwesten“ in der Region, die abgesehen von dem großen Protest gegen Bundeskanzlerin Merkel und den französischen Staatschef Macron Ende Januar keine weiteren Erfolge verbuchen konnten. Selbst Antifaschisten ignorieren sie und stufen sie offenbar als so bedeutungslos ein, dass deren Aktionen noch nicht einmal mehr gestört werden.
Die Kleingruppe, die bislang als „Gelbwesten Aachen“ auftrat, setzte sich zusammen aus Menschen aus Alsdorfer, Herzogenrath, Stolberg, Würselen, Düren und Aachen. Nach zwei unangemeldeten „Spaziergängen“ mit einmal einer Handvoll und einmal zwölf Teilnehmern, zogen sie Mitte Februar an einem Sonntag erstmals offiziell als Demonstration mit fast 20 Menschen durch die City. Auch diese Teilnehmerzahl war nur möglich geworden, weil Menschen aus anderen Städten NRWs sowie aus dem niederländischen Heerlen angereist waren.
Vor dem Rathaus hielt an jenen Sonntag Mitte Februar ein Mann eine Rede, der zuvor in Mönchengladbach an einem rechtsextremen Aufmarsch teilgenommen hatte. Er verwob Themen wie Tihange und Dieselfahrverbote mit fremdenfeindlichen Inhalten. Der Redner trug dabei auf seiner gelben Warnweste zudem einen Anstecker mit dem Logo der „Patrioten NRW“, einer rechtsradikalen Gruppe, deren Vertreter verschiedene rechte bis offen rechtsextreme und fremdenfeindliche Versammlungen im Rheinland und im Ruhrgebiet abhielten und organisierten.
Außen gelb – innen „Patrioten NRW“
Eine Rednerin der „Patrioten NRW“ aus Köln hatte kurz zuvor in Düsseldorf bei einem rechtsextremen Aufmarsch gesagt, sie danke auch allen „die vor 80 Jahren ihr Leben ließen für unsere Freiheit und für unsere Sicherheit.“ 1938 regierten die Nationalsozialisten. In jenem Jahr hatten im November die judenfeindlichen Pogrome begonnen, bevor im September 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Eine Vertreterin der „Gelbwesten Aachen“, die auf ihrem Facebook-Profil Fotos publiziert hat, die sie mit AfD-Parteichef Jörg Meuthen zeigen, gab in einer Facebook-Diskussion unumwunden zu, ebenso schon an einer Kundgebung der „Patrioten NRW“ teilgenommen zu haben. Auch andere „Gelbwesten“ aus der Region haben zuvor schon an offen rechtsextremen und fremdenfeindlichen Versammlungen teilgenommen bzw. in den sozialen Medien für solche Aufmärsche geworben.
Der Redner, der Mitte Februar in Aachen vor den knapp 20 „Gelbwesten“ sprach, verbreitete seinerzeit wie einige seiner Mitstreiter der „Gelbwesten Aachen“ in den sozialen Medien auch AfD-Werbung sowie nationalistische, rechtsradikale und fremdenfeindliche Inhalte. Ein Mann, der auf einer alten Homepage der Aachener „Gelbwesten“ als eine von drei Kontaktpersonen genannt wurde, hatte noch wenige Tage vor jener Minidemonstration auf seiner Facebook-Seite ein Bild publiziert mit dem Text „Rattenbekämpfung ist nationale Pflicht.“ Daneben das Bild einer Ratte mit dem Gesicht von Merkel. Offiziell, betonten die „Gelbwesten Aachen“ seinerzeit, seien sie weder links noch rechts. Eine Mitbegründerin der Gruppe diffamierte zugleich in den sozialen Netzwerken einen antifaschistisch engagierten Medienaktivisten aus Dortmund im Duktus der rechtsextremen Szene als „linksfaschistischer Journalist“.
Unzufriedenheit als Kitt allein schafft noch keine Bewegung
Die „Gelbwesten“-Demonstration Mitte Februar in Aachen und die daraufhin folgende kritische Einordnung sowie entsprechende Medienberichte sorgten für Unruhe und Streit. Besagter Redner stritt sich in den sozialen Medien mit einem anderen rechten „Gelbwesten“-Protagonisten aus dem Rheinland, der früher in der NPD aktiv war. Andere debattierten über persönliche Animositäten, Enttäuschungen und über die künftige Ausrichtung der „Gelbwesten Aachen“.
Im Schatten jener Differenzen entfernte die Gruppe ihre Homepage aus dem Internet. Eine interne Facebook-Gruppe mit rund 220 Mitgliedern verschwand spurlos nach wochenlanger Aufbauarbeit. Eine von anderen Mitstreitern neu aufgebaute interne Facebook-Gruppe unter dem Label „Gelbwesten Aachen“ konnte binnen einer Woche bisher nur rund 30 Mitglieder verzeichnen. Eine Frau aus Stolberg wollte unlängst in Eigenregie eine neue „Gelbe Westen Aktionsgruppe“ für den „Kreis Aachen“ aufbauen. Bei der Minidemo am Karnevalssamstag fehlten aus dem Raum Aachen einige der zuvor als „Gelbwesten“ aufgetretenen Unzufriedenen und „Wutbürger“. Unklar bleibt dabei, ob es am Karneval oder dem zeitgleich stattfinden Spiel von Alemannia Aachen lag.
Statt wie in der Vergangenheit Flyer zu verteilen, die keine explizit verschwörungsideologischen Inhalte enthielten, wurden am vergangenen Samstag Flugblätter verteilt die vor einem „republikfeindlichen Plan“ der „Politiker und Lobbyisten“ sowie deren neuen „totalitären Staat“ warnten. Man wolle „von Grund auf“ ein „entglobalisiertes Europa ohne E.U. Schaltzentrale“ schaffen, und zwar ohne den „Warencharakter der menschlichen Arbeit“ als „Restform der Sklaverei“. Antikapitalistisch klingende Passagen auf dem Flyer, die sich auch gegen „Börsenspekulation [...,] Willkür und Machtmissbrauch“ richteten, können dabei in den eigenen Reihen im Sinne der politischen Querfront-Strategie problemlos auch als antisemitisch konnotiert verstanden werden.
Friedensfreunde oder Friedensfeinde?
Ein AfD-Mann aus dem Kreis Euskirchen warnte am Samstag auf einem Schild vor dem Umweltschutz als „neue Religion“, eine nicht näher konkretisierte „Bevölkerungsreduktion“ sei „Teufelswerk“ und Antifaschisten seien „die neuen Folterschergen“ des heutigen politischen Systems. Ein „Reichsbürger“ aus Jüchen nutzte in Aachen das Megaphon, um seine Botschaften während des durch eine Handvoll Streifenpolizisten zwecks Verkehrsregelung begleiteten „Spaziergangs“ durch die Stadt zu verbreiten. Seine Worte erinnerten dabei stark an Reden von Vertretern der „Mahnwachen“-Bewegung, die 2014 als rechtsesoterische und teils antisemitische „Friedensbewegung“ in Erscheinung getreten war.
Diejenigen „Gelbwesten“, die ihrer Meinung nach wie schon eben jene „Mahnwachen“-Bewegung für den Weltfrieden auf die Straße gehen, diffamieren und beschimpfen zugleich auffallend oft politische Gegner und unliebsame Journalisten, besonders stark in den sozialen Medien, jedoch nicht nur dort. So bat an Karnevalssamstag ein Fotojournalist eines Netzwerkes von Fotografen aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet, das über Protestbewegungen jeglicher Art berichtet, die „Gelbwesten“ um einen der von ihnen verteilten Flyer. Einige Rechten verhöhnten den rund 80 Kilometer angereisten Fotografen, die Anmelderin sagte kurz darauf gegenüber einer Mitstreiterin und gut hörbar in einem Videolivestream: „Von mir kriegt der Wichser nix!“ (mik)