„Gelbwesten“ in Aachen: Heterogenes und bisweilen rechtsextremes Meinungs-Crossover

Aachen. Große Teile der „Gelbwesten“-Proteste gegen die Unterzeichnung des „Vertrags von Aachen“ am 22. Januar waren auf dem Markt durch Vertreter aus dem rechten politischen Spektrum geprägt. Diese Kundgebung gegen Merkel und Macron war im Vorfeld von verschiedenen Aktivisten aus dem rechten und fremdenfeindlichen Spektrum sowie Verschwörungsideologen aus ganz Deutschland mit geplant und mit organisiert worden. Am Sonntag lief dann eine kleine Gruppe von „Gelbwesten“ gut sichtbar durch die Innenstadt und verteilte Flyer.

An besagtem Dienstag haben in Aachen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Dabei kam es vor dem Rathaus zu mehreren Kundgebungen. Laut Polizei war das EU-freundliche Netzwerk „Pulse of Europe“ mit rund 150 Menschen vor Ort, zudem demonstrierten 120 Vertreter der „Gelbwesten“. Sowohl Vertreter linker Gruppen und Parteien als auch Rechtsextremisten waren in gelbe Westen gekleidet und hielten – nachdem sich mancher Irrtum der Teilnehmer über den politischen Hintergrund der Beteiligten aufgelöst hatte – getrennte Versammlungen ab.

Rechtsradikale und Rechtsextremisten, Verschwörungsgläubige und „Reichsbürger“

Unter jener Gruppe der „Gelbwesten“ waren zahlreiche Rechtsradikale und Rechtsextremisten, vereinzelt Anhänger der AfD, Antisemiten, Verschwörungsgläubige und „Reichsbürger“. Viele dieser Aktivisten, die auch schon an offen rechtsextremen und fremdenfeindlichen Versammlungen in anderen Teilen Deutschlands teilgenommen haben und den Hype der französischen „Gelbwesten“ nutzen wollen, um eine ähnliche, gleichwohl streng „patriotische“ Bewegung zu initiieren, sind am 22. Januar auch – teils mehrere hundert Kilometer weit – nach Aachen gereist und haben die „Gelbwesten“-Kundgebung letztlich dominiert.

Aufgefallen waren manche Aktivisten dabei schon als Redner auf rechten Kundgebungen sowie als fremdenfeindliche und rechtsextreme Medienaktivisten. Einige Teilnehmer waren in der Vergangenheit Mitglieder in Parteien wie „Pro NRW“ oder der NPD, andere haben heute eine Nähe zur AfD oder gehören der Partei an. Unter den Teilnehmern war ein ehemaliges „Pro NRW“-Vorstandsmitglied aus Mönchengladbach, zugleich Mitgründer der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) und einer der ersten „Gelbwesten“-Aktivisten aus dem rechten Spektrum. Medieninterviews als vermeintlich einfacher „Gelbwesten“-Anhänger gab ein extrem rechter und fremdenfeindlicher Social-Media-Aktivist aus Süddeutschland, während der junge Mann zudem das Geschehen live über Facebook streamte.

Einen weiteren Livestream via YouTube bot eine AfD-Frau aus Düren an, der Stream wurde unter der Überschrift „Protest gegen Merkel und Macron in Aachen“ über das rechte und islamfeindliche Blog „PI- News“ empfohlen. Auch das rechtsradikale Projekt „Abakus News“ um den ehemaligen Chef des AfD- Kreisverbandes Rhein-Sieg war vor Ort. Der Mann und seine Partei haben sich vor geraumer Zeit im Streit getrennt, er selbst ist u.a. nun bei den radikaleren „Patrioten NRW“ aktiv. Aus Aachen selbst nahm eine frühere „Pro NRW“-Funktionärin teil, die heute dem Seniorenrat Aachen angehört.

Die Seniorin gab dabei dem oben genannten rechten Medienaktivisten live ein Interview, der Livestream und das später daraus resultierende Video wurden über verschiedene Kanäle in den sozialen Medien tausendfach verbreitet und geteilt. Aussage der Seniorenrätin, warum sie vor Ort sei: „Hauptsächlich [bin ich] gegen diese Massenzuwanderung die [...] unsere Sozialkassen plündert.“ Über dieses Thema lasse sich auch eine inhaltliche Brücke schlagen „zu anderen politischen Kräften die sonst eher konträr [zu uns] stehen.“ Überdies kritisierte die Seniorenrätin die „kulturell bedingte Gewalt“ durch die zuvor erwähnte Zuwanderung.

„Anschauungsfreiheit“ statt Meinungsfreiheit...

Im Vorfeld hatte eine unüberschaubare Masse rechter, Verschwörungs- und Querfront-gläubiger, bisweilen antisemitischer und in Einzelfällen auch offen neonazistischer Gruppen, Einzelpersonen, Socialmedia-Channels und Blogs zu Protesten gegen den Besuch von Merkel und Macron in Aachen aufgerufen. Für die Polizei war selbst wenige Tage vor dem 22. Januar nicht genau klar gewesen, was sie diesbezüglich erwarten würde. Eine erkennbar der rechten Szene zuzuordnende Anmeldung für eine Kundgebung lag der Behörde nicht vor. Neben Gegenprotesten aus dem linken Lager war zudem eine Versammlung unter dem Motto „Menschlichkeit“ angemeldet worden. Die rechte Szene rief wenige Tage vor dem Termin dazu auf, sich dieser anzuschließen.

Anmelderin jener Kundgebung war eine Heilpraktikerin aus Roetgen. Die Frau gab zum Teil auch Medieninterviews und trat als Rednerin auf. Mit ihren Gesichtspiercings und der Langhaarfrisur inklusive Dreadlocks wirkte sie auf Linke und Polizisten zuerst wie eine Frau aus der linksalternative Szene, die von ihrer Optik her gemeinsam mit der Antifa oder den Waldbesetzern aus dem Hambacher Forst hätte anreisen können. Tatsächlich verbreitet die Anmelderin seit geraumer Zeit über soziale Medien Inhalte aus dem Bereich der Verschwörungsideologien, Inhalte der „Reichsbürger“ und solche von rechtspopulistischen bis rechtsextremen, fremdenfeindlichen Hetzportalen.

Die Roetgenerin gab am 22. Januar auch rechtsradikalen Videoaktivisten Interviews. Dabei sagte sie, den Titel „Menschlichkeit“ für die – letztlich rechte – Kundgebung habe sie gewählt, weil die „Menschlichkeit in der Welt abhanden gekommen“ sei. Es gebe keine Individualität mehr, sie umschrieb die Menschheit als eine Art einheitliche Masse und warf Merkel und Macron „Unmenschlichkeit“ vor. Man werde heutzutage „wahnsinnig manipuliert durch die Medien“, die Menschen in Deutschland würden „unterwandert und manipuliert“, das „freie Ideal und Denken des Menschen“ würde „völlig blockiert“, was auch an Merkels Hinterlistigkeit liege, so die Anmelderin in einem der Interviews. Es gebe heute keine Meinungsfreiheit mehr und sie wünsche sich eine „Zukunft, wo der Mensch frei sein kann“ und es „Anschauungsfreiheit“ gebe.

Tatsächlich klangen hierbei vage einige verschwörungsideologische Andeutungen mit – und wirkten zugleich doch angesichts der Realität skurril. Aufgenommen wurde das Video-Interview von einem auf You Tube betriebenen rechtsradikalen Channel kurz nach der Kundgebung. Zuvor waren ohne Einschränkungen Parolen wie „Merkel muss weg“, „Wir sind das Volk“ und „Volksverräter“ skandiert worden. In einem zweiten Interview hatte die Anmelderin nahezu zeitgleich im Livestream der AfD- Frau aus Düren noch überschwänglich die Polizei gelobt für deren gute Kooperation. Demnach habe ihr die in Aachen bei der Polizei angesiedelte Versammlungsbehörde als unerfahrene Organisatorin einer Demonstration oft Tipps gegeben. Der entsprechende Mitarbeiter für die Anmeldung einer Versammlung sei teils mehrfach täglich für sie telefonisch erreichbar gewesen um ihre vielen Fragen zu beantworten. Eine Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Behörden und Politik dürfte das nicht gewesen sein.

Interne Chats geben Auskunft über die politische Gesinnung

Geplant worden waren die rechtsextremen „Gelbwesten“-Proteste gegen Merkel und Macron über soziale Medien und über nicht öffentliche Chats. Einige Aktivisten vertraten dabei in ihren internen Debatten Ansichten, die man schon aus rechtsesoterischen Kreisen ähnlich der früheren „Friedensmahnwachen“-Bewegung her kennt. Nationalismus bzw. „Patriotismus“, Fremden-, Islam- und „Eliten“-Feindlichkeit, antidemokratische Einstellungen sowie dubiose Verschwörungstheorien blieben dabei Schnittstellen in dem zuweilen heterogenen Meinungs-Crossover. Dessen ungeachtet wurde kurz vor der Versammlung am 22. Januar intern bekannt gemacht, welche Parolen skandiert werden sollen und dass man die Nationalhymne singen werde. Ähnlich wie vorab kommuniziert liefen die Proteste dann auch ab – inklusive dem Absingen der Nationalhymne.

In einer für die Organisatoren maßgeblichen Chat-Gruppe waren offenbar nur eine Handvoll Aktivisten aus Aachen-Stadt bzw. der Region aktiv. Die übrigen Vertreter stammten aus Teilen NRWs und aus Rheinland-Pfalz sowie aus Süd-, Nord- und Ostdeutschland. Viele dieser Aktivisten wollen den Hype der französischen „Gelbwesten“ nutzen, um eine ähnliche, gleichwohl streng „patriotische“ Bewegung zu initiieren. Sozusagen vorab beschlossen wurde ebenso, an dem Tag auf Abstand zu bleiben gegenüber Antifaschisten („SA-ntifanten“) und Linksautonomen, gleichwohl – zu Beginn – auch die Nähe der linken, von Sahra Wagenknecht mitinitiierten „Aufstehen“-Aktivisten zu suchen, etwa um noch mehr Masse an Menschen und – vermeintliche! – Heterogenität über eigene Medienkanäle und Livestreams vortäuschen zu können.

Eben genau das hat zu Beginn bei den Protesten am 22. Januar auf dem Markt zu unübersichtlichen Überschneidungen und zuweilen auch zu Streit geführt, so dass sich die linken „Gelbwesten“ bald darauf der benachbarten Demonstration der Linksjugend anschlossen und es fortan zwei „Gelbwesten“- Lager gab. Zwischen beiden Lagern positionierten sich einige Linksautonome sowie Polizisten als eine Art Barriere, um neuerliche Provokationen und Streitereien zu unterbinden. Größer, lauter und zuweilen radikaler bzw. aggressiver trat das rechte bis offen rechtsextreme Lager der „Gelbwesten“ aber in Erscheinung.

Das hatte einen Grund, denn angereiste Vertreter aus dem beschriebenen rechten Spektrum waren sehr viel demonstrationserfahrener als die örtlichen Organisatoren. Jene Reisekader wussten aus Erfahrung, wie man auf den ersten Blick das Bild einer Querfront erzeugen kann oder sich – so das Vorhaben nicht (mehr) gelingt – von den radikalen Linken abgrenzt. Mit dieser Strategie soll in den Medien bzw. Social-Media-Channels das Demonstrationsbild je nach Möglichkeit geprägt werden.

Obschon in Aachen am 22. Januar also ein Aufmarsch von rechten bzw. rechtsextremen „Gelbwesten“- Nutzern stattfand, erreichten diese gegenüber anderen Versammlungen aus den eigenen Reihen medial gesehen eine enorme Reichweite und konnten ihre Inhalte zuweilen per Interviews unter dem Deckmantel des unzufriedenen Normalbürgers verbreiten. Medienvertreter erkannten oft diese dubiose Mischung von Personen aus verschiedenen rechten und verschwörungsideologischen Spektren nicht, umschrieben sie zuweilen sogar eher hilflos als Linke und linksalternative Kapitalismuskritiker. Der mediale Hype um das Original in Frankreich schien zu verlockend zu sein: endlich konnten die Medien vermeintlich authentisch auch deutsche Vertreter der „Bewegung“ auf dem eignen Sender zeigen. Hinzu kam offenbar ein Mangel an Wissen darüber, dass rechte Splitterparteien, Verschwörungsgläubige und verschrobene Einzelkämpfer die „Gelbwesten“ unterdessen kopieren, um so selbst Reichweite und Einfluss zu erlangen.

„Gelbwesten“-Bummel durch die Aachener City

In Aachen selbst scheint eine kleine Gruppe von „Gelbwesten“ Fuß fassen zu wollen. So berichtete kürzlich eine antifaschistische Gruppe über ein nicht öffentliches Treffen von Anhängern aus oben skizziertem Spektrum in einem Hotel, man habe sich dabei offenbar kennenlernen und Aktionen koordinieren wollen. Am Sonntag (3.2.) traf sich dann gut ein Dutzend „Gelbwesten“ – inklusive eines Hundes mit gelbem Umhang – gegenüber dem Elisenbrunnen am Eingang der Sparkasse. Nachdem man Gruppenfotos gemacht hatte spazierte die Gruppe gut sichtbar durch die Innenstadt, verteilte Werbeflyer der „Gelbwesten Aachen“ und war bemüht, mit Passanten ins Gespräch zu kommen.

In einem internen Terminkalender-Chat der bundesweiten „Gelbwesten“-Bewegung war das Treffen zuvor als „GelbWesten Demo Aachen“ angekündigt worden, als Sammelpunkt wurde der „Eliesenbrunnen“ (sic!) genannt. Teilnehmer kamen dabei u.a. aus Alsdorf, Stolberg und Herzogenrath, einige davon hatten sich am 22. Januar an den Protesten auf dem Markt beteiligt. Obschon in dem Flugblatt, das sie am Sonntag in Aachen verteilt haben mitgeteilt wurde, man sei „völlig parteilos: weder Rechts noch Links“, sind einige jener Stadtbummler in den sozialen Medien schon dadurch aufgefallen, dass sie Inhalte der AfD bzw. der nationalistischen, rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Szene verbreiten. Zwecks Austauschs dient ihnen dabei eine nicht öffentliche Facebook-Gruppe. (mik)