Impfen als Apokalypse: Dubiose Wanderausstellung „Straße des Erwachens“

Region Aachen/NRW. Seit einigen Wochen tourt, meistens an Samstagen, eine impffeindliche „Wanderausstellung“ durch Fußgängerzonen in nordrhein-westfälischen Städten. Die Aktion stammt aus einem politischen Spektrum, das zwischen Verschwörungsmythen, „Querdenken“, Esoterik und erwecktem Christentum bzw. Spiritualismus anzusiedeln ist. Eine der Hauptverantwortlichen lebt in Geilenkirchen und ein weiterer Unterstützer in Aachen. Verschwörungsgläubige bzw. Vertreter*innen der Kleinpartei „dieBasis“ in Jülich und dem Kreis Düren wollen eine Kopie in Kommunen der Region zeigen.

Der Begriff „Wanderausstellung“ umschreibt zwar das Konzept anschaulich, gleichwohl handelt es sich um keine solche. Eine Ausstellung wird didaktisch, redaktionell und wissenschaftlich konzipiert und betreut. Die als „Straße des Erwachens“ auftretende Aktion besteht jedoch aus ausgedruckten oder kopierten Berichten über Impfschäden und -tote, nicht selten aus dubiosen Quellen bzw. rechts-„alternativen“ Medien. Hinzu kommen inhaltlich passende Berichte aus seriösen Medien. Dokumentiert werden überdies Einzelschicksale von Menschen aus anderen Teilen Europas, die demnach Impfschäden erlitten oder starben, von denen aber manchmal nur ein Foto gezeigt, aber weder Namen, Ort oder Todestag mitgeteilt werden. Die „Wanderausstellung“ ist also eine laminierte Loseblattsammlung. Quellen können zuweilen nicht überprüft werden, andere sind nicht seriös.

Vorlagen aus dem populistischen Arsenal

Das Konzept hat zwei Vorbilder: Bezüglich der Kritik an der Corona-Schutzimpfung schuf vor geraumer Zeit ein Aktivist aus Bayern eine solche Aktion und nannte sie „Galerie des Grauens“. Zweite Vorlage war eine als „Mahnmal gegen das Vergessen“ bezeichnete „Leine des Grauens“ eines Rechtsradikalen, ebenso aus dem Süden Deutschlands. In den letzten Jahren wies dieser auf Gewalttaten und Morde von Migranten oder Geflüchteten hin, indem er entsprechende Berichte aus Medien, rechten Blogs und Polizeimeldungen sammelte und an Wäscheleinen „ausstellte“.

Mit seiner „Galerie des Grauens“ tourt der Senior aus Bayern seit Monaten durch Deutschland. Ende April war er in Geilenkirchen zu Gast, eingeladen von örtlichen Aktivist*innen. Dort konnte die „Galerie“ direkt vor dem Rathaus gezeigt werden, zudem wurden Reden gehalten. Der Bayer forderte dabei Bürgermeisterin Daniela Ritzerfeld in einem teils aggressiv-provokanten Ton auf, aus dem Rathaus zu kommen und sich der Debatte zu „stellen“. Als die „Galerie“ einen Tag später in Aachen am Elisenbrunnen stand, wiederholte der Senior seine Forderung, nun jedoch sollte Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen sich ihm „stellen“. Die Aufforderung wirkte in beiden Fällen eher wie eine Vorladung zu einem Tribunal, anstatt zu einem offenen Dialog.

Aachen war am 30. April 2022 auch der Ort, an dem der Bayer symbolisch eine Kopie seiner Ausstellung für Nordrhein-Westfalen (NRW) an die Frau aus Geilenkirchen, einen „Querdenker“ und FH-Dozenten aus Aachen und einen Mann aus Erkrath übergab. Das Trio sollte fortan die durch NRW wandernde „Galerie“ organisieren. Nachdem die Aktivist*innen und Impfgegner*innen im Rheinland ihre Kopie realisiert hatten – zuerst hieß sie „Galerie des Schreckens“, später „Straße des Erwachens“ – übergaben sie ebenso symbolisch Kopien an legitimierte und befugte Gleichgesinnte in Dorsten und Jülich. Dank der Weitergabe gibt es unterdessen drei Gruppen, die die Aktion landesweit streuen können.

Nähe zum (extrem) rechten Rand

In NRW war die „Galerie des Schreckens“ bzw. „Straße des Erwachens“ bisher in mehreren Städten zu sehen. Hinzu kam ein ergänzendes „Kapitel“, das die beide Inspirationsvorlagen kombinierte, bisher aber nur einmal in Witten zu sehen war. Unter dem Label „Zerstörung von Familie, Volk und Kultur“ kam ein völkischer und „identitärer“ Teil hinzu. Wittener Antifaschisten stellten dazu fest, die Wanderschau bilde von „Impfauswirkungen bis zur Umvolkung [...] die rechte [und antisemitische] Welt“ der Macher ab. Deutlich wurde so, dass Verschwörungsmythen über Corona und das Impfen nahtlos übergehen können in die völkische Erzählung über „die Zerstörung des Deutschen“ – wie es in Witten auf einem Ausdruck stand. Besagtes „Kapitel“ soll jedoch vorerst nicht mehr gezeigt werden.

„Straße des Erwachens“ am 20. August 2022 in Jülich. (Das Aufmacherfoto zeigt Aachen.) Fotos: Klarmann

 

Teilweise besteht eine Nähe zum rechten politischen Spektrum. Als die „Straße des Erwachens“ am 20. August 2022 in Jülich gezeigt wurde, wurden auch Flyer von AUF1 verteilt – ein aktionistisches, rechts-„alternatives“ Medienportal aus Österreich. Angereist war ein bekannter „Querdenken“-Aktivist aus dem Ruhrgebiet. Im März 2021 initiiert der Mann in Kassel mit u.a. einem der rechtsextremen und „Reichsbürger“-Szene nahestehenden Heinsberger eine große illegale Demo und führte diese bis zu seiner vorläufigen Festnahme mit an. In Jülich vor Ort war auch eine aus Deutschland stammende, islam- und fremdenfeindliche „Gelbwesten“-Aktivistin aus Rotterdam.

Die Frau interviewte in Jülich in einem YouTube-Livestream auch die Initiatorin aus Geilenkirchen. Teile des Filmmaterials wurden später zwecks Eigen-PR auch auf Kanälen der „Straße des Erwachens“ veröffentlicht. YouTube hingegen sperrte schon nach wenigen Stunden die Archiv-Version des Livestreams der rechten „Gelbwesten“-Aktivistin. U.a. hatte diese in ihrem Video aus den ausgehängten Berichten über echte oder vermeintliche Impfschäden vorgelesen oder sie zusammengefasst vorgetragen – und dabei die Opfer durch teils empathielose und zynische Kommentare verhöhnt bzw. sie lächerlich gemacht.

In Düsseldorf war die „Ausstellung“ Mitte Juni am Rheinufer zu sehen gewesen, wobei örtliche Mitwirkende aus den Reihen der „Corona Rebellen Düsseldorf“ (CRD) stammten. Die CRD werden vom Verfassungsschutz beobachtet, weil sie eine Nähe zu Rechtsextremen und „Reichsbürger*innen“ haben bzw. ihnen solche angehören. Wie so oft bei „Querdenker*innen“, Verschwörungsgläubigen, erweckten Christ*innen und Anhänger*innen der „dieBasis“ beklagt man sich nach außen hin zwar immer, Medien und Politiker*innen würden fälschlicherweise eine Nähe zum rechten politischen Spektrum konstruieren. Zugleich wird aber mit Aktivist*innen aus eben jenem Lager kooperiert.

Zentrale Idee der „Straße des Erwachens“ ist es, dass Impftote selbst keine Stimme mehr hätten und man diesen nun eine solche verleihen wolle – sowie ihrer gedenke. Was löblich erscheinen mag, ist zugleich auch eine Immunisierung vor Kritik, denn Kritiker*innen würden dieser Denkweise nach das Gedenken stören. Problematisch ist auch der namentliche Bezug im Titel. Er harmoniert zum einen mit der verbotenen NSDAP-Losung „Deutschland erwache!“ Zum anderen steht er für Sekten-ähnliches Denken, wonach hier Wissende und spirituelle, esoterische „Erweckte“ andere – also „Schlafschafe“, Nichtwissende und „Ungläubige“ – zum auf- oder „erwachen“ bringen.

Passant*innen müssen dort durch

Angemeldet werden die Wanderaktionen meist als Versammlungen bei den Behörden der jeweiligen Kommune. Vorab beworben oder öffentlich angekündigt werden sie oft jedoch nur intern gegenüber Mitstreiter*innen. Passant*innen sollen so ungestört durch Gegenproteste emotional oder über Redebeiträge angesprochen werden. Der Aufbau findet dabei nach Möglichkeit als „Straße“ oder Schildergasse statt. In Jülich war der Stadtort Kölnstraße – eine an Samstagen wegen des benachbarten Wochenmarktes belebte Fußgängerzone – sehr geschickt gewählt. Die Menschen mussten zwingend durch den Schlauch der „Ausstellung“ hindurch. In Hattingen säumte die „Straße“ eine Fußgängerzone und den Vorplatz eines Einkaufszentrums, so dass Einkaufswillige zwingend davon Kenntnis nehmen mussten. In Recklinghausen beschwerten sich wegen dieser Art der Präsentation Einzelhändler.

Dass es bei alldem zuweilen nicht um eine sachliche Kritik an der Corona-Schutzimpfung geht, wurde in Jülich deutlich. Neben dem oben skizzierten Konzept gab es zudem eine Komponente mit Artikeln von Impfdurchbrüchen in Altenheimen, die meist aus seriösen Medien übernommen wurden. Suggeriert wurde, dass in besagten Heimen kurz zuvor Bewohner*innen und Pflegende geimpft worden seien und die Impfung nicht schütze oder sogar die Gefahr einer Ansteckung potenziere. In Redebeiträgen wurde in Jülich überdies behauptet, dass Geimpfte ansteckender seien als Nicht-Geimpfte bzw. Geimpfte über ihre Haut oder ihren Schweiß Partikel mit Stoffen ausscheiden würden, die für Ungeimpfte gefährlich seien. (mik)