Das „Querdenken“: Antifaschismus als billig inszenierte Farce

Aachen. Man musste genau zuhören, um den Text zu verstehen, der aus den Boxen an einem Fiat mit Düsseldorfer Kennzeichen erklang. Zur Melodie der Hymne italienischer Partisanen im Zweiten Weltkrieg, die gegen Nationalsozialisten und Faschisten kämpften, also zur Melodie des antifaschistischen Kampflieds „Bella Ciao“, heißt es: „Hey Corona, wir haben keinen Bock mehr, Corona Ciao, Corona Ciao, Corona Ciao Ciao Ciao…“ In dem PKW saßen drei „Querdenker*innen“ bzw. „Corona Rebellen“, darunter ein Mann der seit Jahren in der rechtsextremen Szene im Rheinland und im Ruhrgebiet aktiv ist.

Abgespielt wurde der Song wiederholt bei einem Autokorso von „Querdenkern“ am Freitag, organisiert von einem Mann aus dem Hochsauerlandkreis. Begleitet von einem immensen Polizeiaufgebot, nahmen daran in Aachen weniger als 20 PKW teil. Angemeldet worden waren bei der Versammlungsbehörde zuvor 150 Wagen. Der Autokorso führte überwiegend über die Außenringe und nur selten durch Teile der Innenstadt. Er war als Einstimmung und Werbung gedacht für die als „Großdemo“ beworbene Kundgebung am 24. April neben dem Eurogress. Immer wieder kam es an dem Wochenende zu Inszenierungen als – vermeintliche – Antifaschist*innen, was angesichts mancher Teilnehmenden und Redner*innen irritiert.

In Aachen versammelten sich an jenem Samstag im Kurgarten bis zu 400 Menschen bei der Kundgebung von „Querdenken“. Ursprünglich erwartet hatte man 1.500 Demonstrierende, auch weil der Gründer der Bewegung, Michael Ballweg, aus Stuttgart angereist war und eine Rede hielt. Zudem trat Max Otte, bis Anfang Januar noch Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, als Redner auf. Unter den Menschen waren Linksalternative, Vertreter*innen der Partei Die Linke, Verschwörungsgläubige, radikale Impfgegner*innen und Esoteriker*innen sowie AfD-Mitglieder und vereinzelt auch „Reichsbürger“ und Rechtsextremist*innen.

Wenn die Demokratie Faschismus sein soll, was ist dann Antifaschismus?

Viele waren eigens angereist. So war etwa Markus Wiener vor Ort, einst Funktionär und Politiker der unterdessen aufgelösten rechtsradikalen Parteien „Pro NRW“ und „Pro Köln“ sowie zeitweise für einen nordrhein-westfälischen AfD-Landtagsabgeordneten tätig. Ebenso vor Ort: Florian Josef Hoffmann, AfD-Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters in Düsseldorf bei der letzten Kommunalwahl. Hoffmann glaubt, dass eine Verschwörung hinter der Pandemie stehe und fiel vor der Wahl durch einen kruden Holocaust-Vergleich auf einer Demonstration der rechtsaußen stehenden „Corona Rebellen Düsseldorf“ auf. Rund eine Woche vor der Wahl distanzierte sich daher sogar der Vorstand des AfD-Kreisverbands von Hoffmann als eigenen Kandidaten.

Die Kundgebung im Aachener Kurgarten selbst verlief zwar ohne größere Zwischenfälle. Gleichwohl leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen eine „Querdenkerin“ ein. Sie hatte auf einem Plakat mittels einer Fotomontage SS-Männer und Polizisten gleichgesetzt. Auf der Collage war links die Hälfte eines Mannes in SS-Uniform zu sehen, inklusive der verbotenen SS-Runen am Kragen und dem SS-Totenkopf auf der Mütze; die andere Hälfte des Bildes zeigte einen Polizisten in aktueller Uniform. Begleitzeile: „Ich führe nur Befehle aus.“

Immer wieder verglichen auch Redner die Demokratie heute mit einer Diktatur, riefen zum Widerstand und Freiheitskampf auf. Was bedeutet dann aber die Inszenierung als Antifaschisten? Etwa nur ein Kampf gegen „Merkel und ihre Verbrecherbande“, wie es ein Redner umschrieb, sowie die Bekämpfung der als „Faschismus“ und „Diktatur“ diffamierten Politik? Der Gründer der unterdessen vom baden-württembergischen Verfassungsschutz beobachteten „Querdenken“-Bewegung, Ballweg, sagte: Eine Bewegung wie seine, die für Freiheitsrechte kämpfe, könne per se gar nicht rechts sein. Als wäre der Kampf um die Freiheit, etwa gegen mächtige Kräfte und Eliten, die im Hintergrund angeblich Strippen ziehen, nicht einer der zentralen Propagandatricks historischer und aktueller rechter bis rechtsextremer Bewegungen und Parteien.

Der vermeintliche Kampf gegen „Nazis“

Ballweg trat in Aachen auf mit einer Mütze auf der die antifaschistische Losung „FKC NZS“ („Fuck Nazis!“) stand. Ungeachtet der Widersprüchlichkeit, vor welchem Publikum Ballweg sprach, hatte er vor kurzem erst dem rechtsextremen „Compact“-Magazin ein Interview gegeben. Zudem nahm der Stuttgarter kürzlich an einem Livestream des Schweizer Rechtsextremisten Ignaz Bearth teil. Im Herbst 2020 hatte sich Ballweg mit einem prominenten „Reichsbürger“ getroffen.

 

Die Kundgebung in Aachen besuchte am Samstag auch der rechtsextreme „Reichsbürger“ Sascha V. aus Jüchen, der als Rapper „Master Spitter“ auftritt und immer wieder bei den Protesten der „Querdenker“ und „Corona Rebellen“ mitwirkt. Anders als noch am 20. Februar trat V. diesmal in Aachen nicht auf. Gleichwohl bewegte er sich erneut nahe der Verantwortlichen. Dabei trug er ein T-Shirt mit dem Logo der „Antifaschistischen Aktion“, allerdings zusätzlich mit dem Hinweis bedruckt, er und seine Mitstreiter*innen seien die „wirklichen“ Antifaschisten. Unter dem Logo war ein auf den Kopf stehendes Peace-Zeichen aufgedruckt – und glich so weniger dem Symbol der Friedensbewegung, als vielmehr einer völkischen Lebensrune in einem Kreis.

Fast schon hippiesk leitete Max Otte seine Rede in Aachen als Gitarrist und Sänger ein und spielte den Klassiker und Protestsong der Band „bots“ aus den Zeiten der linken und antifaschistischen Alt-68er, „Sieben Tage lang“ („Was wollen wir trinken?“). Otte war nicht nur in der AfD-nahen Stiftung neben der höchst umstrittenen ehemaligen CDU-Politikerin Erika Steinbach aktiv, sondern er ist Unternehmer, Fondsmanager und Publizist. Zudem gehört er der Werteunion von CDU-Mitgliedern an, einer Vereinigung am äußerst rechten Rand der CDU. Nebenbei empfahl Otte in seiner Rede dem Auditorium aber auch die Lektüre des Werks „Das Kapital“ von Karl Marx.

Die „Antifaschistische Aktion“ als Inszenierung

Denkwürdige Szenen gab es auf der Kundgebung auch andere. So nahmen auch ein junger Mann mit der Fahne der „Antifaschistischen Aktion“ und eine junge Frau in einem T-Shirt mit Antifa-Losung teil. Der Mann stand plötzlich auf der Bühne und rief die rund 200 antifaschistischen Gegendemonstrant*innen am benachbarten Eurogress dazu auf, sich im Kampf gegen die „Diktatur“ mit „Querdenken“ zu vereinen. Es wirkte wie ein Schritt hin zur Verbrüderung, gleichwohl war das Schauspiel inszeniert. Der „Antifaschist“ war teilweise im Backstage-Bereich aktiv und bei Ottes Rede als Tontechniker auf der Bühne zugegen. Seine Begleiterin war mit „Querdenkern“ aus Recklinghausen angereist. Beide fungierten bei der Kundgebung zudem als Ordner*innen.

Immer wieder animierte der aus Köln angereiste „Lifestyler“ und Moderator Nana D. die Menschen dazu, die Worte „Frieden“ und „Freiheit“ zu skandieren. D. ist Afrodeutscher und scheint daher keinerlei Nähe zum Rechtsextremismus haben zu können. Dunkle Hautfarbe hat auch der aus Hagen angereiste „Querdenker“ Daniel I., der als Liedermacher auf Kundgebungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen seit langem immer wieder seinen Song gegen „die Antifa“ singt. Am Ende der Kundgebung in Aachen spielte er indes „Bella Ciao“, mehr oder weniger mit Originaltext. Er widmete den Song dabei den „Corona-Partigiano“ vor der Bühne.

Teile des Publikums begannen bei dem Lied sofort ausgelassen zu tanzen. Selbst jene Veranstalter von Kundgebungen in Aachen, die etwa im Januar den AfD-nahen, rechten und verschwörungsideologischen Medienaktivisten Thorsten „Silberjunge“ Schulte aus Hamm sowie den mit antisemitischen Stereotypen spielenden „Querdenken“-Redner Daniel Langhans aus Ulm eingeladen hatten, tanzten am Samstag ausgelassen im Kurgarten zu der antifaschistischen Hymne. Einige sangen auch lautstark mit.

„Lifestyler“ Nana D. sprang von der Bühne und tanzte ebenso ausgelassen durch das Publikum. Wie bizarr dieses Treiben war, versteht nur, wer weiß, dass der Afrodeutsche über Jahre unkritische Videos mit einem Neonazi-Strategen und bekannten Rechtsrock-Musiker aus dem Rhein-Sieg-Kreis und mit NPD-Politikern aufgenommen und unter dem Label „Multikulti trifft Nationalismus“ veröffentlicht hat. Ist Nana D. also ein Antifaschist? Oder kann er sich als „Lifestyler“ und „Spassmacher“ nur gut bei „Bella Ciao“ in Szene setzen?

Immer wieder nie wieder Faschismus

Rund zwei Stunden nach Ende der Kundgebung im Kurpark fand am Samstag noch eine kleine Abschlussversammlung von Verschwörungsgläubigen und „Querdenkern“ auf dem Markt statt. Daran nahm zeitweise auch der AfD-Chef aus Aachen, Ratsmann Markus Mohr, teil. Mohr stand dem rechtsextremen „Flügel“ der AfD nahe, bevor die Vereinigung sich offiziell auflöste. Auch Sascha V. und andere „Reichsbürger“ waren auf dem Markt. Eine rechtsradikale Medienaktivistin aus Düren streamte die Versammlung mit rund 50 Menschen live im Internet, hämische Kommentare aus dem Off gegen die hier noch rund 30 antifaschistischen Gegendemonstrant*innen inbegriffen.

Zu Beginn dieser kleinen Kundgebung wurde ausgelassen zu einem neuen Soundtrack der Bewegung getanzt und dessen Refrain „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ laut mitgesungen. Ein „Selbstdenker“ und Esoteriker aus Aachen hielt immer wieder ein selbst gemaltes Schild mit der Aufschrift „Nie wieder Faschismus!“ hoch. Dem bunten Treiben schlossen sich auch einige der Rechtsextremisten und „Reichsbürger“ an. Und am Ende der Kundgebung vor dem Rathaus stimmte Daniel I. abermals sein Schmählied gegen die Gegendemonstrant*innen an. Viele Teilnehmer*innen sangen mit. Insgesamt wirkte manches an diesem Wochenende also wie eine äußerst schlecht inszenierte, in mehreren Akten aufgeführte Farce. (mik)