Kommentar: Rechtsextreme Ambivalenz und Doppelmoral in Sachen Rauschzustand
Aachen/Region. Der Prozess gegen fünf Rechtsextremisten am Landgericht Aachen wegen bandenmäßigen Drogenhandels bringt die Doppelmoral in der braunen Szene zum Vorschein. Während dort offiziell Drogenkonsum verteufelt wird, man politischen Gegnern Schwachsinn und Unzurechnungsfähigkeit infolge des Drogenkonsums vorwirft sowie zum Teil die Todesstrafe für Drogenhandel fordert, frönen manche „Kameraden“ hedonistisch ihrem Rausch.
Wie berichtet dürfte es schwer sein, den Angeklagten allen zu beweisen, dass oder ob sie überhaupt Teil einer Bande waren, die von Aachen aus arbeitsteilig Drogen über das Darknet vertrieben hat. In dem Haus in Aachen-Brand, das Mitte 2017 ein SEK stürmte und aus dem mindestens ein geständiger Angeklagter mit noch unbekannten Personen jenen Handel mit Amphetamin, Haschisch und Ecstasy mit betrieben haben soll, wurde indes von einigen der Angeklagten zuweilen täglich gekifft. Mindestens drei der fünf Angeklagten haben zugegeben, regelmäßig dort und andernorts – etwa bei gemeinsamen Feiern – mit anderen „Kameraden“ und rechtsoffenen Hooligans gekifft zu haben. Im selben Zeitraum wurde rechtsextremen Propaganda verbreitet, sich an Schlägereien mit politischen Gegnern oder Aktionen der „Identitäten Bewegung“ (IB) und des „Syndikat 52“ (S52) beteiligt.
Einige Angeklagte gaben zu, manchmal auch andere Rauschmittel ausprobiert zu haben. Da man die Substanzen indes oft nicht vertragen hat, blieb man dem Kiffen treu oder gönnte sich allenfalls manchmal Kokain. Schon in früheren Prozessen gegen Neonazis aus der Region war aufgefallen, dass einige „Kameraden“ Kiffer waren oder Aufputschmittel konsumierten. Der nun Hauptangeklagte, Sohn einer Familie mit Neonazis, deren Mitglieder zum Teil seit Jahrzehnten führend in der braunen Szene aktiv sind, gab am Landgericht zu, sich privat finanziell verzockt zu haben. Die Möglichkeit, wieder schuldenfrei leben zu können, sah er im Drogenhandel. Er wurde zum Mittelsmann bislang unbekannter Kompagnons. Er selbst kiffte regelmäßig, manchmal schon vor dem Frühstück. In dem Haus in Brand fanden ansonsten rechte Meetings statt, wurden laut Zeugen Busreisen zu Aufmärschen und Konzerten organisiert und lagen Flyer oder Aufkleber von S52, IB oder der neonazistischen Splitterpartei „Die Rechte“ aus.
Auch die rechtsoffene Hooliganszene, zuweilen als „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) aufgefallen, kennt sich mit Drogen aus. Um die stundenlangen Auswärtsfahrten zu Spielen der eigenen Mannschaft durchzuhalten, dabei Alkohol trinken zu können und körperlich agil zu bleiben, schnupft man zuweilen Kokain. Die Droge gilt unter Hools aber auch als Doping, es macht sie wagemutiger, aggressiver und schmerzunempfindlicher. Was Vertreter aus der braunen Szene sonst gegenüber der für sie als dekadent geltenden Gesellschaft anprangern, nutzen die „Kameraden“ aus der rechten Hooligan-Szene zwecks Leistungssteigerung. Die günstigen Geschwister des Koks heißen in dieser Szene Speed und Amphetamine.
Der erhobene Zeigefinger über den Drogenkonsum und -handel ist im Grenzland wahrscheinlich eher unangebracht. Was legalisiert werden oder strafbar bleiben soll unter den Betäubungsmitteln entscheidet der Gesetzgeber. Um eine moralische Debatte bezüglich des Rauschs soll es auch nun gar nicht gehen. Doch bestimmte Kreise werfen in ihrem politischen Meinungskampf den Medien vor, wenn schon keine „Lügenpresse“ so doch eine „Lückenpresse“ zu sein. Die Medien, meint man in der rechten Szene, ließen bewusst Dinge unerwähnt und würden so die Wahrheit verfälschen.
In Aachen stehen seit Februar „Kameraden“ vor Gericht, die oder deren politischen Gruppierungen zum Teil selbst Medienschaffenden derlei vorgeworfen haben. In ihren Aussagen gaben sie nun teilweise zu, was sie bislang der politischen Hygiene wegen gegenüber manchen „Kameraden“ verschwiegen haben, während andere Rechtsextremisten davon wussten, es aber schlicht duldeten oder peinlich berührt weg schauten. Jene „Kameraden“ waren doch ansonsten – zum Teil führend – engagiert und wegen ihrer Schlagfertigkeit bei Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern unverzichtbar. Der Konsum von Hasch und Kokain spielte dabei meist keine Rolle, während man zugleich den Linken wegen deren Drogenkonsum Irrsinn und ein „entartetes“ Leben attestierte. (mik)