Klüngel bei nicht Etablierten: Ein Streit bei „Dein Stolberg“

Stolberg/Aachen. Eine demokratische Gesellschaft hält vieles aus. Neue Parteien, etwaige Abspaltungen und lokale Wählerinitiativen beflügeln den demokratischen Diskurs und setzen neue Akzente – unabhängig von der jeweiligen politischen Ausrichtung. Allerdings kann das alles auch zermürbende gesellschaftliche Prozesse auslösen, etwa dann, wenn lokale, berufliche und politische Verflechtungen bestehen. Zuweilen wird ein eskalierender Streit auch ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Dann kann die Demokratie Schaden nehmen. Bei den AfD-Abtrünnigen „Dein Stolberg“ hängt der Haussegen schief.

Kurz nach den Kommunalwahlen 2020 verließen in Stolberg zwei für die AfD neu in den Stadtrat gewählte Mandatsträger – zugleich ehemalige Funktionäre – und weitere Mitglieder der AfD die Partei. Als Hintergrund genannt wurden u.a. dubiose Ränke- und Machtspiele, aber auch die Aufnahme neuer Mitglieder im AfD-Kreisverband Städteregion mit zu rechten bzw. zu extremen Ansichten. AfD-Funktionäre bezichtigten hingegen die Abtrünnigen, sie hätten versucht, an Macht zu gewinnen. Als dies scheiterte, sei ihnen klar geworden, dass sie in der Partei keine Zukunft mehr hätten. Letztlich hätten sie daher die AfD verlassen. Ein Austritt sei eine letzte Chance, „um für Aufsehen zu sorgen“.

Im Stadtrat von Stolberg resultierte aus diesem Disput die Fraktion „Dein Stolberg“. Sie war bedacht darum, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben und wollte keine Radikalopposition darstellen. Auf lokaler Ebene wollte „Dein Stolberg“ für die Menschen ansprechbar sein. Ein Medienunternehmer und ein Informatiker gründeten die Ratsgruppe, ein weiterer Medienunternehmer und dessen Ehefrau fungierten als sachkundige Bürger*innen. Letztgenannter Unternehmer übernahm den Posten des Geschäftsführers der Fraktion. Die Protagonisten sind lokal über ihre Unternehmen, beruflichen Tätigkeiten oder politischen Ämter gut vernetzt mit der übrigen Lokalpolitik, Geschäftswelt und Zivilgesellschaft.

Das diffus Eckige muss ins konkret Runde

Manches bei „Dein Stolberg“ wirkte schon länger diffus. Während die Ratsleute formal in Stolberg Abstand von der AfD oder der „Querdenken“-Partei „dieBasis“ hielten, war einer der Ratsmänner zumindest kurzzeitig, aber der Fraktionsgeschäftsführer über Monate in die Proteste von „Querdenker*innen“ und Impfgegner*innen in Aachen und Eschweiler involviert. Am 9. Januar 2022 trugen etwa führende Vertreter*innen der AfD und solche von „Dein Stolberg“ bei einem „Spaziergang“ in Eschweiler gemeinsam das Fronttransparent der AfD mit der Losung „Wir sind die rote Linie“.

Der Geschäftsführer der „Dein Stolberg“-Faktion – früher selbst AfD-Mitglied – orchestrierte bei Protesten in Aachen u.a. auch den AfD(-nahen) Block per Megaphon und fiel Anfang 2022 auch dadurch auf, dass er im Umfeld einer antifaschistischen Gegendemonstration vor dem Stadttheater Film- und Fotoaufnahmen im Stile der „Anti-Antifa-Arbeit“ fertigte. Das Material wurde später am Abend in einem Telegram-Chat der städteregionalen „Querdenken“-Szene verbreitet. Ein Handyvideo des Stolbergers über Dreharbeiten des WDR, bei dem AfD-Leute sich als besorgte Bürger*innen inszenierten, verbreitete er später ebenso in einem Szene-Chat.

Der Fraktionsgeschäftsführer war auch im Umfeld respektive bei der dubiosen Kleinpartei „dieBasis“ engagiert. Schon für eine Demonstration im Dezember 2021 in Aachen waren in seiner Firma mehrere Trageschilder angefertigt worden. Diese brachte er mit einem AfD-Mann mit zu der Kundgebung gegen das Impfen. Auf einem der Schilder war in Anlehnung an die zynische und weltweit bekannte Inschrift im Konzentrations- und Massenvernichtungslager Auschwitz („Arbeit macht frei!“) zu lesen: „Impfen macht frei – für 9 Monate.“ Die Polizei leitete Ermittlungen ein.

Januar 2022: Impfgegner ziehen durch Aachen. Im Block der „dieBasis“ und dem später folgenden der AfD jeweils Schilder Stolberger Prägung. (Foto: Klarmann)

Weil die vorgefertigten Plakate aus der AfD(-nahen) Gruppe jedoch beidseitig bedruckt waren, entfernte man von der einen Seite des Schildes Papierfetzen, so dass die umstrittene Losung unkenntlich war und die Frontseite des Trageschildes weiter legal von AfD-Leuten und dem Geschäftsführer der „Dein Stolberg“-Fraktion selbst mitgeführt werden konnte. Im Januar 2022 soll dann die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen des Schildes formal eingestellt haben. Offenbar waren die Parole und die Machart des Plakates – anders als in anderen Fällen – weder farblich noch bildlich o.ä. mit dem Nationalsozialismus, den Konzentrationslagern und der Judenverfolgung konkret genug bildlich verwoben.

Legal, illegal, Implosion, Explosion

Inwiefern die politische Außenwirkung gerade des Geschäftsführers bei der und rund um die „Dein Stolberg“-Ratsfraktion zu Debatten führte, ist unklar. Gleichwohl kam es Mitte 2022 in anderen Belangen zu einem völlig aus dem Ruder laufenden Streit. „Die Lage scheint konfus, die Trennung von Fakten und Vorwürfen für den Außenstehenden kaum möglich“, stellte die Lokalzeitung dazu in einem ersten Bericht fest.

Hintergrund war, dass der Geschäftsführer der Fraktion sich von dieser losgesagt haben wollte und Strafanzeige wegen mehrerer Vorwürfe erstattet hatte. Seinen Angaben zufolge seien öffentliche Gelder bezogen worden für Fraktionsarbeiten bzw. -sitzungen, die nicht stattfanden. Da ein Fraktionsmitglied zeitweise Sozialbezüge erhalten habe, lag nach Meinung des nunmehr Ex-Geschäftsführers zudem ein weiterer Betrug vor, weil Fraktionsgelder gegenüber den Sozialbehörden verheimlicht worden seien.

Die beiden Ratsleute hielten sich wegen des laufenden Verfahrens zwar überwiegend bedeckt. Sie bewerteten das Vorgehen ihres früheren Mitstreiters allerdings als Racheakt, weil man den Mann zuvor schon entlassen haben wollte. Die Lokalzeitung zitiert sie mit den Worten: „Für die Kündigung lagen mehrere Gründe vor. Einen Rücktritt gab es nicht.“ Öffentlich wurden politische Differenzen bei alldem vorerst nicht thematisiert. Das Gesamtbild glich indes dem von zerstrittenen Kleinstparteien oder lokalen Initiativen, bei denen man sich zuvor noch miteinander arrangiert hatte.

Ähnlich wie bei anderen Splitterparteien oder Wählerinitiativen, bei denen politische Verstimmungen oder finanzielle Unregelmäßigkeiten auftraten, folgte auch in der Kupferstadt eine öffentliche Schlammschlacht. Hatten sich etwa die beiden Fraktionsmitglieder von der AfD gelöst, unterhielt ihr Geschäftsführer weiter Kontakte zu Mitgliedern und Anhängern der Partei. Er unterhielt sporadisch auch Geschäftsbeziehungen zur AfD und „dieBasis“. Der Medienunternehmer war über Monate in die Proteste gegen das Impfen bzw. gegen die Impfpflicht involviert (s.o.). Andererseits war zeitweise auch ein Ratsmann von „Dein Stolberg“ mit dem Medienunternehmer beruflich verbunden. Später baute der Lokalpolitiker ein eigenes Geschäft auf.

Klüngel ganz wie bei den Etablierten?

Der eine Medienunternehmer kritisierte bei seinem Abschied von „Dein Stolberg“ zudem laut Lokalzeitung den anderen Medienunternehmer, also ein Ratsmitglied. Der Mann betreibt das Online-Netzwerk „Mein Stolberg“ – eine wirkmächtige, manchmal populistische, zuweilen boulevardeske lokale Nachrichtenplattform. Er, so lautete die Kritik, nutze sein Wissen als Lokalpolitiker für die inhaltliche und werbewirksame Bestückung seiner Plattform. Der Kritisierte teilte hingegen schriftlich mit: „Ich trenne mein Ratsmandat und die Berichterstattung [...] strikt und greife deshalb auch keine nicht öffentlichen Inhalte in der Berichterstattung auf.“

Derzeit steht eine rechtliche Aufarbeitung und Würdigung in der Causa „Dein Stolberg“ aus. Die Fraktion verlor neben seinem Geschäftsführer ebenso sachkundige Bürger*innen. Laut Lokalzeitung sollen zudem Gelder von diesen an die Stadt zurückgezahlt worden sein. Nach Aussage des ehemaligen Fraktionsgeschäftsführers soll es sich dabei um solche handeln, die im Zuge des von ihm angezeigten Betrugs zuvor an ihn und seine Ehefrau ausgezahlt worden seien. Und zwar für jene Fraktionssitzungen, die niemals stattgefunden hätten. (mik)