Hintergrund: Bauernproteste und die rechte und verschwörungsideologische Szene
Region Aachen. Mit ihren Protestaktionen und solchen von Unterstützer*innen legten die Bauernproteste vor allem am ersten Tag ihrer Aktionswoche den Verkehr in der Region lahm. Obwohl sich Bauernverband und Kreisbauernschaft von der rechten und verschwörungsideologischen Szene distanziert hatten, störte das deren Vertreter*innen zunächst kaum. Teilweise waren sie bei Aktionen in der Region anwesend – manche fanden die Protestformen indes zu bieder und sind nun enttäuscht.
Kurz vor Beginn der Protestwoche überschlugen sich am 4. Januar die Ereignisse: Die Bundesregierung kündigte an, geplante Subventionskürzungen und das Auslaufen einiger Steuerbefreiungen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe teilweise zurückzunehmen. Fast zeitgleich blockierten mehr als hundert Landwirte die Rückreise von Wirtschaftsminister Robert Habeck aus einem privaten Kurzurlaub. Sie belagerten am Donnerstagabend den Anleger des Fährhafens Schüttsiel. Die Bauern, Fuhrunternehmer und Handwerker ließen Habeck nicht an Land, wollten sogar die Fähre entern.
Schon in diesem Moment war bekannt, dass das aus der Pandemie hervorgegangene Protestmilieu aus Verschwörungsgläubigen, „Querdenker*innen“, Rechten bis Rechtsextremen, AfD-Anhänger*innen und „Reichsbürger*innen“ völlig euphorisiert war. Das in Westdeutschland eher isolierte, im Osten deutlich schlagkräftigere Protestspektrum vermittelt seitdem das Bild, man werde sich an den ab dem 8. Januar weiter anwachsenden Bauernprotesten beteiligen. Teilweise hoffte man, diese in einigen Regionen zu majorisieren, die Deutungshoheit zu gewinnen und äußerte immer wieder auch Umsturzfantasien. Die Bauernschaft schien dabei die Dynamik und die neuen Netzwerke von Influencern und Medienaktivisten aus dem landwirtschaftlichen oder unternehmerischen Umfeld unterschätzt zu haben.
Angesichts der massiven Proteste der Landwirte rief jene heterogene Szene noch vor Weihnachten zum „Generalstreik“ auf und forderte alle Bürger*innen auf, an diesem Tag die Arbeit zu verweigern. Die Gemengelage ist dabei nicht zu unterschätzen, gemeinsames Feindbild ist die Bundesregierung und die Ampelkoalition. Hauptgegner sind aber SPD und Bündnis-Grüne. Da weite Teile der Bevölkerung und insbesondere eine sich radikalisierende Mittelschicht sowie ein ebensolcher Mittelstand Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Habeck „weghaben“ wollen, hoffte das Protestmilieu und die rechtsextreme Szene einmal mehr – siehe die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und die Impfpflicht – breite Bevölkerungsschichten ansprechen zu können.
Schon am 23. Dezember sah sich der Bauernverband angesichts all dessen offenbar genötigt, in den sozialen Netzwerken zu verkünden: „Demonstrieren? Ja. Aber wir stehen für friedlichen und demokratischen Protest! In aller Deutlichkeit distanzieren wir uns von extremen Randgruppen, die unsere Aktionswoche kapern wollen. Nicht mit uns!“ Kritiker*innen wiesen darauf hin, dass einige Vertreter*innen der Landwirtschaft, des Handwerks und des Transportgewerbes seit langem mit dem beschriebenen Protestmilieu und der AfD sowie den Freien Wählern anbändeln oder gar kooperieren.
Nur ein Verbrennerstreik...?
Sprichwörtlich schon zwischen den Jahren und vor allem ab Neujahr kursierten nicht nur Aufrufe zu regionalen Protesten aus dem bäuerlichen Bereich, sondern auch solche zu „Solidaritätsaktionen“ aus dem bürgerlichen Spektrum. Bereits zu diesem Zeitpunkt riefen auch Rechtsradikale und Rechtsextremisten in Szene-Chats zu einem „Fahrstreik“ in Düren auf. Ziel der bis zuletzt unangemeldeten Aktion, an der schließlich rund 500 Fahrzeuge teilnahmen, war es, die Autobahn rund um Düren in beiden Fahrtrichtungen zu blockieren. Die Kreisbauernschaft Düren distanzierte sich frühzeitig von dem „Fahrstreik“.
Andere Vertreter*innen der Bauernschaft warnten zudem vor „Trittbrettfahrern“, die die Bauerndemos nur für ihre eigenen Protestziele nutzen wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits fast alle AfD-Kreisverbände im westlichen Rheinland sowie zahlreiche Funktionäre und Kommunalpolitiker*innen unter anderem in den sozialen Netzwerken massiv zur Unterstützung der Bauernproteste und zum „Generalstreik“ am 8. Januar aufgerufen. Längst inszenierte sich die AfD dabei als Quasi-Bauernpartei, obwohl sie selbst eher für einen freien Markt und gegen Subventionen eintritt. Auch Handwerksbetriebe und Fuhrunternehmen schlossen sich den Aufrufen an. Auch alle anderen Fahrzeugtypen wurden explizit zur Teilnahme aufgerufen.
Teilweise entstand der Eindruck, Teile der bürgerlichen Mitte wollten nicht aus Solidarität mit der Land- und Forstwirtschaft demonstrieren, sondern zur Rettung des Verbrennungsmotors und der fossilen Energieträger. Es wurde zudem bekannt, dass sich Personen aus dem eingangs beschriebenen Protestmilieu und dem AfD-Umfeld in regionalen Organisationschats und Facebook-Gruppen einklinkten und die Stimmung dort anheizten. So mussten in einigen Chats immer wieder aggressive Nutzer*innen gesperrt werden oder nur noch Administrator*innen durften organisatorische Inhalte veröffentlichen. Die Situation war hochdynamisch und teilweise unübersichtlich.
Zum Auftakt der Aktionswoche der Bauernproteste verbreitete die regionale (extrem) rechte und verschwörungsideologische Szene ab dem 7. Januar erneut massiv Aufrufe und lokale Termine zu den Protesten. Auf nahezu allen Telegram-Kanälen, in Chats und auf Socialmedia-Profilen der Szene und der AfD- respektive der „dieBasis“-Verbände im westlichen Rheinland wurde zu den Protesten aufgerufen. Daher war es nicht verwunderlich, dass Vertreter*innen aus diesem politischen Spektrum ab Montagmorgen auch an den Protesten teilnahmen oder diese in einem Fall sogar mit prägten.
Der illegale „Fahrstreik“ und das rechte Spektrum
So streamte eine rechtsradikale und verschwörungsideologische Medienaktivistin aus Düren den „Fahrstreik“ am frühen Morgen des 8. Januar. Dabei interviewte sie den Kreisvorsitzenden und Landtagsabgeordneten der AfD, Klaus Esser. Dieser sagte im Livestream vor Beginn der geplanten, aber von der Polizei verhinderten Autobahnblockade, die AfD verteile „Kaffee und Wärmemittel“ an die Teilnehmer*innen, nehme zudem mit mehreren Fahrzeugen teil und leiste „Streckendienst“. Vertreter*innen des dem Kreisverband angehörenden Stadtverbandes Heimbach wollen politisch klar erkennbar mit Mützen und Jacken in den Parteifarben vor Ort gewesen sein – inklusive Logo und Schriftzug der AfD.
Später konnte die Medienaktivistin auf einem der teilnehmenden LKWs eines namhaften Unternehmens mitfahren – die Firma war wiederholt wegen Plakataktionen gegen die Bündnis-Grünen und den rot-grünen Teil der Ampelkoalition in die Schlagzeilen geraten. Jedoch wurde der „Fahrstreik“ zunächst von der Polizei blockiert, da sich trotz tagelanger Planung, aber mangels polizeilicher Anmeldung kein Versammlungsleiter zu erkennen geben wollte. Vor Ort waren vor allem Fahrzeuge von Unternehmer*innen und PKW, zudem auch landwirtschaftliche Fahrzeuge. Mit einiger Verspätung konnte der „Fahrstreik“ dann doch noch starten, wobei die Polizei trotz kooptiertem Verbot auf die A4 zu fahren weiterhin verhindern musste, dass die Kolonne bzw. Kleingruppen von Fahrzeugen versuchten, auf die Autobahn zu fahren.
In der gesamten Region kam es zu diesem Zeitpunkt durch zahlreiche angemeldete Protestaktionen und Traktorkorsos zu erheblichen Verkehrsbehinderungen. An mindestens zwei Aktionen in Aachen beteiligten sich auch Anhänger*innen der rechten Szene. An einem von Handwerker*innen, Fuhrunternehmer*innen und Traktoren geprägten Korso nahmen auch Rechtsextremisten und AfD-Anhänger bzw. -Funktionäre aus Eschweiler und Stolberg mit PKW und Motorrollern teil. Bei einem anderen Korso in Aachen, an dem überwiegend (auch namhafte) Handwerksbetriebe und Unternehmen teilnahmen, wurde auf einem Traktor eine Puppe an einem Galgen mitgeführt. Ein Geländewagen mit teilweise militärischem Aussehen fuhr mit einer umgedrehten Deutschlandfahne (u.a. ein Symbol der „Reichsbürger*innen“-Szene) am Heck. Ein Handwerker hatte seinen Anhänger mit zwei rechtsextremistischen Bannern und einem Galgen geschmückt, an dem die Ampel als Symbol für die Koalition zu erkennen war.
Am Mittag des 8. Januar fuhren dann mehrere Fahrzeugkolonnen mit Landwirten, Transportunternehmer*innen und Handwerker*innen aus der gesamten Region zur zentralen Kundgebung der Kreisbauernschaft zum Tivoli. An der Kundgebung selbst nahmen etwa 200 bis 250 Personen teil – die Lokalzeitung meldete 400 Teilnehmer*innen. Auf der Bühne sprachen unter anderem Bundestagsabgeordnete von CDU, SPD und FDP. Die Redner*innen der Regierungskoalition wurden teilweise ausgebuht.
Querfront-Redner dank verhindertem MdB
Da alle regionalen Bundestagsabgeordneten als Redner*innen angefragt waren, sollte zunächst auch Andrej Hunko (Ex-Linke, jetzt Bündnis Sahra Wagenknecht) sprechen. Da der umstrittene Abgeordnete jedoch verhindert war, durfte sein neuer örtlicher Büroleiter ans Mikrofon treten und kurz sprechen. Der Mann ist ein Protagonist der lokalen Querfront und einer der Köpfe der „Freien Linken“. Er war auch in die Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, gegen das Impfen und in verschwörungsideologischen, Putin-freundlichen „Friedensdemos“ involviert. Anwesend waren auch rund 20 Vertreter*innen der lokalen Querfront, darunter „Querdenker*innen“, Verschwörungsideologen, Mitglieder und Anhänger*innen der AfD und „dieBasis“ sowie Rechtsextremisten.
Die Veranstalter hatten sich im Vorfeld deutlich von der Teilnahme von Personen aus diesem Spektrum distanziert. Da dieser offizielle Termin der Bauernschaft jedoch im Vorfeld massiv auf den Kanälen der Szene beworben worden war, erschienen diese – wie so oft bei Versammlungen in Aachen – dennoch. Zu diesem Zeitpunkt lief zudem bereits seit Stunden ein Shitstorm und es gab Telefonterror gegen einen Unternehmer aus Heinsberg. Er war am Morgen Bauern ungehalten und beleidigend angegangen und war mit ihnen wegen einer Blockade in heftigen Streit geraten. Videos davon wurden umgehend in unzähligen Szenekanälen, Chats und Facebook-Gruppen verbreitet und zu einem massiven Shitstorm aufgerufen. Betroffen waren von dem Psychoterror aber auch ein gleichnamiges Dentallabor und zwei weitere Kleinunternehmer mit demselben Namen wie der Mann aus dem Video. Hasserfüllte Webuser gingen dabei offenbar in Heinsberg wahllos Menschen mit gleichem Nachnamen an – was sich erst nach einem Tag aufklärte und dann zumindest bei diesen wieder endete.
Selbstgefertigte Videos und Fotos von Korsos und Kundgebungen der Bauernproteste fanden sich am Abend des 8. Januar und am Morgen des Folgetages in regionalen Chats und Kanälen sowie auf Facebook-Seiten von der AfD und Vertreter*innen der „dieBasis“, von Rechtsradikalen, „Reichsbürger*innen“ und „Querdenker*innen“. Neben den bereits genannten Städten gab es Bildmaterial auch aus dem Kreis Heinsberg – vor allem aus Erkelenz –, aber auch aus Stolberg und Eschweiler. Zwar konnten die Vertreter*innen des Protestspektrums dort nicht so auffallen oder aktiv sein wie in Aachen und Düren. Sie dürften gleichwohl vor Ort gewesen sein.
Abbruch der Euphorie?
Die Aktionswoche der Bauernproteste dauert noch bis kommenden Montag. Bis dahin sind weitere, fast immer kleinere Proteste geplant. Es ist davon auszugehen, dass sich die Protestszene vereinzelt auch daran wieder beteiligen wird. Ähnlich aktiv wie am 8. Januar dürfte sie aber nicht sein. Die AfD in Aachen hat in einem Facebook-Posting bereits Stimmung gegen die Kreisbauernschaft und den Bauernverband gemacht, weil man zwar Vertreter*innen der anderen großen Parteien und Abgeordnete zur Versammlung am Tivoli eingeladen hatte, nicht aber Vertreter*innen der AfD. Weiter wurde verbreitet, dass ein oder mehrere Fahrzeuge mit dem „Kreisvorstand“ auf dem Weg zur Veranstaltung der Kreisbauernschaft von der Polizei gestoppt worden seien. Es seien Platzverweise erteilt worden. Dafür kündigt die AfD „rechtliche Konsequenzen“ an.
Dass das Umfeld der Partei dennoch den Weg zum Tivoli fand und auch eine Würselenerin aus dem Vorstand vor Ort war, widerspricht manchen Angaben der AfD. An der Kundgebung am Tivoli nahmen überdies Vertreter*innen aus dem rechten Spektrum teil, die zuvor in Düren beim „Fahrstreik“ waren. In diesem Umfeld und unter den Anhänger*innen von „dieBasis“ und „Querdenken“ kam es allerdings nach der Kundgebung in Aachen zu Diskussionen. Dort hatte es den Aktivist*innen nicht so gut gefallen, wie sie zunächst erwartet hatten. Es mehrten sich Stimmen, wonach die Bauern zu systemtreu demonstrieren würden – sie seien deshalb nicht solidaritätswürdig. (mik)