Antisemitismus und Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen

Region Aachen. Unser Autor hat in den letzten Monaten zum Thema „Grundrechte-Demos“, „Hygiene-Demos“ und „Corona Rebellen“ im Großraum Aachen recherchiert. Hierzu erarbeitete er ein Dossier für eine Zusammenfassung des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS e.V.), in NRW betreut von SABRA. Sein Dossier war eines von vielen für die Arbeit an einer Broschüre über Antisemitismus bei diesen Protesten. Sie enthält eine Auswahl von Vorfällen und Beispielen. Wir veröffentlichen hier das komplette Dossier in einer überarbeiteten Fassung.

Im Raum Aachen waren bei den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und gegen die Einschränkungen im öffentlichen Leben antisemitische Vorfälle oder solche, die den Holocaust relativierten, weitaus weniger zu beobachten [1] als in manchen anderen Regionen. Die Gründe dafür waren unterschiedlich. Insbesondere war das Spektrum der Demonstrierenden oder anderweitig Aktiven in der Region zu Beginn viel heterogener als in den meisten anderen Gegenden.

Heterogenität und Querfront...

So kam es zwischen Mitte März und Mitte Juli 2020 in Düren zwar vereinzelt zu kleineren Protestaktionen (rund 5), diese erlangten jedoch keine größere Wirkmacht und fanden teils ohne Schilder und ohne Redebeiträge statt [2]. Später besuchten einige Personen aus dem Kreis Düren und dem benachbarten Kreis Euskirchen die Proteste in Köln, Düsseldorf, Aachen beziehungsweise Stuttgart. Der Kreis Heinsberg hingegen war der erste Hotspot von Corona-Erkrankungen in Deutschland, weswegen es in diesem Quasi-„Feindesland“ für „Corona Rebellen“ zwischen Mitte März und Mitte Juli nur zu sehr kleinen, zuweilen spontanen Aktionen in Geilenkirchen (rund 5) und Heinsberg (1) kam.

Heterogener als in vielen anderen Städten fielen die Proteste in Aachen aus. Abgesehen von überschaubaren, eigenständigen Meditationen (rund 10) und montäglichen „Spaziergängen“ oder „Montagsdemos“ (rund 10) sowie einer Kundgebung der AfD waren zwischen Mitte März und Mitte Juli die größeren Proteste in Aachen aus dem eher linken, friedensbewegten (und Querfront-offenen) Spektrum organisiert worden (rund 10, wobei die größte Versammlung mit bis zu 250 Teilnehmer/innen stattfand). Auch wenn dabei Personen involviert waren, die zuvor durch antisemitisch konnotierte „Israel-Kritik“ und einem Hang zu Verschwörungsmythen aufgefallen waren, konzentrierte sich die Kritik bei den Protesten in Aachen auf die Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel, auf die Berichterstattung in den Medien, auf WHO und RKI, das weltweite „Finanzsystem“ sowie Bill Gates und dessen Stiftungswesen. Etwaige „Kritik“ enthielt zwar auch Horror-Szenarien und Verschwörungserzählungen, gleichwohl ist kein Fall bekannt geworden oder aufgefallen, in dem derlei zum Beispiel in einem Redebeitrag offen im antisemitischen Sinne mit „Kritik“ an oder gar Hetze gegen die Juden George Soros und Rothschilds oder der antisemitisch konnotierten „New World Ordner“ (NWO) verknüpft worden wäre.

Als würden „die Juden“ alles „auslöschen“ wollen

Lediglich eine Kundgebung von „Corona Rebellen“ in der Region entstammte einem politischen Spektrum, welches antisemitische Äußerungen oder ähnliches schon im Vorfeld erwarten ließ. Diese fand am 13. Juni in Heinsberg auf dem Markt statt. Unter den in Spitzenzeiten nur rund 25 Teilnehmer/innen, die sich unter dem Motto „Heimatschutz statt Mundschutz“ versammelten, waren rund eine Handvoll Personen aus der organisierten rechtsextremen und „Reichsbürger“-Szene. Der Organisator war ein junger Mann, der zuvor in der Neonazi-Szene aktiv war, diese indes verlassen haben will. Reden wurden eher spontan gehalten, ferner wurden Reden und Interviews von bundesweit bekannten Kritikern der Corona-Einschränkungen sowie unterschiedliche Musik abgespielt.

Aufsehen erregte in Heinsberg eine geschichtsrevisionistische Rede des „Reichsbürgers“ Josef H. aus Mönchengladbach, der in der Vergangenheit bei anderen Gelegenheiten schon mit antisemitischen Anspielungen aufgefallen ist. H. bemühte sich in seiner Rede durchgängig darum die Geschichte umzudeuten. Er behauptete, „Nazis“ würden Deutschland regieren. Die Menschen folgten wieder einem „Führer“. Zugleich wetterte er gegen „die Eliten“ beziehungsweise die „Polit-Elite“. Redner H. diffamierte Demokratie und Bundesrepublik als „Diktatur“ und „Tyrannei“ – und er wies darauf hin, in Deutschland lebten die „umerzogenen“ Menschen seit 1945 in einer „Meinungsdiktatur“.

Lediglich in einer Passage und mittels Andeutungen spielte er mit antisemitischen Stereotypen. Er setzte das angebliche Hochpushen eines Virus und die Schaffung eines Impfstoffes durch unter anderem Bill Gates in den Kontext, dass alles „einzig und allein des lieben Geldes wegen“ geschehe. Gates wurde dabei als weltweit aktiver Strippenzieher beschrieben, der jeden Menschen impfen wolle. Josef H. wies in diesem Zusammenhang auch auf die „Georgia Guidestones“ hin. Verschwörungsideologen behaupten, die Steine in den USA seien von einem Geheimbund erbaut worden, welcher mit der NWO in Verbindung stehe oder jene „Neue Weltordnung“ aufzubauen gedenke. H. ging nicht näher auf diesen Hintergrund ein, wies jedoch darauf hin, dass auf den Steinen „die Regeln von einer unbekannten, ja, manchen sind sie ja bekannt, aber überwiegend einer unbekannten Elite“ stünden.

Der Hinweis auf einer unbekannten Elite, die manchen bekannt sei, transportierte dabei auch antisemitische Anspielungen über eine angebliche jüdische „Weltverschwörung“ oder „Weltregierung“. H. wies zudem darauf hin, dass das, was früher in den KZ geschehen sei „demnächst auf offener Straße gemacht wird. Ich sehe es kommen dass diese [unsere] Bevölkerung komplett ausgelöscht wird und dass diese Bevölkerung komplett unterworfen und unterjocht wird. Mit einer Methode die so subtil […] ist das es jeder mitmacht.“ Dass „die Juden“ angeblich Menschen oder „freie Völker“ unterjochten und heimtückisch (also subtil) im Hintergrund mit „Lügen“ wirkten war und ist eine antisemitische Erzählung aus etwa den Zeiten des Nationalsozialismus und der heutigen antisemitischen rechtsextremen Szene.

Würdeloser Geschichtsrevisionismus

Ein weiterer Teilnehmer, ein Rechtsextremist aus dem Kreis Heinsberg, trug bei dieser Versammlung ein T-Shirt auf dessen Rücken zu lesen war: „Wer sich fragt wie die Massen sich damals von Hitler so manipulieren lassen konnte braucht sich heute nur die Corona-Gläubigen ansehen, da hat man die Antwort. Wollt ihr später auch sagen, ihr habt nix davon gewusst?“ Die Umschreibung, man habe von nichts gewusst, war eine gängige Rechtfertigung von Menschen nach dem Holocaust, die angesichts der NS-Vernichtungslager und der Verschleppung der Juden derlei zwar nicht abstritten oder leugneten, gleichwohl aber behaupteten, sie hätten „davon“ nichts mitbekommen und gewusst. Verkäufer und Produzent des beschriebenen T-Shirts ist der „Reichsbürger“, Rechtsextremist und Rapper Sascha V. aus Jüchen im Rhein-Kreis-Neuss. Einige seiner Songs enthalten antisemitisches Geraune, zuweilen getarnt unter dem Label der „Israel-Kritik“.

Ungeachtet von den wenigen regionalen Auffälligkeiten bei Protestaktionen kam es auch zu Vorfällen im (virtuellen) Umfeld. So fiel etwa Mitte Mai bei einer Diskussion auf dem Facebook-Profil von Gabi Halili, einer Linken-Ratsfrau aus Stolberg, die selbst Demonstrationen in Aachen besuchte, ein sich als „links“ verstehender Mann auf. In seinem Profilbild bei Facebook zeigte er einen „Judenstern“ mit der Inschrift „Ungeimpft“. Ferner zeigte sein Header-Foto ein bekanntes Bild aus dem Nationalsozialismus, auf dem 1936 bis auf einen – mutigen – Mann alle Menschen den Hitler-Gruß zeigen [3]. Dieses Header-Bild des Mannes war so verfremdet, dass alle Personen die den Nazigruß zeigten per Fotomontage auch Mund-Nasen-Schutzmasken trugen und nur der Mann, der den Arm nicht zum Hitler-Gruß gehoben hatte, keine Maske trug. Dieser Mann sollte ergo mittels der Collage wirken wie ein aufrechter Streiter gegen die halluzinierte „Corona-Diktatur“. In Kombination mit dem Profilbild eine Ungeheuerlichkeit von einem sich als politisch „links“ verstehenden Mann.

In einer Facebook-Gruppe von verschwörungsgläubigen „Gelbwesten“ aus dem Grenzland und Aachen – die sporadisch auch die Demonstrationen besuchten – war ähnliches bei einem Teilnehmer zu sehen, der offenbar in Aachen lebte und einen weißrussischen respektive russlanddeutschen Migrationshintergrund hat. Im Profilbild dieses Nutzers war Anfang Mai der „Judenstern“ mit der Inschrift „Ungeimpft“ zu sehen. In der Headergrafik war zu lesen, die „Zwangsimpfungen“ des „Monster[s] Gates“ und der WHO erinnerten „an die Euthanasieprogramme des 3. Reichs!!!“ Auch wenn letztgenannte Aussagen formal gesehen nicht klassisch antisemitisch sind, deuteten die Kombination mit dem Profilbild und anderen Kommentaren des Nutzers auf eine geschichtsrevisionistische und antisemitische Grundhaltung hin.

Bekannt geworden sind ferner Fälle, in denen Teilnehmer/innen der von Vertreter/innen aus dem linken Spektrum organisierten Proteste zum Beispiel bei Facebook durch Postings auffielen, die sich auch gegen Soros oder die NWO richteten [4]. Eine der Personen hatte etwa eine Nähe zur „Reichsbürger“-Szene und verbreitete neben unterschiedlichen Postings aus dem verschwörungsideologischen Bereich solche Inhalte. Ein anderer Teilnehmer dieser Kundgebungen, ein Mann mit polnischem Migrationshintergrund, gab unter anderem auf Facebook in einer Reihe von Einträgen über seine Interessen und ähnliches an, sein Arbeitgeber sei Gerard Menuhin. Menuhin ist einer der bekanntesten Holocaust-Leugner und Judenhasser aus dem geschichtsrevisionistischen Spektrum, seine Bücher stehen auf dem Index.

In der Filterblase verschwimmt alles zu allem

Für diese Recherche wurden nicht nur Debatten rund um die Proteste in den sozialen Medien eingesehen, teilweise wurden auch Telegram-Chats von unterschiedlichen regionalen und lokalen Gruppen aus dem Spektrum der „Corona Rebellen“ und des „Widerstands 2020“ stichprobenartig ausgewertet. Hierbei zeigte sich, dass zuweilen Inhalte über Soros, über die NWO oder ähnlich antisemitisch konnotierte „Nachrichten“ verbreitet und diskutiert wurden [4]. War dabei ein Chat des „Widerstands 2020“ in Aachen zeitweise noch heterogen und hielten sich solche Inhalte sehr in Grenzen, wurde der Chat des „Widerstands 2020“ in Düren von einer Handvoll Verschwörungsideolog/innen sozusagen gekapert und enthielt danach weitaus häufiger solche Inhalte. Auch ein Chat in Heinsberg enthielt bisweilen ähnliche Inhalte.

Ebenso stichprobenartige ausgewertet wurden YouTube- und Telegram-Kanäle eines verschwörungsideologischen, rechtsoffenen Mediengestalters aus Heinsberg („Fakten Frieden Freiheit“, FFF) und einer ehemaligen, politisch nun ähnlich einzuordnenden WDR-Journalistin aus Aachen respektive dem benachbarten Grenzland („Games of Truth“, GoT). In beiden Fällen wurde auch über die Demonstrationen in Aachen (GoT), Köln und Düsseldorf (FFF) berichtet und es kam unter anderem zudem zu anderen Postings oder Aussagen in unterschiedlicher Deutlichkeit oder mittels Andeutungen bezüglich Soros oder der NWO [4].

„Games of Truth“ bietet darüber hinaus einen Telegram-Diskussionschat an. Neben den schon erwähnten Inhalten wurden von einzelnen Nutzer/innen dabei auch offen antisemitische oder den Holocaust relativierende Postings und Kommentare verbreitet [4], gepostet in manchen Fällen angeblich „nur“ zwecks Anstoß einer Debatte oder „nur“ damit sich Nutzer/innen selbst ein Bild machen und die „Infos“ hinterfragen könnten. Nicht immer wurde derlei mit den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen verknüpft, gleichwohl wurden solche „Infos“ etwa in Ergänzung dazu gepostet, dass etwa Merkel angeblich jüdischer Herkunft sei und daher das „deutsche Volk“ unterdrücken würde, auch oder aktuell mittels der Corona-Maßnahmen.

Sowohl in Chats, in den sozialen Medien und bei Demonstrationen wurde teilweise im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, dem Gesundheitswesen, einem Impfstoff und global agierenden Pharmaunternehmen Kritik an Kapitalismus und Globalisierung geäußert. Gerade in linken oder als links wahrgenommenen Kreisen geschah dies im eher klassisch-antikapitalistischen Sinne. Gleichwohl kam es in diesen heterogenen Szenen auch zu Vorwürfen den „Reichen“ und „Mächtigen“ gegenüber, die von Personen geäußert wurden, die Teil der rechtsextremen Szene sind und Verschwörungserzählungen verbreiten.

Spannungsfeld (antisemitische) Kapitalismuskritik

Inwiefern das im Einzelfall als antisemitische Anspielungen angesehen werden konnte, dürfte den Raum Aachen betreffend nicht immer leicht zu beantworten sein. Ein Beispiel, das dieses Spannungsfeld darstellt, lieferte „Schilder-Heinz“ ab. Der Mann aus dem Kreis Euskirchen hat Bezüge in die Region und ist bundesweit wegen seiner provokativen, selbst gemalten Schilder und Plakate bekannt, mit denen er sich auf Versammlungen von Rechten bis Rechtsextremen zeigt. Anfang Mai besuchte „Schilder-Heinz“ unter anderem mit einer AfD-Frau aus Düren eine der Großdemonstrationen in Stuttgart. Dabei zeigte er ein großes Schild: „Corona ist Fake[.] Es geht nur darum, daß Milliardäre auch noch den Rest unserer Lebensgrundlagen billig aufkaufen können.“

Auch wenn die Aussage oberflächlich betrachtet keine Nähe zum Antisemitismus hat, transportiert sie gleichwohl Stereotype ähnlich der Hetze aus der NS-Propaganda gegen „die Juden“ und das „raffende“ Kapital, welches anders als das „schaffende“ (reichsdeutsche) Kapital verachtet und bekämpft wurde. „Schilder-Heinz“ zeigte dieses Plakat auch auf anderen Demonstrationen der „Corona Rebellen“ im Rheinland. Ausschlaggebend bei der Wahrnehmung dürfte dabei immer gewesen sein, welcher politischen Strömung der jeweilige Betrachter angehörte und inwiefern Andeutungen individuell wahrgenommen oder interpretiert wurden.

Am 2. Mai wies der Organisator der linken Kundgebungen in Aachen, der Verschwörungsideologe Ansgar K. aus Würselen, in einer Redepassage über Gates darauf hin, dieser wolle „die ganze Welt impfen“. Kurz darauf ergänzte der pensionierte Lehrer zudem noch polemisierend, Gates wolle so „Milliarden von Toten herstellen“ [durch die angeblich tödliche Gefahr von Massenimpfungen]. Nichts an diesen Aussagen war antisemitisch. Gleichwohl konnten Verschwörungsgläubige aus diesen Andeutungen das heraushören, was sie selbst einer angeblich jüdischen „Weltverschwörung“ oder den angeblich jüdischen „Weltenlenkern“, „Strippenziehern“ und „Puppenspielern“ (Merkel als „Marionette“) vorwerfen.

K. verlas bei einer späteren Kundgebung am 4. Juli 2020 Auszüge aus einer Rede des Autors Ernst Wolff zum Thema „Finanz-Tsunami und Corona-Krise“. Wolffs Bücher erschienen etwa im höchst umstrittenen Kopp-Verlag – das letzte mit dem Titel „Finanz-Tsunami. Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“ (2017). Die Rede hatte der verschwörungsideologische Autor im Juni auf einer Demonstration von Gegner/innen der Corona-Auflagen in Süddeutschland gehalten. Darin kritisierte Wolff durchgängig das internationale „Finanzsystem“ und transportiert zwar antisemitische Codes, gleichwohl ohne plump Juden oder deren „Macht“ in dem „globalen Finanzsystem “ offen zu benennen. Einzige Ausnahme ist in der Rede auch der wie nebenbei wirkend eingestreute Hinweis auf den ehemaligen Gouverneur der israelischen Zentralbank, der 2014 neuer Vize-Chef der US-Notenbank FED wurde. (Text/Recherche: Michael Klarmann, Stand 23. Juli 2020)

  • [1] Nicht alle Proteste wurden zwecks Recherchen vom Autor besucht. Gleichwohl wurden zudem Gespräche geführt, Fotos, Videos mit Redebeiträgen sowie entsprechende Debatten in Chats und sozialen Medien gesichtet.
  • [2] Die Angaben zu den Protestaktionen sind wegen der heterogenen und teils spontan agierenden Szene schwierig und daher vage. Es gab illegale Treffen/Versammlungen, es gab regulär angemeldete und es gab „Vermischungen“. Die erste selbst ernannte „Montagsdemo“ in Düren war etwa nur ein lockeres Treffen von drei Personen, die sich auf dem Markt unterhielten und Selfies machten, jedoch keine Außenwirkung erzielten. Derlei wurde hier nicht mit gezählt. In Aachen trafen sich Mitte Mai z.B. angeblich spontan „Corona Rebellen“ und Vertreter des „Widerstands 2020“ auf dem Markt und gingen dann nach rund zehn bis fünfzehn Minuten geschlossen in einer größeren Gruppe durch die Fußgängerzone, um sich in rund einem Kilometer Entfernung einer andere Demonstration am Willy-Brandt-Platz anzuschließen. Hier stellt sich die Frage: Wie und wozu zählt man diese Aktion dann? In Aachen saßen zeitweise Meditierende auch neben Kundgebungen, bis sie später eigene Meditationen auf Plätzen abhielten. Diese Szene traf sich zudem sporadisch abgelegen in einem Park, um „für das Grundgesetz“ zu meditieren. In Aachen vermischten sich die Themen der Kundgebungen zudem: Zwar ging es meist um die Corona-Auflagen und die Pandemie, gleichwohl wurden auch Themen der Friedensbewegung und „Kritik“ am neuen Mobilfunkstandard 5G aufgegriffen – es wurden also verschiedene Thematiken aus dem verschwörungsgläubigen Spektrum aufgegriffen. Das, was man aus anderen Städten her als „Corona Demos“, „Hygiene-Demos“ oder „Grundrechte-Demos“ wahrgenommen hat war in Aachen heterogener und wurde in überregionalen Medien zuweilen nur verengt dargestellt. In Heinsberg gab es mehrere kleine, spontane Sit-Ins, deren Außenwirkung sich in Kreidezeichnungen auf dem Marktplatz mit Parolen gegen Gates beschränkte. In Aachen nannten „Corona Rebellen“ ihre erste „Montagsdemo“ zwar so, letztlich zogen aber weniger als fünf Aktivisten durch die Stadt und malten mittels Kreide Parolen (z.B. „Heil Merkel!“) auf Mauern und Denkmälern. Bei den Angaben im Text wurden daher Aktionen gezählt, die entweder a.) eine Außenwirkung durch Transparente, Gesang oder Reden hatten (auch wenn nicht angemeldet), b.) üblicherweise fünf oder mehr Teilnehmer umfassten oder c.) formal auch angemeldet bzw. öffentlich beworben wurden.
  • [3] Erklärungen zum Original-Foto: Link
  • [4] Erinnert werden soll daran, dass „Debatten“ in manchen Foren und Chats sehr dynamisch waren. Manchmal wurden Anspielungen auf Gates und Soros etwa in Verbindung mit der Pandemie und einen Impfstoff gebracht. In anderen Fällen wurden derlei Andeutungen oder „Infos“ einfach in den Raum gestellt, als würden andere Nutzer/innen schon verstehen, wie es gemeint wäre. Zudem kamen später die „Black Lives Matter“-Proteste hinzu und die Anmerkung Trumps, „die Antifa“ als Terrorgruppe verbieten zu wollen. Gerade Soros wurde vorgeworfen, die BLM-Proteste und „die Antifa“ zu finanzieren oder zu fördern. Besonders in hoch dynamischen, teils hektischen und zuweilen auch wirr anmutenden „Debatten“ unter Verschwörungsgläubigen war dabei nicht immer genau erkennbar, was nun mehr „kritisiert“ werden sollte: Dass Soros und Gates wegen Corona angeblich kooperierten oder deren angebliche „Pläne“ – Gates finanziert den Impfstoff, Soros finanziert hingegen „Black Lives Matter“ und die Antifa – sich „ergänzten“ und ein und demselben „großen Plan“ folgten.