AfD-Kundgebung: Radikalisierte Partei will sich in Aachen mit prominenten Politikern präsentieren
Aachen. Die Alternative für Deutschland (AfD) wird bundesweit vom Verfassungsschutz unter dem Verdacht des Rechtsextremismus beobachtet. Ihre Parteijugend Junge Alternative (JA) und der AfD-Landesverband Thüringen gelten bei den Verfassungsschutzbehörden als gesichert rechtsextremistisch. Nun kündigt der Kreisverband Städteregion Aachen eine Kundgebung mit Rednern aus dem teils völkischen und extrem rechten Spektrum der Partei an.
Die Versammlung soll am 9. September auf dem Markt vor dem historischen Rathaus stattfinden. Inzwischen sind bei der Polizei mehrere Gegendemonstrationen angemeldet worden – eine davon wird von rund 40 Parteiverbänden und Initiativen unterstützt. Eine für den Samstag geplante Einbürgerungsfeier für Migrant*innen, die die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, findet am Vormittag im Krönungssaal des Rathauses statt. Anschließend gibt es ein großes gemeinsames Picknick an der „Langen Tafel der Vielfalt“ und ein buntes Rahmenprogramm auf dem Katschhof. Damit soll gemeinsam mit allen Bürger*innen und den Gästen der Einbürgerungszeremonie die Vielfalt und Weltoffenheit Aachens gefeiert werden. Veranstalter*innen des Festes sind die Stadt Aachen, die im Rat vertretenen Parteien – Ausnahme: AfD –, Religionsgemeinschaften und Migranteninitiativen.
Parallel zur AfD-Kundgebung findet an diesem Tag in Aachen zudem eine Aktion von Impfgegner*innen und „Querdenker*innen“ statt. Eine direkte Verbindung zwischen den Kundgebungen besteht nicht, aber es ist möglich, dass Teile des Publikums pendeln. Auf ihren Flyern kündigt die AfD einen „Neuanfang“ an. Was kryptisch klingt, ist einfach erklärt: Der Stadtverband Aachen ist völlig marginalisiert und nahezu inaktiv geworden. Nach Flügelkämpfen und internen Querelen will der Kreisverband Städteregion den Stadtverband nun sozusagen schlucken. Formal wird dieser Schritt am ersten September-Wochenende auf einer nicht öffentlichen Kreisversammlung in Herzogenrath-Kohlscheid vollzogen. Zuvor lösen sich beide Verbände regulär auf und die Mitglieder gründen gemeinsam einen neuen Kreisverband. Es ist davon auszugehen, dass der bisher stärkere Kreisverband für die Städteregion dann auch große Teile des neu zu wählenden Vorstandes stellen wird.
Völkische Reden zu erwarten
Die Partei kündigt für den 9. September Redner aus dem teilweise extrem rechten Spektrum der AfD an, darunter künftige Kandidaten für die Europawahl 2024. Auch aktuelle Abgeordnete aus dem Europaparlament sowie dem Bundes- und Landtag sollen anreisen. Zu den Gästen bzw. Rednern zählen Guido Reil, Markus Buchheit, Maximilian Krah (alle MdEP), René Aust (MdL Thüringen), Martin Vincentz (MdL NRW und Landesvorsitzender) sowie Martin Sichert (MdB). Einige der Redner, wie Krah und Aust, werden dem Flügel um Björn Höcke zugerechnet. Der Sachse Krah und der Thüringer Aust hatten sich bereits Wochen beziehungsweise Monate vor dem Magdeburger Parteitag auf Veranstaltungen der AfD-Verbände in Düren und Eschweiler als mögliche Kandidaten präsentiert.
Krahs Buch „Politik von rechts. Ein Manifest“ ist vor einigen Wochen erst in einem rechtsextremen Verlag erschienen. Der AfD-Mann wendet sich darin gegen eine linksliberale Gesellschaft und entwirft ein extrem rechtes, rückwärtsgewandtes völkisches Gesellschaftsideal. Er wendet sich im weitesten Sinne gegen die Einwanderungsgesellschaft, denn Deutscher sei nur, wer es durch „Tradition“, „Kultur“, „Natur“ und „Biologie“ sei. Mit seinen Thesen folgt er einem völkischen Ideal im Sinne einer Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft. Krah argumentiert indirekt im weitesten Sinne gegen die Lebenswirklichkeit im heutigen Aachen.
Seine Ausführungen richten sich auch gegen eine angeblich weltumspannende linksliberale, global-kapitalistische und woke Ideologie, was vage an eine vermeintliche Weltverschwörung erinnert. Er argumentiert gegen Homosexualität und queere Communitys. In einer Passage relativiert er rechtsextreme, rassistische und antisemitische Anschläge und Morde wie in Halle und Hanau. Daraus werden bei Krah „Amokläufe“ von Männern, die nur frustriert sind, weil sie wegen des gesellschaftlichen Wandels keine Frauen mehr fänden, mit denen sie Sex haben könnten. Nicht rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Ideologien, sondern Feminismus und Linksliberalismus wären jener Lesart nach also die Auslöser solcher Morde gewesen.
Ein überwiegender Teil der Migrant*innen und Flüchtlinge erscheint in Krahs Schilderungen als „Integrationsunwillige“, die es zu „vergällen“ gelte. „Nicht polizeiliche Maßnahmen führen zur Remigration“, schreibt Krah und meint damit Abschiebungen, „sondern nur ein sich seiner kulturellen Identität bewußtes Volk aus Alteingesessenen und sich neu Angeschlossenen, das selbstbewußt seine Ordnung im eigenen Territorium durchsetzt.“ Gleichgesinnten rät er dazu völkische „Gegenwelten“, also Siedlungen, Dörfer oder Landstriche, zu erschaffen. Zu Zeiten der NPD nannte man das Konzept „National befreite Zonen“. Gemeint war damit, dass die „Kameraden“ in solchen „No-Go-Areas“ für politische Gegner und Migrant*innen erschaffen. Als sich intellektuell gebender Rechtsanwalt und extrem rechter Intellektueller deutet der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Krah, bewusst derlei Gedankenspiele nur an.
Vernetzung und Radikalisierung
Die zu erwartende Veranstaltung vor dem Rathaus wird in ganz Nordrhein-Westfalen beworben – auch über die sozialen Medien. Sie dürfte aber vor allem Interessierte aus dem westlichen Rheinland anziehen. Es handelt sich um eine der ersten Veranstaltungen der AfD mit einer solchen „Fülle“ an neuen Kandidaten für die kommende Europawahl und anderen Politikern der Partei. Zwar konnte die AfD in der Europastadt Aachen bisher weder größere Wahlerfolge feiern, noch gut besuchte Kundgebungen abhalten. Offensichtlich will man nun aber im vermeintlich linken und durch Zuwanderung und den Gaststudent*innen aus dem Ausland multikulturell geprägten Aachen provokativ präsenter werden. Anmelder der Kundgebung ist ein aufstrebender Multifunktionär aus Eschweiler, der es in den letzten Jahren zu einer ansehnlichen Liste von Parteiämtern und Funktionen, einem Ratssitz in Eschweiler und Beschäftigungsverhältnissen gebracht hat.
In der Region ist seit einiger Zeit eine neue Vernetzung in der AfD zu beobachten, die vom Landesverband wohlwollend unterstützt wird. So arbeiten Teile der Dürener AfD und solche aus der Städteregion zunehmend zusammen. Unter anderem kooperierten Parteivertreter*innen auch bei der Organisation und Durchführung der rechten „Friedensdemos“ in Düren. Wie in vielen Regionen Westdeutschlands nimmt der gemäßigtere Teil der Partei stetig ab. Gleichzeitig treten Personen in den Vordergrund, die radikaler agieren und sich in ihrer Rhetorik „Pegida“ und einer NPD-light annähern; auch solche, die einen Hang zu Verschwörungsideologien haben, treten präsenter in Erscheinung; zudem ziehen Parteimitglieder und Burschenschafter vom neurechten, völkischen Flügel zunehmend die Fäden. (mik)