Landtagswahl in der Region: AfD verliert weiter Stimmen, dieBasis schneidet ähnlich ab wie auf Landesebene

Region Aachen. Von der historisch geringen Wahlbeteiligung bei einer nordrhein-westfälischen Landtagswahl konnten am Sonntag weder die AfD noch die „Querdenken“-Partei dieBasis profitieren. Üblicherweise stärkt eine niedrige Wahlbeteiligung kleinere Protestparteien, da auch wenige Stimmen höhere Prozentzahlen ergeben können. Tatsächlich schnitt die AfD bei der Landtagswahl 2022 regional schlechter ab als bei früheren Wahlen. Rechtsextreme Parteien wie die NPD oder Die Rechte traten gar nicht an.

Die AfD, die sogar um einen Wiedereinzug in den Landtag bangen musste, holte am Sonntag bei den Zweitstimmen 5,4 Prozent (2017: 7,4%). Sie sank von 626.756 Zweitstimmen bei der Landtagswahl 2017 bzw. 717.510 NRW-Zweitstimmen bei der Bundestagswahl auf nun 388.893 Stimmen. Die Partei wird mit 12 Abgeordneten in den neuen Landtag einziehen, darunter auf Listenplatz 10 der Dürener Klaus Esser, der als Fraktionsvorsitzender im Kreistag und als Landesgeschäftsführer seiner Partei fungiert. dieBasis erzielte 0,8 Prozent bei den Zweitstimmen (59.937). 2017 existierte die Kleinpartei noch nicht, gegenüber der Bundestagswahl 2021 mit in NRW 1,0 Prozent und 99.217 Stimmen musste sie nun aber schon Verluste hinnehmen. AfD und dieBasis litten also auch unter dem generellen Wähler*innenschwund.

Sein oder nicht Direktkandidat*in sein?

In den meisten regionalen Wahlkreisen traten beide Parteien mit Direktkandidat*innen an. In Aachen-Stadt war das bei der AfD nicht der Fall. Nachdem Markus Mohr, der Vorsitzende des Stadtverbandes und Ratsmann, vor der Bundestagswahl einen alten Chatverlauf mit dem zu dieser Zeit als NRW-Vizechef fungierenden Matthias Helferich aus Dortmund öffentlich machte (u.a. „Das freundliche Gesicht des NS“) herrscht Streit zwischen der AfD-NRW und dem Kreisverband der Städteregion auf der einen sowie Funktionären und Mitgliedern in der Stadt auf der anderen Seite. Zur Landtagswahl 2022 stellte der Stadtverband daher als einer der wenigen in NRW keine Direktkandidat*innen auf – ein Zeichen für Isolation und Inaktivität. In Aachen fand zudem kein nennenswerter Wahlkampf statt.

Auch im Bereich der Städteregion gab es Differenzen über die Besetzung der Direktkandidat*innen. Noch bevor überhaupt solche gewählt worden waren, wurde der Bundespolizist und Vizechef des Kreisverbandes, Markus Matzerath (Alsdorf), zeitweise in den sozialen Medien als Mann aus der Region für Düsseldorf präsentiert. Später wurde eine damalige Funktionärin aus Alsdorf als Direktkandidatin für einen der beiden Wahlkreise kommuniziert. Ende März kündigte die AfD dann jedoch die Eschweiler Multifunktionäre und Mandatsträger*innen Michael Winterich und Elisabeth Upadek als Kandidat*innen an. Sie wurden vom Wahlausschuss akzeptiert.

SPD-Direktkandidatin als Dummchen diskreditiert: Sie hört nichts, sieht nichts, sagt nichts... Foto: Klarmann

Anfang April 2022 listete das Portal Abgeordnetenwatch gleichwohl noch die Frau aus Alsdorf und ihren Lebenspartner als Direktkandidaten für die beiden Wahlkreise. Üblicherweise werden die Namen der Kandidat*innen dem Portal zuvor aus Parteikreisen mitgeteilt, die Seiten gehen später online und Kandidat*innen bzw. deren Parteiverbände erhalten dann persönliche Zugangsdaten für die Profile. Die hier wiedergegebenen Unklarheiten deuten darauf hin, dass es zwischen bzw. bei den Wahlen der Direktkandidat*innen innerparteilich Probleme bzw. Unstimmigkeiten gab.

Regionaler Wahlkampf mit angezogener Handbremse

Während die AfD in den Kreisen Düren und Heinsberg umfangreich plakatierte, fielen in Aachen-Stadt keine Plakate auf. In der Städteregion plakatierte die AfD schwerpunktmäßig nur im Vorfeld eines Besuchs von Alice Weidel in Eschweiler (s.u.) – allerdings meist mit Plakaten aus dem Bundestagswahlkampf. Infostände der AfD fanden regelmäßig in Düren und Jülich sowie wechselnden Kommunen im Kreis Heinsberg statt. In Aachen gab es kein Infostände, auf dem Gebiet der Städteregion fiel am Samstag vor der Wahl ein solcher in Eschweiler auf. Infostände der dieBasis fanden regelmäßig in wechselnden Kommunen im Kreis Heinsberg, in Düren, Jülich und Aachen statt.

Zudem plakatierte dieBasis, obschon sie eine relativ kleine und neue Partei ist, auffallend häufig und professionell in der gesamten Region. Unter anderem in Stadt und Städteregion Aachen wurden dabei neben den eigenen Plakaten auch kleinere Plakatformate unter jenen der anderen Parteien angebracht. Mit rhetorischen und spitzfindigen Schlagworten wie „Umweltschutz“, „Machtbegrenzung“ und „Selbstbestimmung“ bzw. Bildern, die Politiker*innen mit den drei Affen – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – verglichen war dieBasis dabei populistisch darum bemüht, die anderen Parteien zu diskreditieren. Offenkundig verfing diese Strategie, die man von anderen kleinen Parteien übernommen und radikaler zugespitzt hat, aber nicht wirklich.

Die Kleinpartei, u.a. geprägt von „Querdenker*innen“, Verschwörungsgläubigen, Esoteriker*innen sowie Menschen aus der Achtsamkeits- und Naturheilkunde-Szene, verharrte auch bei den Wahlergebnissen in der Filterblase des eigenen Wahlkampfs. Zwar herrschte, wie etwa in Aachen, an den Infoständen der dieBasis zuweilen reges Treiben. Das lag aber weniger an interessierten Passant*innen, vielmehr wurden die samstäglichen Infostände wie schon im Bundestagswahlkampf zum Treffpunkt für Gleichgesinnte, die sich austauschten und miteinander diskutierten. In Aachen und im Kreis Düren engagieren sich nun auch ehemalige AfD-Mitglieder und -Funktionäre teils führend bei dieBasis; im Raum Heinsberg und Aachen betrifft dies auch ehemalige Mitglieder der Partei Die Linke.

Links: Proteste der dubiosen Querfront gegen Baerbock. Rechts hingegen: Wahre Kriegsgegner aus der linken Szene. Foto: Klarmann

Der Aachener dieBasis-Direktkandidat Ingo Körbel (Würselen) nahm das Angebot nicht wahr, an der Porträtserie der Direktkandidat*innen in der Lokalzeitung bzw. an der nachfolgenden Podiumsdiskussion teilzunehmen. Gründe für sein Fernbleiben kursierten mehrere, plausibel klangen sie selten oder wirkten fast so, als wolle Körbel seine Kontakte zur Lokalzeitung auf ein Minimum reduzieren.

Michael Winterich von der AfD sprach indes zwecks Porträt mit der Lokalzeitung. Fast so, als sei er nicht Mitglied, Mehrfachfunktionär und Kandidat der vom Verfassungsschutz wegen Rechtsextremismus-Verdacht beobachteten AfD, antwortete er auf die Frage, ob es in der Partei rechtsextreme Tendenzen gebe: „Den Vorwurf habe ich persönlich noch nie gehört.“ Parteifreundin Elisabeth Upadek trat im Direktkandidat*innen-Check des WDR radikaler auf, verharmloste Klimawandel-Leugner und lieferte im Begleittext sogar noch peinliche Fehler in Sachen Satzbau und Rechtschreibung ab.

Straßen(wahl)kampf auf den Plätzen

Im Straßenwahlkampf gab es zwei indirekte Wahlkampf-Events aus dem Querfront-Spektrum und eine Kundgebung der AfD. Am 23. April zogen rund 100 Impfgegner durch Aachen. Die politische Bandbreite lag abermals zwischen links- und rechtsaußen. Unter den Demonstrierenden waren Verschwörungsgläubige, „Querdenker*innen“, Esoteriker*innen, Linksalternative, „Bürgerliche“, Putin-Fans, „Friedensbewegte“ sowie Anhänger*innen von AfD und dieBasis. Der Tross baute sich mit einer regulär angemeldeten Kundgebung auf dem Markt frontal gegenüber einer Wahlkampfaktion der Grünen auf und beschimpfte diese als „Kriegstreiber“.

Nur wenige Parteianhänger lauschten Alice Weidel. Im Fordergrund der Gegenprotest. Foto: Klarmann

Ähnliches wiederholte sich am 8. Mai bei einer Kundgebung der Grünen mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf dem Katschhof. Auch hier agierte das oben beschriebene Spektrum als Querfront, wobei auch Rechtsextreme und „Reichsbürger*innen“ sowie Antisemiten vor Ort waren. Deutlich wurde erneut das Zusammenspiel von Vertreter*innen der dieBasis und der AfD. dieBasis-Direktkandidat Körbel, bislang auch Kreischef seiner Partei, geriet im abgesperrten Besucher*innenbereich mit Grünen-Anhänger*innen lautstark in einen Disput. Unter den anderen Demonstrierenden waren mit Winterich und Upadek (s.o.) Funktionäre und Direktkandidat*innen der AfD, ebenso anwesend war AfD-Kreischef Roland Oschlies (Baesweiler).

Ausgerechnet am Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Naziterror zeigten AfD-Anhänger abwechselnd, darunter auch Winterich, ein selbst gemaltes Plakat mit einem bekannten Zitat des NS-Reichspropagandaleiters und Hitler-Vertrauten, Joseph Goebbels. In leicht angewandelter und geschichtsrevisionistischer Form wurden Baerbock und die Bündnisgrünen dabei gefragt: „Wollt ihr (wirklich) den totalen Krieg?“ Skandiert wurden Parolen wie „Volksverräter“ und „Kriegstreiber“. Baerbock wurde als „Marionette“ dubioser Strippenzieher, der Nato und der USA dargestellt. Eine Frau rief ihr sogar „Judensau“ zu.

Eher schwach besucht war eine AfD-Kundgebung in Eschweiler am 30. April mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden Alice Weidel. Daran nahmen nur rund 70 Anhänger*innen teil, angereist aus der gesamten Region und dem übrigen Rheinland. Die Bühne war äußerst bescheiden und Weidel, auch Vorsitzende der Bundestagsfraktion, wirkte nach der langen Anreise zuerst etwas grantig den regionalen Parteifreunden gegenüber. Weitere bekannte Vertreter der AfD waren zudem als Redner*innen angereist, darunter Landeschef Martin Vincentz aus Krefeld, die Landtagsabgeordneten Iris Dworeck-Danielowski (Köln) und Christian Loose (Bochum) sowie der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron (Bayern).

Die AfD-Verbände in Eschweiler und der Städteregion hatten die gut zwei Wochen vor der Landtagswahl stattfindende Kundgebung schon als „Wahlkampf-Finale“ beworben. Die Veranstaltung selbst dauerte lediglich rund eine Stunde. Weidel und ihre Personenschützer verließen den nur spärlich besetzten Marktplatz aber schon früher. Oschlies nannte in einem kurzen Redebeitrag die Versammlung einen „Versuch“ und bedauerte den geringen Zuspruch. Zuhörer bei der AfD-Kundgebung waren auch mindestens zwei Funktionäre der dieBasis aus Jülich bzw. Düren, darunter Direktkandidat Werner Hürttlen.

Entscheidend ist an der Wahlurne

Die Wahlergebnisse in der Region fielen zuweilen bescheiden aus. War die Stadt Aachen für Parteien rechts der Union schon immer ein hartes Pflaster, versauerte die AfD in den beiden Wahlkreisen bei den Zweitstimmen mit 2,56 und 3,47 Prozent. Gegenüber der letzten Landtagswahl 2017 büßte sie in ganz Aachen mehr als 2.600 Stimmen ein. In den beiden Wahlkreisen der Städteregion lag die AfD bei den Erst- und Zweitstimmen knapp unter dem landesweiten Ergebnis, gegenüber 2017 verlor sie bei den Zweitstimmen insgesamt rund 3.900 Stimmen. Zwar schnitt sie in ihrer Hochburg Alsdorf am besten ab, erzielte aber auch dort nur 7,81 Prozent. Dass beide Direktkandidat*innen in Eschweiler leben und Weidel sie mit ihrem Kurzbesuch unterstützte, brachte in der Indestadt 6,58 Prozent.

In einem der beiden Wahlkreise im Kreis Heinsberg lag die AfD bei den Erst- und Zweitstimmen knapp unter ihrem Landesschnitt, im anderen holte sie je knapp über 6 Prozent. Im Kreisgebiet verlor sie etwas mehr als 2.000 Zweitstimmen gegenüber 2017. Besonders gut schnitt sie in Hückelhoven (7,59%) ab, wo Rechtsaußenparteien bei den letzten Wahlen immer auffällig hohe Stimmenanteile erzielten. In den beiden Wahlkreisen im Kreis Düren lag die AfD bei den Erst- und Zweitstimmen mit rund 6 bis 6,5 Prozent über dem Landesschnitt. Dennoch verlor die Partei mehr als 3.000 Zweitstimmen gegenüber der letzten Landtagswahl. Auffallend gut schnitt sie erneut in Aldenhoven (8,22%) und Niederzier (8,57%) ab. In den Kreisen Düren und Heinsberg ist die AfD nun viertstärkste Kraft vor der FDP – was jedoch auch an der Schwäche der Liberalen liegt.

dieBasis konnte in der Region flächendeckend Wahlergebnisse erzielen, die sich weitestgehend mit dem landesweiten Ergebnis deckten. Lediglich in den Wahlkreisen Düren II – Euskirchen II (1,16%) und Heinsberg II (1,15%) lag die Partei darüber. In den Kommunen schnitt dieBasis verhältnismäßig gut in Roetgen (1,51%), Wegberg (1,45%), Aldenhoven (1,35%), Heimbach (1,64%) und Nideggen (1,57%), ab. Das deckt sich oft mit Beobachtungen zur Bundestagswahl und ist darauf zurückzuführen, dass in den kleinen Kommunen entweder dieBasis-Funktionäre und -Mitglieder leben oder aber kleine Gruppen von QAnon- bzw. Verschwörungsgläubigen und „Reichsbürger*innen“ aktiv sind.

Obschon die Wahlkreise für die letzte Bundestagswahl und jene für die jetzige Landtagswahl in der Fläche leicht abweichend festgelegt sind, lässt sich bilanzieren: dieBasis ist in der gesamten Region Aachen, Düren und Heinsberg zwischen Herbst 2021 und Frühjahr 2022 von rund 6.000 Zweitstimmen (Bundestagswahl) auf nunmehr knapp 4.000 (Landtagswahl) geschrumpft. Zwischen der Landtagswahl 2017 und der am vergangenen Sonntag büßte die AfD auf diesem Gebiet rund 11.500 Stimmen ein. Solche Verluste sind jedoch kein Alleinstellungsmerkmal beider Parteien. Am Sonntag haben am Ende alle Stimmen an die Nichtwähler*innen verloren – bis auf die Bündnisgrünen. (mik)