„Putins Trolle on the Road again“: Querfront gegen Karlspreis
Aachen. Am 14. Mai werden das ukrainische Volk und Präsident Wolodymyr Selenskyj als „Opfer eines völkerrechtswidrigen und unsäglich brutalen russischen Angriffskrieges“ mit dem Karlspreis geehrt. Beide würden „Europa und die europäischen Werte“ verteidigen, hieß es zur Begründung. Nach der Bekanntgabe kam es Ende 2022 schon zu Diffamierungen, Hetze und Fake-News. Auch nun sind Aachen, der Karlspreis, die Ukraine und Selenskyj weiter Ziel Putin-treuer Trolle und rechts-„alternativer“ Medienberichte. Am Tag der Ehrung selbst und am Himmelfahrtstag wird es Proteste aus dem Querfront-Lager geben, das zudem einen Gegen-Karlspreis verleihen will.
In diesem Jahr ist die Verleihung des Karlspreises ein zunächst schwer planbares Vorhaben. Die Ehrung eines durch den russischen Angriff zur Kriegspartei gewordenen Preisträgers bereitet Stadt Aachen, Preisverleiher*innen und Sicherheitsbehörden sehr viel Arbeit. Es zeichnet sich ab, dass am 14. Mai politische Prominenz anreisen wird und die Sicherheitsmaßnahmen sehr hoch sein dürften. Sollte Selenskyj selbst anreisen – was sich im Zuge des Krieges erst kurzfristig entscheidet – wird vermutet, dass die Einschränkungen für die Menschen ähnlich umfangreich ausfallen könnten, wie 2000 bei der Auszeichnung des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton.
Umstritten war der Karlspreis in der Vergangenheit oft, ebenso kam es zu Gegenprotesten. 1950 erstmals verliehen, nennt sich der Preis seit 1988 Internationaler Karlspreis zu Aachen. Jährlich werden Menschen des öffentlichen Lebens ausgezeichnet, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben. Benannt ist der Preis nach Karl dem Großen, auch als „Sachsenschlächter“ bekannt. Der Karlspreis ist kein Friedenspreis – was nicht ausschließt, dass Träger*innen sich auch um Frieden bemüht haben. Zugleich wurden etwa der damalige britische Premier Tony Blair (1999) und der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger (1987) geehrt, denen Kritiker*innen eine Beteiligung an Kriegen vorwarfen (Blair: Jugoslawien; Kissinger: Vietnam, Putsch in Chile).
Aachens Querfront und die Gegenproteste
Traditionell wird der Karlspreis an Himmelfahrt respektive Vatertag verliehen. Relativ früh schon plante Aachens Querfront ihre Gegendemonstrationen zur Verleihung an diesem Feiertag. Der Protest sollte sich schon laut erster Ankündigungen gegen einen „Kriegstreiber“ richten, wobei damit in der Denke der Querfront Selenskyj und nicht etwa der russische Präsident Wladimir Putin gemeint war und ist. Nachdem bekannt wurde, dass die Preisverleihung um einige Tage vorgezogen wird, wurden auch die Gegenproteste neu geplant. Die Querfront wird nun je zwei größere Demonstrationen respektive Kundgebungen am Tag der Ehrung und ebenso am Himmelfahrtstag abhalten.
Querfront meint hier das regionale Bündnis aus sektiererischen Kleingruppen, die sich immer wieder zu vermeintlich neuen Bündnissen zusammenschließen. Nach Ende der Corona-Schutzmaßnahmen und der Debatten um die Impfpflicht griff dasselbe Spektrum in Aachen – wie bundesweit – neue Themen für ihre Straßenproteste auf. Im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine entdeckte man das Thema Frieden, zunächst jedoch oft eher im Sinne russischer Propaganda. Zudem nutzte man das Thema als Resonanzraum, um Stimmung gegen USA, NATO, die Bundesregierung, die Ukrainer*innen und deren Präsidenten Selenskyj zu machen.
Anlässlich der Proteste gegen den Karlspreis tritt jenes Spektrum nun u.a. als „Bündnis Diplomatie statt Waffen und Sanktionen“, als „Bündnis für Frieden und Einheit in Europa“ und als „Bündnis gegen Waffenlieferungen“ auf. Diesen Bündnissen gehören – wie schon bei den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzimpfung und die Impfpflicht – die verschwörungsideologischen „Aachener für eine menschliche Zukunft“, die angeblich kommunistische „Freie Linke Aachen“, „Querdenken 241“ und der sektiererische „AK-GewerkschafterInnen Aachen“ an. Bei früheren Demonstrationen und Bündnissen wurde auch schon mit Vertreter*innen der „Querdenken“-Partei „dieBasis“, der AfD und der Die Linke kooperiert. Zudem nahmen auch „Reichsbürger*innen“ und Vertreter*innen unterschiedlicher Gruppen aus dem rechten Spektrum teil. Für die Demonstrationen gegen den Karlspreis und gegen Selenskyj wird in ganz Nordrhein-Westfalen mobilisiert. Manche Gruppen bezeichnen die Demonstrationen in Aachen schon als Auftakt ihrer „Frühlings-Friedensoffensive“.
Dauerpräsenz wie schon bei den „Impf-Demos“
Bisher will diese Querfront am 14. Mai einen Demonstrationszug vom Kurgarten durch die Stadt zum Elisenbrunnen abhalten. Falls es die Sicherheitsmaßnahmen erlauben, will man danach – nach vorläufigen Angaben – im Hof eine Kundgebung abhalten. Früh angekündigt wurde als Rednerin schon die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, eine Vertraute von Sahra Wagenknecht und Mitstreiterin Andrej Hunkos, der wiederholt als Redner bei der Querfront auftrat. Von mehreren für diese Kundgebung angefragten Redner*innen – darunter Oskar Lafontaine – konnten die meisten bisher nicht gewonnen werden. Gleichwohl sollen Videobotschaften erfolgen von Eugen Drewermann (s.u.) und dem dubiosen „Friedensforscher“ Daniele Ganser, der kürzlich in Aachen auftrat. Für diesen Tag kursieren zudem gesonderte Protest-Aufrufe von „Gelbwesten“.
„Querdenken 241“ wollte eigentlich am Himmelfahrtstag vor der ursprünglich ebenso für den 18. Mai geplanten Kundgebung im Hof (s.o.) eine eigene Demonstration abhalten. Überraschend hält das Querfront-Lager weiterhin an seinen Demonstrationen am 18. Mai fest. Wie schon am Sonntag soll an Himmelfahrt eine Kundgebung im Kurgarten, ein Demonstrationszug durch die Stadt und eine Abschlusskundgebung folgen, diesmal jedoch auf dem Katschhof. Sprechen sollen angeblich Jerome Poels und Daniel Langhans. Der Niederländer und der Süddeutsche waren schon mehrfach in Aachen und der Region als Redner bei „Querdenken 241“ und anderen Gruppen dieses Spektrums. Beide fielen durch radikale und dubiose Inhalte auf. Langhans nutzte dabei auch Versatzstücke von QAnon, indem er gegen „Satanisten“ und „Eliten“ polterte sowie antisemitisch lesbare Inhalte einstreute.
Weitestgehend dieselben Veranstalter*innen der sonntäglichen Kundgebung im Hof wollen an Himmelfahrt dann noch eine weitere Kundgebung auf dem Markt abhalten. Verliehen werden soll dabei eine Art Gegen-Karlspreis. Hier hieß es zunächst, dass man diesen Daniele Ganser (s.o.) angedient hat. Nun soll jedoch der Theologe Eugen Drewermann die „Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit“ erhalten. Drewermann soll aus terminlichen Gründen nicht anwesend, aber per Ton oder Video zugeschaltet sein. Als Rednerin angefragt war zunächst Sahra Wagenknecht. Die Laudatio soll nun Dirk Pohlmann halten. Während Drewermann sich in letzter Zeit dem verschwörungsideologischen Spektrum zaghaft angenähert hat, publiziert Pohlmann schon seit einigen Jahren in rechts-„alternativen“ Medien.
Unfrieden in der Friedensbewegung
Die Friedensbewegung in Aachen und Nordrhein-Westfalen ist zerstritten. In NRW spaltet seit Monaten das aus der „Querdenken“-Szene entstandene, anti-antifaschistische „Friedensbündnis NRW“ die Bewegung. Bei den Ostermärschen führte das zu Verstimmung. In Aachen hatten sich schon Ende 2020 wichtige Gruppen aus der Friedensbewegung von „Querdenker*innen“, Verschwörungsgläubigen und rechtsoffen agierenden früheren Mitstreiter*innen distanziert. Schon damals inszenierten sich die Kritisierten bei den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen auch als Friedensbewegung. Aus jenem Spektrum resultierte später die hiesige Querfront.
Dass eben jenes Bündnis nun auch einen Gegen-Karlspreis ins Leben gerufen hat, erscheint logisch – auch wenn es etwas ähnliches schon seit 1988 gibt. Seinerzeit gründete sich der Aachener Friedenspreis als Verein. Seitdem verleiht dieser jährlich den unterdessen renommierten Aachener Friedenspreis an deutsche und internationale Friedensstifter*innen und -aktivist*innen. Einer der Anlässe für die Gründung war seinerzeit die äußerst umstrittene Auszeichnung Kissingers (s.o.) mit dem Karlspreis ein Jahr davor.
Im Zuge der Corona-Pandemie war es wiederholt zu Differenzen und Streitigkeiten zwischen dem Friedenspreis-Verein respektive dessen Vertreter*innen auf der einen und Querfront-Protagonisten auf der anderen Seite gekommen. Dabei hatten Letztgenannte auch straf- und zivilrechtliche Schritte angedroht. Dafür schaltete man sogar einen umstrittenen Anwalt mit einer Nähe zum rechten und verschwörungsideologischen Spektrum ein. Nachdem Vertreter*innen der Querfront sich dessen ungeachtet mehrfach provokativ Demonstrationen etwa des Friedenspreises anschlossen, veranstaltete der Verein vor seiner Preisverleihung 2022 gar keine traditionelle Demonstration anlässlich des Antikriegstages mehr. Ein Gegen-Karlspreis jener Querfront dürfte die Differenzen und Spaltungen weiter vertiefen.
Die Nicht-Querfront...
Noch unklar ist, ob es antifaschistische Gegenproteste zu den Versammlungen der Querfront geben wird. Ferner ist noch unklar, ob, wie und wo Gruppen aus der traditionellen Friedensbewegung Demonstrationen am 14. Mai veranstalten. Bisher bewirbt nur das linke und antifaschistische „Antikriegsbündnis Aachen“ (AKB) eine eigene Kundgebung, die ebenso (s.o.) mit Standort Hof angemeldet wurde. Sollte Selenskyj Aachen besuchen, darf wohl auch damit gerechnet werden, dass in der Region lebende Ukrainer*innen und Geflüchtete sowie deren Unterstützer*innen vorstellig werden. Die letzte Demo aus diesem Spektrum fand zum Jahrestag des russischen Angriffs statt. Rund 2.500 Menschen zogen im Februar dabei in einem beachtlichen Demonstrationszug durch Aachen und füllten den Katschhof knapp zur Hälfte. Unterdessen gibt es erste Hinweise, dass der Verein „Ukrainer in Aachen“ eine Versammlung abhalten will. (mik)