Kreative Kontinuität ganz Rechtsaußen: „Kameradschaft Aachener Land“ 3.0

Region Aachen. Die „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) war eine der am längsten aktiven „Kameradschaften“ in der neonazistischen Szene Nordrhein-Westfalens. Morgen, Dienstag, vor zehn Jahren wurde die KAL nach Vereinsrecht verboten. Diesem Verbot folgten nach einer gewissen Schonfrist neue Strukturen unter dem Dach einer Partei.

Der Tag begann am 23. August 2012 früh, das Verbot der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) nach offiziell zehn, inoffiziell elf Jahren des Bestehens erfolgte jedoch spät. An jenem Morgen setzten Polizist*innen mit einer Razzia und dem Aushändigen der Verbotsverfügung an 46 nachgewiesene oder mutmaßliche KAL-Mitglieder eine Forderung um, die antifaschistische Initiativen schon lange und später auch Gewerkschaften, Kirchengemeinden, Parteiverbände, Lokalpolitiker*innen und Kommunen vorgebracht hatten.

Die groß angelegte Polizeiaktion – parallel zum Verbot des „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO) und der „Kameradschaft Hamm“ (KSH) – begann gegen 5.30 Uhr in einer Zelle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg bei einem der führenden Köpfe. Gegen 6 Uhr klingelte die Polizei dann an den Haustüren der Wohnungen. Die erste Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Aachen wurde um 6.25 Uhr verschickt, im WDR-Hörfunk folgte um 6.30 Uhr die erste Meldung.

Saufhaufen sein und Bürgerkrieg spielen

Der erste Artikel in den „Aachener Nachrichten“ über die KAL war am 5. März 2002 erschienen, Überschrift: „Saufen und Bürgerkrieg spielen“. Zugrunde lag dem Bericht eine Recherche von Antifaschist*innen und Aussagen eines Aussteigers. Gegründet worden war die Neonazi-Gruppe aber schon 2001, das belegten auch spätere Strafprozesse. In den Tagen nach dem 11. September 2001, als echte Milzbrand-Briefe oder Attrappen davon weltweit für Entsetzen sorgten, hatte die KAL ihre Attrappe zwar anonym, aber mit einem zuzuordnenden Fingerabdruck an die Jüdische Gemeinde in Aachen verschickt.

Seitdem war die Gruppe zuerst Antifaschist*innen und dann auch nach einer kontinuierlich wachsenden Berichterstattung – oft durch den Autor dieser Zeilen, auch via Blog – der breiten Bevölkerung bekannt. Die Straftaten, Gewaltexzesse und Bedrohungen variierten. Negativ-Höhepunkte waren u.a. ein Angriff von KAL-Leuten, Hooligans und „Autonomen Nationalisten“ (AN) auf eine antifaschistische Demonstration 2008 und das Bauen von Sprengkörpern und Ablegen einer Paketbomben-Attrappe vor dem „Autonomen Zentrum“ (AZ) 2010. Nicht zu vergessen eine Reihe schwerer Gewalttaten gegen Menschen. 2010 war sogar ein früheres KAL-Mitglied in einen Mord in Leipzig verwickelt.

Führungskader, namentlich nach Städten oder Kreisen wie Heinsberg und Düren benannte „Sektionen“ sowie mehrere Generationen von Neonazis wechselt sich ab. Am Ende war aus dem „Saufhaufen“ – wie man die KAL zu Beginn in Polizei- und Szenekreisen zuweilen inoffiziell und hämisch nannte – eine bundes-, teils europaweit vernetzte Kadertruppe geworden, die rund um „Führers Geburtstag“ entsprechende Feiern mit verbotenem Liedgut, Hakenkreuz-Fahnen und Sieg heil!-Rufen abhielt. Die KAL stand zeitweise „Blood & Honour“ nahe.

Abschiedsbotschaft noch während der Polizeirazzia

Die Berichterstattung über die neue regionale Neonaziszene erforderte über viele Jahre eine kontinuierliche und beharrliche Arbeit. Manche Lokalredaktionen ignorierten das Thema zuerst noch, in anderen waren Kolleg*innen schon verängstigt, bevor überhaupt berichtet worden war. Doch am Ende wuchs der gesellschaftliche Druck, so dass das Verbot zwar lange gefordert werden musste und spät erfolgte, aber unumgänglich war. Das Ende der KAL bedeutete es nicht.

Mehrfach hatte sie sich darauf vorbereitet, doch waren die Mitglieder gespalten: Die einen wollten die Selbstauflösung, um dem Verbot zu entgehen und um neue Strukturen aufzubauen, die anderen provozierten das Verbot und wollten nach einer Schonfrist neu aktiv werden. Noch am Morgen des 23. August 2012 erschien auf der KAL-Homepage ungeachtet der Großrazzia ein höhnischer Kommentar: „Wir sind verboten. Na und?“ Man bleibe auch ohne Gruppenstatus weiter aktiv. Die Mitglieder würden nun „alle schön verstreut“ aktiv sein. „Willkommen im Chaos.“

Die Wiederbelebung erfolgte am 2. Februar 2013 mit der Gründungsfeier der Kreisverbände Aachen und Heinsberg der Neonazi-Partei „Die Rechte“ (DR) in Nörvenich-Frauwüllesheim (Kreis Düren). Der Landesverfassungsschutz wertete die DR als Auffangbecken verbotener „Kameradschaften“, geschützt nun jedoch durch das Parteienprivileg. Die Behörden betonten, dass der Gründungstag dieser DR-Verbände mit dem offiziellen Gründungsdatum der KAL am 1. Februar 2002 korrespondierte – um aufzuzeigen, dass man weiter existiere.

Der trickreichste Reorganisations-Coup hin zu einer neuen „Kameradschaft“-ähnlichen Gruppe erfolgte Mitte 2014. Die Neonazis verkündeten im Internet, dass eine der örtlichen DR untergeordnete Freizeit-, Schulungs- und Freundesgruppe namens „Syndikat 52“ (S52) gegründet worden sei – angelehnt an die Anfangsziffern der Postleitzahl für den Raum Aachen.

DR- und S52-Aktivitäten glichen denen der KAL. Erneut kamen Verbotsforderungen auf. Ein Gutachten des Landesinnenministeriums zur DR ergab aber, dass die Restrukturierung so geschickt stattfand, dass es formaljuristisch keine Fortführung einer verbotenen Organisation war. Je länger DR und S52 im Großraum Aachen aktiv waren, umso mehr junge Leute schlossen sich neu an. 2019 kam es in Gangelt und Geilenkirchen zu massiven Schändungen jüdischer Friedhöfe durch mutmaßlich S52- und DR-Aktivisten. In Aachen kam es erneut zu Gewalttaten und Bedrohungen gegenüber als links oder „Feind“ eingestufte Menschen.

Das Siechtum und sein Vorspiel

Im Frühjahr 2021 wurde der ehemalige KAL-Anführer Rene L. (Vettweiß, Kreis Düren) neu zum DR-Landesvize in NRW gewählt. Zugleich wirkten DR und S52 marginalisiert. Ermittlerdruck, frühere Verurteilungen und anstehende Prozesse trugen – anders als zu KAL-Zeiten – dazu bei, dass die Aktivitäten zurückgingen. Teile der Szene waren überdies weiterhin verunsichert oder hatten sich nach einer Drogenrazzia 2017 und der Verurteilung von „Kameraden“ wegen Drogenhandels Anfang 2019 zerstritten.

Dass einer der seinerzeit Verurteilten Anfang 2021 erneut wegen Verdachts auf Drogenhandel in Untersuchungshaft genommen wurde und wieder vor Gericht steht, beruhigte die Lage keineswegs. Erfolgte das KAL-Verbot indes spät, zieht sich die aktuelle Schwächung von S52 und dem fusionierten DR-Kreisverband Aachen/Heinsberg hin. Einige Aktivist*innen stiegen aus, andere zogen sich ins Privatleben zurück. Alte KAL-Kader sind jedoch im Hintergrund weiter aktiv. (mik/Bildmaterial: Scans aus der Verbotsverfügung)