Bericht: Gegen-Karlspreis für Verschwörungsguru Daniele Ganser
Region Aachen. Im Jahr 2023 sollte zunächst der Verschwörungsguru und umstrittene „Friedensforscher“ Daniele Ganser den neuen Gegen-Karlspreis der Aachener Querfront erhalten – geehrt wurde aber der Theologe Eugen Drewermann. Am Donnerstag trat Ganser zum zweiten Mal im Eurogress auf. Kurz vor seinem Auftritt wurde ihm bei einer Kundgebung im benachbarten Kurpark dann die „Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit“ verliehen.
Im Frühjahr 2023 tourte der auch als Verschwörungstheoretiker oder -ideologe bezeichnete „Friedensforscher“ durch die Schweiz, Österreich und Deutschland – angekündigt war er auch für Aachen. Den Auftritt des Schweizers im ausverkauften Eurogress am 28. März 2023 besuchten rund 1.600 Anhänger*innen. Das Spektrum reichte schon damals von Links- bis Rechtsaußen – aber es waren auch Menschen dabei, die sich in der Mitte der Gesellschaft verorten.
Obwohl die Lokalpolitik seinerzeit beteuerte, solchen fragwürdigen Auftritten künftig keine Bühne mehr bieten und das von der Stadt betriebene Eurogress nicht mehr an jedermann vermieten zu wollen, bewarb Ganser Ende 2023 einen weiteren Auftritt an gleicher Stelle für Mai 2024. Die Aachener Querfront beschloss daraufhin, Ganser nun ehren zu wollen. Der Schweizer selbst hatte 2023 offenbar Terminprobleme und konnte seinerzeit nicht zu einer Ehrung nach Aachen kommen. Drewermann wiederum nahm 2023 den Preis auch nicht persönlich entgegen, sondern war nur über eine Smartphone-Verbindung zugeschaltet.
Am Donnerstag hielt der inzwischen selbst umstrittene Theologe als letztjähriger Preisträger die Laudatio auf Ganser. Drewermann glänzte allerdings erneut durch Abwesenheit, seine Worte wurden mittels eines vorproduzierten Videos abgespielt. Zeitgleich wurde das Video auch auf YouTube hochgeladen. In seiner Laudatio sprach Drewermann davon, dass Ganser vor Jahren schon „denunziert und diffamiert“ worden sei. In den Medien gebe es eine „unausgesprochene Anweisung“, entweder gar nicht mehr über Ganser zu berichten „oder negativ“.
Drewermann sprach zudem in dem Video von einer „Welt der offiziellen Verlogenheiten“. Er bestritt, dass der oft geäußerte Vorwurf des Antiamerikanismus auf Ganser zutreffe. „Das ist Unsinn“, sagte Drewermann. „Seit 1945 hat es keinen Krieg gegeben der nicht von Amerika, den USA, angezettelt, unterstützt und mitgetragen wurde“, so der Theologe. Zu Ende gedacht suggeriert Drewermann hier: Auch für die gewaltsame Annexion der Krim durch Russland 2014 und den Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 seien die USA mitverantwortlich.
Vielfalt, Demokratie, Weltoffenheit – und Frieden...
Die Aachener Querfront – ein Bündnis aus Kleingruppen, die seit den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und gegen das Impfen gemeinsam agieren – verlieh also am Donnerstag vor den Stufen des Eurogress die „Auszeichnung für Menschlichkeit“. Im Jahr 2023 hatte Gansers Gastspiel in dem Veranstaltungszentrum in städtischer Trägerschaft noch für Empörung und heftige Debatten in Lokalpolitik und Zivilgesellschaft gesorgt, es gab Demonstrationen für und gegen Ganser. In diesem Jahr blieb all das aus. Lediglich sämtliche Eurogress-Schaukästen waren anlässlich des Ganser-Auftritts mit Plakaten bestückt worden, die für Vielfalt, Demokratie, Frieden und Weltoffenheit warben.
Allerdings sind genau das eben Inhalte, die Gansers Anhänger*innen zu vertreten meinen – jedoch nicht selten auf ihre Sichtweise interpretiert. Denn Ganser hat sich selbst als „Friedensforscher“ bezeichnet. Seit geraumer Zeit glauben er und seine Anhänger*innen, Teil einer großen „Menschheitsfamilie“ und neuen „Friedensbewegung“ zu sein. Als „Hüter“ dieser „Menschheitsfamilie“ wurde Ganser daher bei der Kundgebung auch überschwänglich gelobt und bejubelt. In seinen Dankesworten sagte er, seine Anhänger*innen sollten wissen, „dass wir die Mehrheit sind. Das sieht immer [nur] so aus, als wenn wir ganz wenige sind.“ Erkennbar wurde in einem solchen Moment, dass Ganser auch Strategien aus dem Coaching und dem Populismus verwendet. Seine Anhänger*innen betrachten ihn nicht selten als eine Art Guru, Kritiker*innen Gansers wurden in der Vergangenheit wiederholt verbal oder via Shitstorm von seiner Gefolgschaft drangsaliert.
Besagter Querfront-Preis war 2023 als Gegenentwurf zur Verleihung des Karlspreises an den „Kriegstreiber“ Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk ins Leben gerufen worden. Nun erhielt Ganser diese „Auszeichnung“ rund anderthalb Stunden vor seinem Auftritt im Rahmen der Kundgebung überreicht. Die rund 100 Teilnehmer*innen, aber auch das spätere Publikum im Eurogress bildeten dabei das klassische Spektrum ab, was mit einer Querfront gemeint ist: Linksalternative, Esoteriker*innen, Friedensbewegte, „Querdenker*innen“ und Verschwörungsgläubige, dazu Vertreter*innen der „Freien Linken“ und des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), solche der Splitterpartei „dieBasis“ und Mitglieder bzw. Anhänger*innen der AfD und des rechtsradikalen, fremdenfeindlichen Spektrums.
Hinzu kamen Menschen, die optisch eher der bürgerlichen Mitte und dem Mittelstand zuzuordnen wären. Gansers Anhänger*innen waren dabei – wie schon 2023 – aus dem gesamten Rheinland angereist, den Autokennzeichen nach aus einem weiten Radius zwischen Niederrhein, dem Düsseldorfer Raum, Teilen des Ruhrgebietes sowie dem Köln-Bonner Umland. Gansers Erfolgsmodell für die üblicherweise ausverkauften Vorträge ist bei der aktuellen Tour das gleiche wie schon 2023: Strategisch geplant haben die Auftritte möglichst immer ein großes Einzugsgebiet. Aachen war diesmal der einzige Auftrittsort in Nordrhein-Westfalen.
Im vergangenen Jahr lautete der Titel von Gansers Vortrag: „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ Die USA, die NATO und die Ukraine seien hauptsächlich die Bösewichte in der aktuellen Weltpolitik, während Russland eher unfreiwillig in einen Krieg um die Krim und die Ukraine geraten sei, war eine der Thesen Gansers. Der diesjährige Besuch im Eurogress wurde vorab mit dem Titel „Live-Vortrag zum Thema Weltfrieden“ beworben. Am Abend selbst lautete das Motto für Gansers Auftritt schlicht: „Weltfrieden.“
Wie schon am 28. März 2023 war Gansers Welt im Eurogress gewohnt smart. Der Vorverkauf soll 2024 allerdings schleppender verlaufen sein als im vergangenen Jahr. Einige Ticketportale meldeten die Veranstaltung schon Tage vorher als ausverkauft, andere boten bis zuletzt offizielle Tickets im Internet an. Am Abend selbst kursierten Infos, das Event sei ausverkauft – bis Donnerstagmorgen soll dem gleichwohl nicht so gewesen sein. Ganser präsentierte sich erneut als Bühnenprofi, sein Team arbeitet weiterhin hochprofessionell im Hintergrund. Der Schweizer ist und bleibt ein solider Unternehmer und Selbstvermarkter – er tritt nach wie vor auf, hält aber keine wissenschaftlichen Vorträge im eigentlichen Sinne.
Verschwörungsdenken, rechte Szene und Querfront-Gebilde
Am kommenden Donnerstag, 23. Mai, startet im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Welthaus-Donnerstags-Kultur“ eine Vortragsreihe zum Thema Verschwörungsdenken, rechte Szene und Querfront. Gut eine Woche nach Gansers großem Auftritt in Aachen wird der freie Journalist Matthias Holland-Letz dessen Vorgehen und die Kritik an ihm in einem sehr viel kleineren Rahmen einordnen. Am Beispiel Gansers ließen sich die populistischen Themen und Strategien der so genannten „Neuen Friedensbewegung“ gut analysieren, heißt es in der Ankündigung. Der Vortrag ab 19 Uhr in der Aula des Welthauses biete daher nicht nur Einblicke in Gansers sonderbare Welt, sondern weit darüber hinaus in die Untiefen des Verschwörungsglaubens.
Matthias Holland-Letz ist freier Journalist in Köln (WDR 5, SWR 2, Deutschlandfunk, Gewerkschaft GEW). Er hat sich intensiv mit Daniele Ganser beschäftigt und wird kommenden Donnerstag am Beispiel des Ukraine-Krieges darstellen, wie der umstrittene Historiker arbeitet. Und der Journalist will darstellen, wie der Schweizer für eine Zusammenarbeit von Links und Rechts (Querfront) wirbt – und damit Brandmauern gegenüber radikalen Rechten einreißt.
Der Vortrag mit anschließender Diskussion bildet den Auftakt zu einer vierteiligen Veranstaltungsreihe zum Themenkomplex (Rechts-)Radikalismus und Verschwörungsdenken. Weitere Vorträge im Laufe des Jahres 2024 werden sich schwerpunktmäßig mit der radikal rechten und verschwörungsideologischen Szene in Aachen und der Region, der Rolle des Antisemitismus in Verschwörungserzählungen und den erstaunlichen Wandlungen ehemaliger Linker hin zum rechten Spektrum beschäftigen. Die Veranstaltung wird gefördert von „Demokratie Leben! Aachen“. (mik)