Gansers Welt: Der Inspirator, der predigt, er sei kein Prediger

Region Aachen. Den Auftritt des umstrittenen „Friedensforschers“ Daniele Ganser im Aachener Eurogress besuchten am 28. März rund 1.600 Anhänger*innen. Das Spektrum reichte dabei von Links- bis Rechtsaußen – und jenen, die sich in der gesellschaftlichen Mitte verorten. Der von Teilen seines Publikums ähnlich eines Guru verehrte und als Verschwörungsunternehmer geltende Historiker aus der Schweiz hatte Tage zuvor noch dem rechtsradikalen Medienprojekt AUF1 ein Interview gegeben.

In Aachen erfüllte Ganser seine Rolle passgenau. „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ lautete sein Thema an diesem Abend. USA, Nato und die Ukraine seien überwiegend die Bösewichte in der aktuellen Weltpolitik, während Russland im Bereich der Krim und Ukraine eher unfreiwillig in einen Krieg hineingeraten sei. Den habe der Westen dem russischen Machthaber Wladimir Putin also quasi aufgezwungen. So in etwa könnte man Gansers Thesen auf seiner Vortragstournee zugespitzt herunterbrechen. Den Auftritt im Eurogress umschreibt die Lokalzeitung als „erfolgreiches Geschäftsmodell“, wobei alles daran wirke „als würden Putins Trolle Regie führen“. Der Bestsellerautor habe „klassische Kreml-Propaganda […] Halbwahrheiten und Verdrehungen“ verbreitet, so der Berichterstatter der Aachener Zeitung.

Die Besucher*innen an jenem Abend waren aus dem gesamten Rheinland angereist, also vom Niederrhein, aus dem Raum Düsseldorf, Köln und Bonn, der Region Euskirchen/Eifel sowie aus dem benachbarten Grenzland. „Die Autokennzeichen lassen […] auf ein großes Einzugsgebiet schließen“, stellt die Lokalzeitung fest. Derlei deckte sich auch mit Beobachtungen aus anderen Städten, in denen Ganser auf seiner aktuellen Tournee schon stoppte.

Masse generieren dank Reduktion

Strategisch geplant sollen die Auftritte nach Möglichkeit immer ein großes Einzugsgebiet haben. In anderen Städten wurde etwa über Anreisende aus einem Radius von 300 Kilometern berichtet. So sollte Dortmund am 27. März das Ruhrgebiet zentral abdecken. Einen Tag später fand nicht in Köln, wohl aber in Aachen der Rheinland-Auftritt statt. Das erklärt auch die hohe Zahl an Anhänger*innen und die oft schon im Vorfeld ausverkauften großen Hallen. Treten etwa manche Comedians oder Buchautoren auf Tourneen je in Aachen, Köln, Düsseldorf, Düren, Heinsberg und Mönchengladbach auf und füllen dort kleinere Säle, konzentriert sich Ganser auf den einen Termin – und generiert so mittels Reduktion die Masse an Zuhörer*innen.

Ganser hat sich selbst zum „Friedensforscher“ erklärt. Seit geraumer Zeit meinen er und seine Anhänger*innen, Teil einer großen „Menschheitsfamilie“ und „Friedensbewegung“ zu sein. Insgesamt galt der Event in Aachen bei den Teilnehmer*innen daher auch als fulminantes Gemeinschaftserlebnis und Meeting eben jener „Menschheitsfamilie“. Ganser selbst schmähen Kritiker*innen indes als einen „Schwurbelguru“, der gegen Eintritt „Zahlschafe“ belehre. Denn er tourt bundesweit, riesige Hallen mit 1.500 bis 3.000 Plätzen sind ausverkauft. Besucher*innen zahlen rund 30 Euro Eintritt. Somit ist der Historiker seine eigene Gelddruckmaschine, pro Abend dürften die Bruttoeinnahmen sich – ohne Buchverkauf in der Signierstunde – auf 45.000 bis 90.000 Euro belaufen.

Ganser präsentiert sich aber zugleich bescheiden und sachlich, will nur Inspirator sein – und predigt, dass er weder ein Prediger, noch ein Guru sei. Bei so viel Charme geriet in Aachen selbst eine ansonsten aggressiv und radikal trollende Impfgegnerin ins Schwärmen, nachdem sie den höflichen Kumpeltypen zufällig an der Hotelbar getroffen hat. Via Facebook lobte die Frau, die als ausgebildete Krankenschwester und „Mentorin“ freiberuflich die Betreuung von Senior*innen anbietet: „Wie freundlich, zugewandt und einladend sie [privat] waren. Eine tolle Energie [...]. Eine wahre Wohltat mit so hoch schwingenden Menschen in Kontakt zu sein[.]“

Gutbürgerliches politisches Crossover

Das Spektrum der Teilnehmer*innen reichte im Eurogress von Links- bis Rechtsaußen und natürlich jenen, die sich in der gesellschaftlichen Mitte verorten. Das Parteienspektrum wurde abgedeckt zwischen Die Linke, „dieBasis“ und der AfD. „Die einzig wahre Friedensbewegung in Deutschland werde angeführt von Sahra Wagenknecht, postuliert er unter lautstarkem Beifall“, berichtet die Lokalzeitung. Ganser spricht selbst auch das Querfront-Spektrum an, das Wagenknecht für eine neue Partei rekrutieren müsste. Der gemeinsame politische Nenner ist die Skepsis bis offene Feindschaft gegenüber den USA, der Nato und der Bundesregierung. Nicht nur optisch glich das Publikum in Aachen dabei einem Treffen der bürgerlichen Mitte. Wer bei solchen Abenden immer noch radikalisierte Rechte und „Reichsbürger*innen“ anhand von Bomberjacken, Stiefeln oder Fahnen identifizieren will, versteht Gansers „Menschheitsfamilie“ nicht.

Selbst der AfD-Rechtsextremist verträgt sich im Auditorium in jener „Familie“ – zumindest auf Zeit! – mit der Frau mit schwarzer Hautfarbe, mit dem türkischstämmigen Macho oder der aus Palästina stammenden Muslima mit Kopftuch. Das mutet ähnlich ambivalent an wie Gansers Wirtschaftskonzept. Sachlich argumentierenden Kritiker*innen und kritisch berichtenden Journalist*innen wirft er auf seinen Kanälen in den Sozialen Medien und teils unter Nennung der Namen öffentlich vor, sie würden gegen ihn „hetzen“ und ihn „diffamieren“.

Zugleich aber ließ der „Friedensforscher“ sich wenige Tage vor seinem Auftritt in Aachen noch von dem rechtsradikalen Medienprojekt AUF1 interviewen. AUF1 steht eher selbst für Hetze, Rassismus, für das Verbreiten von Fake-News und Verschwörungserzählungen. Demokratiefeindlichkeit tarnt sich hier hinter dem Hochglanzformat. Der Kopf von AUF1 mit langjähriger rechtsextremer Vergangenheit tritt bei alldem in Nadelstreifen auf.

Demgegenüber neigt die klassische Ganser-Anhänger*innenschaft eher zur Esoterik, zur Spiritualität und fühlt sich in der Welt der Achtsamkeitskurse wohl. Andere arbeiten freiberuflich im Coaching oder als Sozialpädagogen, manche bieten psychologische Dienste und Hypnose an. Hinzu kommen ein Hang zur Alternativmedizin und zu Verschwörungsmythen. „Querdenker*innen“ und Impfgegner*innen waren in Aachen erwartbar ebenso im Publikum wie Menschen aus dem rechten Spektrum.

Ein antisemitischer „Reichsbürger“ aus der Region schrieb auf seinem Telegram-Kanal um 19.53 Uhr, er hoffe noch darauf, Ganser interviewen zu können. Daneben postete der Rechtsextremist ein Foto aus dem großen Saal im Eurogress. Zu sehen war darauf, wie die letzten Besucher*innen ihre Plätze kurz vor Beginn des Bühnenprogramms einnahmen. Gegen den „Reichsbürger“ wird wegen des Verdachts auf Volksverhetzung ermittelt, überdies soll er bei einem Masken-Streit an einer Tankstelle 2021 einen Mitarbeiter laut rechtskräftigem Strafbefehl „Nazi-Sau“ und „Demokratenschwein“ genannt haben. Über den teils kritischen Ganser-Bericht in der Lokalzeitung war der Antisemit erzürnt und postete: „[Der Bericht] wäre vor 5 Jahren üble Nachrede und Strafbar gewesen...“ (sic!)

„Zensur“ durch (frühere) „Impf-Faschisten“?

In Aachen hat Ganser über Wochen zu teils scharfen Debatten in der Lokalpolitik, Wissenschaft, Bildungseinrichtungen und in der Zivilgesellschaft geführt. Nach ersten kritischen Berichten in der Lokalzeitung riefen Verschwörungsideologen und Querfront-Aktivisten über ihre internen Kommunikationskanäle dazu auf, die Zeitung mit kritischen Leserbriefen zu fluten. Das geschah auch. Nachdem eine Demonstration auf dem Markt Wochen vor dem Ganser-Auftritt ein Zeichen gegen Demokratiefeindlichkeit setzen wollte, mobilisierte Aachens Querfront zum Protest gegen die Ganser-Gegner*innen. Rund 100 Ganser-Anhänger*innen folgten dem Aufruf zum Protest gegen die „Zensurbefürworter“ – angereist waren sie aus der gesamten Städteregion, den Kreisen Düren und Heinsberg, dem Rhein-Erft-Kreis und aus dem benachbarten Grenzland.

Obschon seit Wochen feststand, dass Ganser in Aachen auftreten können wird, setzte Aachens Querfront den Kampf gegen die angebliche „Zensur“ sogar noch am Abend des 28. März fort. Aktivist*innen hatten sich vor das Eurogress mit Schildern postiert, auf denen man „Keine Zensur“, „lebendige Demokratie“ und „Meinungsfreiheit“ einforderte. Ausgerechnet jene „Querdenker*innen“, Impfgegner*innen und Verschwörungsgläubigen sind jedoch seit fast drei Jahren stetig und zuweilen mehrmals wöchentlich mit Aktionen, Kundgebungen, illegalen „Spaziergängen“, Rosenkranzgebeten und Versammlungen im öffentlichen Raum präsent. In ihren Reden, auf Homepages, in den sozialen Medien und Chats der Szene verbreiten sie seit langem ununterbrochen ihre Inhalte, bis hin zu Schmähungen, Hetze und Rufmord-Kampagnen gegen Kritiker*innen.

Eine Zensur fand also nie statt, die Meinungsfreiheit war nie wirklich bedroht. Eher erinnerte jene Gruppe an den Stufen zum Eurogress daran, dass die Selbstermächtigung der Szene dazu führte, dass Kritik und Widerspruch seit längerem schon als „Zensur“ geframed wird. Demonstrierte man zunächst gegen die „Corona-Diktatur“, ging man später gegen den „Impf-Faschismus“ auf die Straße. Nun will man eine „Friedensbewegung“ sein, steht aber oft Putin politisch nahe. Während in Russland zensiert wird sowie in Putins Autokratie kritische Medien und Initiativen verboten oder Oppositionelle inhaftiert werden, diskreditieren jene Kreise den Widerspruch ihnen gegenüber als „Zensur“.

Smartes Unternehmertum

Gansers Welt war am 28. März im Eurogress hochprofessionell, aufpoliert und in Teilen gut inszeniert. Ganser gab sich auf der Bühne als Vollprofi und sein Team wirkte im Hintergrund wie ein Schweizer Uhrwerk. Personenschützer in frisch gebügelten weißen Hemden und Nadelstreifenanzügen standen ihm zur Seite: Während des Signierens der Bücher und bei den Fotoshootings mit seinen Fans. Ein höchst professioneller Fotograf aus Ostdeutschland, der lange beste Kontakte zu renommierten Großunternehmen der Branche hatte, ließ Gansers Lächeln auf Fotos selbst bei schlechter Beleuchtung erstrahlen. Denn Ganser ist ein smarter Unternehmer – er absolviert Auftritte wie ein Star, hält indes keine wissenschaftlichen Referate im eigentlichen Sinne. (mik)