Verschwörungsbooster: „Friedensforscher“ Daniele Ganser soll in Aachen auftreten

Aachen. Aktuell tourt der „Friedensforscher“ und auch als Verschwörungstheoretiker oder -ideologe bezeichnete Daniele Ganser durch die Schweiz, Österreich und Deutschland. Unterdessen sehen das Lokalpolitiker*innen und bisherige Kooperationspartner der Veranstaltungsorte in einigen Kommunen kritisch. Ganser wird für Ende März auch in Aachen angekündigt – im Eurogress.

Da Ganser auch in anderen Städten und Kommunen Räume und Hallen ansteuert, die von diesen oder der öffentlichen Hand zumindest teilweise betrieben und verwaltet werden, gibt es Kritik an seinen Tourplänen. Solche Räume in Innsbruck bleiben ihm verwehrt. Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi (Grüne) wies laut Medienberichten die Congress und Messe Innsbruck (CMI) GmbH an, die Veranstaltung Ende Januar nicht stattfinden zu lassen.

In vielen anderen Städten darf Ganser indes auftreten respektive werden seine Auftritte weiter beworben. Im hessischen Bensheim führte eine Serie mehrere Auftritte dazu, dass laut Lokalzeitung Sponsoren absprangen. Aufgrund des Gastspiels Gansers im städtischen Bürgerhaus, heute das Kultur- und Kongresszentrum, würden diese auch künftig die Zusammenarbeit mit den lokalen Veranstalter*innen überdenken. Anlass für die Kritik waren Hinweise des Beratungsnetzwerkes Hessen, das sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzt. Es nannte Ganser einen „bekannte[n] Verschwörungsideologe[n]“.

Auch der für Ende März geplante Auftritt Gansers in Dortmund in der Westfalenhalle hat die Lokalpolitik alarmiert. Parteiübergreifend fordert sie die Absage des Events. Ganser wird indirekter Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und Holocaust-Relativierung (s.u.) vorgeworfen. Das „Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund“ und „RIAS NRW – Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“ schreiben in einer Stellungnahme, Ganser sei kein „harmlose[r] Redner [...| Auch wenn er selbst nie mit offenen antisemitischen Aussagen in Erscheinung getreten ist, unterstützt und verbreitet er Theorien, die eine Nähe zu antisemitischen Verschwörungserzählungen aufweisen und bei Personen, die hierfür empfänglich sind, auf fruchtbaren Boden fallen.“ Die Dortmunder Grünen nannten Ganser einen der „aktivsten Akteure der verschwörungsideologischen Szene im deutschsprachigen Raum“.

Einen Tag nach seinem Dortmunder Gastspiel soll der „Friedensforscher“ im Eurogress auftreten. Via Facebook und Chats loben und bewerben einschlägig bekannte Protagonisten aus dem Rheinland den bevorstehenden Auftritt – der Abend dürfte ein Pilgerevent für Menschen werden, die zwischen Verschwörungsglauben, „Querdenken“, Putin-Anhängerschaft und Antiamerikanismus pendeln. Schon 2020 und 2021 waren Termine mit Ganser im Eurogress angesetzt. Ganser sollte zunächst am 9. November 2020 in Aachen auftreten, Thema damals: „Imperium USA – die skrupellose Weltmacht.“ Im Zuge des ersten Herbst-Lockdowns wurde der Termin dann auf den 15. November 2021 verlegt. Im September 2021 teilte Ganser mit, das Eurogress habe ihm gekündigt.

Putin-Narrativ und Ukraine-Krieg

Gansers Thema ist bei den derzeit vor allem im Frühjahr anstehenden Auftritten nahezu immer gleich: „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ Als Eintritt müssen Interessierte je Termin rund 30 Euro berappen. In den Ankündigungstexten wird deutlich, dass Ganser sein Thema für die ersten beiden Termine in Aachen der Aktualität angepasst hat. Die „skrupellose Weltmacht“ USA wäre demnach wohl zumindest indirekt mitverantwortlich für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Ganser hatte einst ein besseres Standing in wissenschaftlichen Kreisen und in Teilen der Friedensbewegung. Allerdings entwickelte er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA eine andere Sicht als jene, die in solchen Kreisen als „Mainstream“ bezeichnet wird. Ganser selbst bestreitet, ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Wie nicht wenige in jenen Kreisen will er oft lediglich Fragen stellen oder auf Widersprüche und Unklarheiten hinweisen.

Ganser entwickelte Entertainer-Qualitäten und wurde zum Bestsellerautor von Büchern wie „Imperium USA: Die skrupellose Weltmacht“ oder „Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien“. Ganser argumentativ zu entzaubern, ist Kärrnerarbeit. Der Text „Die Methode Ganser“ von Michael Butter, Professor für Amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen, erschien 2019. Butter stellte fest, Ganser stelle „Suggestivfragen, reisst Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang und verschweigt alles, was nicht in sein Argument passt. Seine Ausführungen lassen nur den Schluss zu, dass die US-Regierung oder ein Teil von ihr hinter den Anschlägen [des 11. September 2001 in den USA] steckt.“

Butter machte an zwei Beispielen deutlich, wie Ganser ihm nützliche Bildquellen selektiv auswählt und andere bekannte Perspektiven „hochgradig manipulativ“ auslässt. Das andere Bildmaterial würde nämlich die von Ganser formulierten Fragen zumindest in Teilen beantworten und ergo dessen daher falsche Fragen und Andeutungen widerlegen. Michael Butter stellte 2019 schon dar, dass Gansers Reputation als Historiker in Fachkreisen stark abnimmt, weil er zuvor schon mit Protagonisten aus dem verschwörungsideologischen Spektrum zusammenarbeitete. Butter prognostizierte, Ganser werde daher den Weg außerhalb der Fachwelt weiter beschreiten.

Im August 2022 berichtete die „Basler Zeitung“ dann, dass Butters damalige These eingetroffen war. Fachkolleg*innen und Politiker*innen, mit denen Ganser zuvor kooperierte, distanzierten sich nun deutlich von ihm. Und zwar, wie es in dem Bericht hieß, „weil er Verschwörungstheorien verbreitet“. Festgestellt wurde von dem Schweizer Blatt aber auch: „Je mehr sich der Historiker von seinem Fach und von wissenschaftlichen Standards abwendet, desto mehr Publikum scheint er zu finden.“

Querdenken, Impfgegner*innen und Verschwörungsgläubige

Im Dezember schrieb Christian Kreil, der sich als Ethnologe auch mit Themen wie Verschwörungsmythen und Alternativmedizin beschäftigt, über Gansers aktuellen Werdegang. In „Der triggernde Influencer und Putin-Versteher“ thematisiert Kreil, dass Ganser auch für den Film respektive – wie Kreil es nennt – die „Querdenker-Schmonzette Pandemned“ interviewt wurde. „In solchen Milieus tritt nur auf, wer den Applaus von Querdenkern, Impfgegnern sowie Verschwörungsgläubigen sucht. […] Ganser triggert diese Leute ganz bewusst. Das ist Teil des Geschäftsmodell eines Verschwörungsplauderers.“

Faktenbasierte Wissenschaft „erwarten seine Fans auch nicht. Sie erwarten von Ganser eine Bestätigung ihrer eigenen Verschwörungsplaudereien und ihres holzschnitzartigen Weltbilds“, merkte Kreil im Dezember zudem an. Der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden nannte den Schweizer laut Medienbericht „einen hochintelligenten Wissenschaftspopulisten“. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die unter anderem an der RWTH Aachen studiert hat und sich intensiv mit Verschwörungsmythen beschäftigt, warf Ganser wegen seiner Aussagen in „Pandemned“ vor, den Holocaust zu verharmlosen: „Die Logik seiner Aussagen [im Film] lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden.“ (mik)