Die Verschiebung des „Postbaren“: AfD kontrolliert Facebook-Gruppen in der Region

Region Aachen. Die AfD und ihr Umfeld haben in Eschweiler die Kontrolle über zwei lokale Facebook-Gruppen. Bei beiden sind insgesamt rund 7.000 User*innen angemeldet. Ebenso verwalten Parteifunktionäre weitere Lokalgruppen in der Region. Sie alle wirken auf den ersten Blick wie gewöhnliche Facebook-Gruppen. Auch Firmen und Vereine posten dort ihre Inhalte und Termine. Unbewusst respektive indirekt legitimieren sie die AfD als normale, bürgerliche Partei. Dabei gilt die Parteijugend Junge Alternative (JA) unterdessen als erwiesen rechtsextrem, die Alternative für Deutschland wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und beobachtet.
Vor Jahren gehörten die AfD-Ortsgruppen Stolberg, Eschweiler und Aachen zu den stärksten und aktivsten in der Region. Zwar konnte die Partei in Alsdorf bessere Wahlergebnisse erzielen, gleichwohl fehlten ihr seinerzeit dort noch lokale Strukturen. In Stolberg, Eschweiler und anderen Kommunen in der Region (s.u.) gründeten AfD-Vertreter*innen vor rund zwei Jahren vermeintlich unpolitische Facebook-Gruppen. Benannt wurden sie unverfänglich nach den jeweiligen Städten. In Stolberg war das Projekt nicht sehr erfolgreich (s.u.), in Eschweiler funktionierte es. Heute wirkt die Facebook-Gruppe „Eschweiler“ auf den ersten Blick unpolitisch.
Administriert und moderiert wird sie zugleich von dem Chef der AfD-Ortsgruppe und einem Parteifreund. Erstgenannter ist ein aufstrebender Multifunktionär der Partei, der zugleich als Chef der Eschweiler Ratsfraktion fungiert. Sein Parteifreund, der die Facebook-Gruppe „Eschweiler“ mit verwaltet, hat in der Vergangenheit Facebook-Seiten und Homepages der AfD-Städteregion sowie der Ortsgruppen redaktionell mit betreut. Aktuell hat die genannte Facebook-Gruppe keine anderen Admins oder Moderator*innen.
Die zweite Facebook-Gruppe heißt „Was geht ab in Eschweiler und der Welt“. Oben erwähnter AfD-Multifunktionär wird dabei seit Juli 2020 als einer von vier Verantwortlichen genannt – zudem zwei weitere Männer, die der Partei politisch nahe stehen. Einer ist seit März 2021 ein Moderator der Gruppe, der andere fungiert schon seit Oktober 2019 als Admin. Letztgenannter will auf den ersten Blick nicht so recht zu der rechtsradikalen Partei passen. Bei dem Mann handelt es sich um einen Kleinunternehmer mit Zuwanderungsgeschichte, der schon wegen seines reaktionären christlichen Glaubens aufgefallen ist, sich zu seiner Liebe zu Israel, dem Heiligen Land bekennt, aber ebenso regelmäßig AfD-Inhalte verbreitet.
Auf hellbraunen Samtpfoten
Als vierter Admin wird seit Oktober 2021 ein Mann genannt, der seit zirka neun Jahren politisch aktiv ist. Seine Aktivitäten begannen im Zuge der rechtsesoterischen „Friedensmahnwachen“ im Jahr 2014. Er selbst fiel unter anderem durch das Verbreiten verschwörungsideologischer, antisemitischer und den Holocaust leugnender Inhalte auf. Später wendete der Mann sich der rechtsextremen und der rechtsoffenen bis rechtsradikalen Hooligan-Szene zu. Er fiel am Rande von den „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) und von Pegida auf. Zeitweise war er involviert in eine Facebook-Plattform, die sich als regionaler Ableger von Pegida ausgab und Fahrgemeinschaften zu Versammlungen organisieren wollte.
Der Eschweiler war darüber hinaus mit einem früheren NPD-Mann aus Stolberg und weiteren Rechtsextremist*innen aktiv in der „Identitären Aktion“ (IA), einem neonazistischen Ableger der rechtsextremen und fremdenfeindlichen „Identitären Bewegung“ (IB). Die IA war im westlichen Rheinland eine Zeit lang sehr aktiv und nutzte die sozialen Medien und Netzwerke intensiv, um Hetze gegen Muslime, Asylsuchende, Migrant*innen und Schwarze zu verbreiten. Spätestens bei der IA erlangte der Mann auch sein Wissen über den strategischen Umgang mit den sozialen Netzwerken.
Demnach werden zwar rechte bis rechtsextreme Inhalte über die sozialen Medien verbreitet. Andererseits werden aber auch unverfängliche Postings respektive ebensolche Kommentare abgesetzt. So soll auch das Bild vermittelt werden, dass man Menschen und anderen Nutzer*innen mit Tipps und Ratschlägen zur Seite steht. Hingewiesen wird dabei auf örtliche Begebenheiten, auf Hilfsangebote oder unterhaltsame Vorfälle. Ein solches Vorgehen soll dazu beitragen, Rechtsextreme und Fremdenfeinde nicht als solche, sondern als kumpelhafte Kümmerer wahrzunehmen. Unter dem Deckmantel des seriösen Auftretens wird also – ganz nebenbei – auch die eigene Propaganda eingestreut.
Administration und Moderation lokaler Facebook-Gruppen durch rechte Aktivist*innen sind keine Gefälligkeit gegenüber der Stadtgesellschaft. Bei der NPD nannte man diese Art des Agierens in der realen Welt die „Samtpfötchen-Strategie“. Dahinter steckt das Vorhaben, weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Als vermeintliche Kümmerer agierend wird parallel dazu ein Resonanzraum geschaffen, in dem man auch eigene Inhalte und Propaganda verbreiten kann. Motto: Das wird man wohl noch posten dürfen.
Die Verschiebung des „Postbaren“
Bundesweit hat die AfD das „Sagbare“ nach rechtsaußen verschoben und verschiebt es weiter. Ebenso werden die Inhalte in Facebook-Gruppen in die eigene (politische Aus-) Richtung nach rechts verschoben. In der Ausgabe 21 (20. Mai 2023) stellte das Magazin „Der Spiegel“ fest: „Zehn Jahre nach ihrer Gründung haben sich so viele an die [AfD] und ihr Gedankengut gewöhnt, dass nicht einmal Geschichtsrevisionismus noch eine Debatte auslöst. […] Ihr größter Erfolg besteht darin, den Diskurs nach rechts verschoben zu haben. Ihre Inhalte und ihre Stilmittel werden immer häufiger übernommen, von konservativen Politikern, konservativen Medien. Auch das trägt zu ihrer Normalisierung bei.“
Neben der „Normalisierung“ auch in Facebook-Gruppen erkennen Admins und Mods Kritiker*innen, können sie gegebenenfalls maßregeln, reglementieren oder blockieren. Als kürzlich eine Nutzerin in „Was geht ab in Eschweiler und der Welt“ bemängelte, dass in einem Posting und von anderen Nutzer*innen zu viel Wahlwerbung für die AfD gemacht werde, antwortete einer der Verantwortlichen lakonisch: „kannst gerne für andere Parteien Werbung machen wenn du mit den Reaktionen leben kannst[.]“ (Rechtschreibung wie Original.) In einem anderen Kommentar „outete“ der Mann eine Nutzerin, die den Admins und Moderatoren entsprechendes Posting als Belästigung gemeldet hatte und um Löschung bat. Die Frau wurde später auch von anderen User*innen angefeindet.
Die Facebook-Gruppe „Was geht ab in Eschweiler und der Welt“ wurde vor rund sieben Jahren gegründet. Der damalige Admin postete schon 2016 und 2017 Inhalte, die sich im rechten Duktus gegen die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel richteten. Einige Mitglieder stimmten dem zu, andere widersprachen. Anfang 2018 löschte der Admin offenbar ebenso noch Postings, die von einer Nutzerin mit einer Nähe zur AfD zu radikal und zu beleidigend formuliert worden waren. Später fanden sich jedoch immer mehr rechte beziehungsweise AfD-Inhalte, zudem kamen solche hinzu von Corona-Maßnahmen- und Impfgegner*innen bzw. Verschwörungsideologen. Die Verschiebung des „Postbaren“ findet also statt.
Ähnliche Gruppen in anderen Kommunen
Oben genannter aufstrebender AfD-Multifunktionär war offenbar im März 2021 sehr aktiv beim Aufbau lokaler Facebook-Gruppen. Mehrere Gruppen, die lediglich den Namen der jeweiligen Kommune tragen, wurden seinerzeit von diesem „erstellt“, wie es im Facebook-Duktus genannt wird. Keinen Erfolg hatte die AfD in Simmerath und Würselen (lediglich je ein Mitglied, also bisher nur der Gründer selbst). Die Facebook-Gruppe „Roetgen“ hat aktuell fast 20 Mitglieder. Gemeinsam mit dem AfD-Funktionär aus Eschweiler verwaltet ein AfD-Funktionär aus der Nordeifel diese Gruppe. Für die Gruppe „Stolberg“ (fast 90 Mitglieder) tritt der Eschweiler wiederum alleine als Admin auf.
Zwei weitere Facebook-Gruppen verwaltet der AfD-Mann aus Eschweiler gemeinsam mit dem Vorsitzenden des AfD-Kreisverbandes Städteregion Aachen, der seinerzeit in Baesweiler lebte. Die Facebook-Gruppe „Baesweiler“ hat aktuell rund 90 Mitglieder, die von den beiden AfD-Männern verwaltete und aufgebaute Gruppe „Herzogenrath“ hat derzeit rund 140 angemeldete User*innen. Den meisten Erfolg neben Eschweiler verzeichnet die AfD mit der von ihr aufgebauten Gruppe „Monschau“. Sie wird von den beiden Parteikadern verwaltet, die auch die Roetgener Gruppe administrieren und moderieren. Fast 370 Menschen sind hier angemeldet. (mik)