Anti-Lockdown-Proteste: Die Familie findet zusammen

Aachen. Irritiert schauen die Mitarbeiter*innen des Testzentrums im Tivoli auf die Kundgebung für ein Ende des Lockdowns direkt neben ihrem Eingang. Manchmal begleiten Polizist*innen verunsicherte Testwillige und führen sie an den Demonstrierenden vorbei zum Eingang. Eine Frau, die Test- und Impfzentrum in der benachbarten Eissporthalle verwechselt hat, steht irgendwann neben der Kundgebung und fragt, überfordert wirkend wegen der vielen Menschen, zufällig Journalisten nach dem Eingang zum Impfzentrum. Was wäre passiert, hätte sie einen der radikalen Impfgegner gefragt? Hohn, Spott?

Rund 150 Gegner*innen der Corona-Schutzmaßnahmen haben am Samstag, dem 27. März vor dem Tivoli für ein Ende des Lockdowns demonstriert. Rund 30 junge Antifaschist*innen demonstrierten gegen die Lockdown-Gegner*innen. Begründet wurde der antifaschistische Protest damit, dass an der Demonstration neben dem Testzentrum auch Vertreter*innen aus dem rechten Spektrum, mehrere AfD-Mitglieder, Verschwörungsgläubige, „Querdenker“, NS-Verharmloser*innen und Antisemiten teilnahmen. Zugleich nahmen an der Anti-Lockdown-Demo aber auch Kleinunternehmer*innen teil, die – eigentlich – auf ihre Situation aufmerksam machen wollten.

Die Polizei war mit einem größeren Aufgebot im Einsatz, insbesondere nach den Vorfällen in Kassel und wegen der benachbarten Test- und Impfzentren wollte man eine Eskalation vermeiden. Denn seit Wochen mobilisierten im Internet verschiedene Spektren unter dem Motto „Zeichen setzen! Die Euregio steht auf...“ für den 27. März zur Kundgebung. In Würselen, Herzogenrath, Stolberg und Aachen wurden Flyer in Briefkästen verteilt. Betrachtet man den Aufwand und die sehr hohe Reichweite der Werbung in Chats und sozialen Medien waren 150 Demonstrierende, darunter auch solche aus benachbarten Kreisen, Belgien und den Niederlanden, gleichwohl kein Erfolg.

Die heterogen wirkende Familie hält zusammen...

Hinter dem Aufruf steckten verschiedene Initiativen bzw. Unterstützer*innen. Maßgeblich für die Organisation war der lose Zusammenschluss „Stoppt den Lockdown!“ Jener hatte Anfang Februar schon zum illegalen Protest am Tivoli aufgerufen, der dann am 14. Februar auch stattfand. „Stoppt den Lockdown!“ ist eine Gruppe von Freund*innen und Bekannten, die zum Teil unter dem Label „la familia“ als Fans der „Böhsen Onkelz“ auftreten, wobei auch ein lokaler Gangster-Rapper involviert ist, der auf der Kundgebung zum Widerstand aufrief und davon sang, dass „Corona nur ne Grippe ist“.

Ein Aachener, der als ein Sprecher von „Stoppt den Lockdown“ bei Facebook auftrat und in dem sozialen Netzwerk selbst rechte und AfD-Inhalte verbreitet hat, hatte in einem Mobilisierungsvideo gleichwohl auch Migrant*innen dazu aufgerufen zu kommen. „Wir wollen nicht immer als Nazis abgestempelt werden auf jeder Demo“, sagte der Mann in dem kurzen Clip dazu. Überdies suchte man im Vorfeld nach Unternehmer*innen, die als Redner*innen bei der Kundgebung auf ihre Probleme und Schicksale hinweisen sollten. Unterstützt wurde die Demonstration überdies ideell von „Querdenken 241“.

 

Zudem trat eine Frau aus Würselen als Mitwirkende in Erscheinung, die schon am 16. Juni 2013 am Eurogress mit Verschwörungsgläubigen an einer Banner-Aktion gegen „Chemtrails“ teilnahm. Verschwörungsideolog*innen behaupten, aus Flugzeugen bzw. über deren Abgase würden chemische Stoffe versprüht, die Menschen weltweit manipulierten. Bei der „Chemtrails“-Foto-Aktion vor rund acht Jahren wurde auf eine Website hingewiesen, die heute noch existiert und unzählige Verschwörungsmythen verbreitet. Unterdessen arbeitet die Würselenerin als Meditations- und Achtsamkeitstrainerin. Als eine der Redner*innen am Tivoli dürfte sie indes eine der sehr wenigen Kleinunternehmer*innen gewesen sein, die auch ans Mikrophon trat.

Ebenso heterogen wie die (Mit-)Verantwortlichen waren auch die Teilnehmenden. Von Kleinstunternehmer*innen und interessierten Bürger*innen oder Schaulustigen – von denen einige sich aber bald wieder entfernten – bis hin zu Menschen, die man von früheren Versammlungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen her kennt: Radikale Impfgegner*innen, Linksalternative, Verschwörungsgläubige, vereinzelte Anhänger*innen der Verschwörungsmythen von QAnon oder jener von „Reichsbürger“-Inhalten, Esoteriker*innen, „Querdenker“ sowie AfD-Mitglieder und -Funktionäre waren anwesend.

Letztgenannten waren mit zwei Vorstandsmitgliedern des AfD-Kreisverbandes Städteregion Aachen und einer Ratsfrau aus Eschweiler am Tivoli, begleitet von einigen Mitgliedern und Anhänger*innen der Partei. AfD-Abordnungen besuchen schon länger regelmäßig die Proteste gegen die Schutzmaßnahmen in Aachen. Dabei wurde meist jener Teil der AfD vorstellig, der auf eine „Bewegungspartei“ setzt und eher einem „Pegida“-nahen Lager anstatt dem rechtsextremen früheren „Flügel“ zuzurechnen ist.

Wider den Wahrheitsindex

Der überwiegende Teil der Redner*innen und Musiker am 27. März war zuvor schon aufgetreten bei den örtlichen Protesten gegen die Schutzmaßnahmen. Zwei Redner von „Stoppt den Lockdown!“ hatten in der vergangenen Wochen schon bei verschiedenen Versammlungen des verschwörungsideologischen Bündnisses „Aachener für eine menschliche Zukunft“ und „Querdenken 241“ Reden gehalten. Ein Ehepaar, dass zu den Hauptverantwortlichen von „Querdenken 241“ gehört, präsentierte am Samstag am Tivoli ein Gedicht mit dem Titel „Unser Land wird von Verbrechern regiert“. Ein verschwörungsideologischer Redner trat ebenso ans Mikrophon, kritisierte das Sterben des Mittelstandes und ergänzte, die aktuelle Politik treibe dies voran um ein „sozialistisches Prinzip, nur bestehend aus Großkonzernen zu etablieren.“

Nachdem später ein Demonstrationszug mit noch rund 90 Personen vom Tivoli zum Markt zog, dominierten zudem „Querdenker“-Parolen das Geschehen. Einige Kleinunternehmer*innen zogen zwar noch mit im Tross, aber dass es auch um ihre gravierenden Probleme wegen des Lockdowns gehen sollte wurde nicht mehr vermittelt oder deutlich. Dabei war zuvor noch betont worden, unter anderem von der Würselenerin und Vertretern von „Stoppt den Lockdown!“, dass der Protest sich gerade den Anliegen der Kleinunternehmer*innen annehmen würde.

Horrorszenario Merkel-Spahn-Söder

Am Ende dominieren also die Radikalisierten. So wie der Teilnehmer in schwarzer Jacke, der auf einer weißen Armbinde am Tivoli mitteilt, er sei „Querdenker Georg“. Auf seinem Rücken hängt ein Plakat, das einem Horrorcomic gleicht. Neben Bildern von Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn und Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder steht in großen, blutroten Lettern „Mörder“, „Verbrecher“ und „Lügenbrut“. Und zwei Mitarbeiterinnen des Testzentrums schauen sich mit Mindestabstand in einer Pause eben jenes Treiben an. „Fassungslos“ mache sie das, was sie sehe und höre, sagt eine der beiden. (mik)