„Rote Jugend Aachen“: Vom Volksgenossen zum Genossen?

Aachen. Sich zu verwandeln bedarf wenig, eine wahre Veränderung jedoch benötigt Zeit: In Aachen hat sich kürzlich die Splittergruppe „Rote Jugend Aachen“ gegründet, die aus einer Handvoll erlebnisorientierten Jugendlichen und Heranwachsenden besteht, die zum Teil schon in der Neonazi-Szene aktiv waren. Inhaltlich orientiert man sich am höchst umstrittenen „Jugendwiderstand“ und ähnlichen maoistischen Gruppen. Das könnte fast als jugendliches Mackertum abgetan werden. Blieben nicht Feindbilder aus dem vorherigen politischen Leben bestehen. Der „AK Antifa Aachen“ rät daher „davon ab mit der Gruppe zu interagieren, geschweige denn zusammen zu arbeiten.“

Damals: Aachen war lange das Gebiet der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). Eines der Hauptangriffsziele der Neonazis waren Linke und antifaschistische Aktivist*innen sowie das am Hauptbahnhof gelegene Autonome Zentrum (AZ). Immer wieder kam es zu Provokationen und Angriffen. Am 17. Juli 2010 wurde vor der Tür des AZ eine Paketbombenattrappe von Neonazis aus dem KAL-Umfeld abgelegt. Im Februar 2012 wurden über anonyme Mailserver Bombendrohungen an Linke, Antifaschist*innen und das AZ geschickt. Im August 2012 wurde die KAL verboten.

Anfang 2013 gründeten alte KAL-Leute einen Kreisverband der Miniaturpartei Die Rechte (DR), in NRW seinerzeit ein Auffangbecken für Mitglieder verbotener Neonazi-Gruppen. Mitte 2014 gründete die DR die ihr formal untergeordnete Freizeit-, Schulungs- und Freundesgruppe „Syndikat 52“ (S52), wobei die 5 und die 2 Anfangsziffern der Postleitzahlen für den Raum Aachen sind. Die Neonazi-Gruppe ist quasi eine legal unter dem Schutzschild des Parteirechts wiederbelebte KAL. Angriffe auf das AZ erfolgten nun durch DR- und S52-Leuten.

Ab 2017 schlossen sich in Aachen rechtsoffene Teeanager S52 an. Seitdem kam es rund um das AZ, im benachbarten linksalternativen Frankenberger Viertel und in Burtscheid immer wieder zu neonazistischen Aufkleber- und Sprühaktionen, zu Angriffen auf Antifaschist*innen oder Auseinandersetzungen zwischen diesen und den sehr jungen Neonazis. Zuweilen waren diese mit Messern bewaffnet. Nachdem es zudem zu Psychoterror im Wohnumfeld von als „Feinden“ angesehen Personen – darunter ein Lokalpolitiker der Grünen – kam, schritt die Polizei ein. Es folgten Anfang 2019 Gefährder-Ansprachen bei den jungen S52-Mitgliedern.

Die Auseinandersetzungen und Angriffe rund um das AZ endeten aber erst zum Jahreswechsel 2020/2021. Der Psychoterror gegen „Feinde“ hatte zwar zuvor abgenommen. Allerdings hatten noch im Europa-Wahlkampf 2019 die minderjährigen S52-Mitglieder DR-Plakate in deren Nachbarschaft aufgehängt. Dabei nutzten sie den Wahlkampf, um Menschen in teils abgelegenen und kaum frequentierten Nebenstraßen unter dem Deckmantel legaler Parteiarbeit erneut zu drangsalieren. Bei dem Grünen-Politiker hingen DR-Plakate mit der Losung: „Zionismus stoppen. Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ Der Lokalpolitiker engagiert sich auch in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Aachen.

Nun: Neben proletarisch-kämpferischen Inhalten publizierte die „Rote Jugend Aachen“ (RJA) auf ihrer Instagram-Seite seit März kommunistische Kampflieder, etwa zu Ehren Ernst Thälmanns. Zudem postete man immer wieder die Musik des Rappers „Taktikka“, einst einer der Köpfe des unterdessen aufgelösten „Jugendwiderstands“ in Berlin. Und man outete in einem mittlerweile wieder gelöschten Beitrag lokale „Zionisten“. Der Grünen-Politiker, den die Neonazis im Frühjahr 2019 mit antisemitischen Plakaten provozierten, fand kürzlich auf der Instagram-Seite der RJA sein Konterfei neben einer brennenden Israel-Flagge und dem Spruch: „Terror back wie die ETA.“

Am 30. März hat die RJA an den „Tag des Bodens“ erinnert. Man gedenke „dem palästinensischen Volk“. Agitiert wurde gegen „den israelischen Staat und sein Apartheid-Regime“. In einem anderen Beitrag bekannte man sich zum Marxismus-Leninismus-Maoismus. Das AZ nannte man einen Ort für die „pseudo-linke Drogen- und Partyszene“ und für „Wanna-be-Antifaschisten“. Man selbst stelle eine „wirklich linke Alternative“ dar und wolle „Jugendlichen aus rechten Dunstkreisen“ helfen sich „umzubilden“. Auf eine kritische Stellungnahme des „AK Antifa Aachen“ am 12. April inklusive „Outing“ der vermuteten RJA-Mitglieder reagierte die Splittergruppe am 17. April mit Kritik und Häme – und „outete“ ihrerseits Personen aus dem antifaschistischen und antideutschen Spektrum.

Nach Eigenangaben sind in der RJA Neonazi-Aussteiger, Migranten und ehemalige Autonome aktiv. Schon bei der DR und S52 äußerst gut geschulte Jugendliche lösten sich zum Jahreswechsel tatsächlich aus der regionalen Neonazi-Szene. Zeitgleich arbeitete man sich ähnlich eifrig wie zuvor in die Welt des Nationalsozialismus nun in jene des Kommunismus ein. In einem Viertel am Stadtrand, wo S52-Aktivisten einst „Anti-Antifa“ und Hakenkreuze sprühten, findet man nun Tags der RJA mit Hammer und Sichel. Fast schon trotzig aber bleibt man verbal und rhetorisch drei alten Feindbildern treu: den Antideutschen, dem AZ – und allem was mit Israel zu tun hat. Veränderung oder Verwandlung? (mik)