Anti-Lockdown-Proteste: Radikales Andocken an die Konformität light

Aachen. Am Sonntag (14.2.) trafen sich am Tivoli rund 140 Menschen die einem illegal über Messenger, soziale Medien und Plakaten verbreiteten Aufruf „Stoppt den Lockdown“ gefolgt waren. Anders als von verschwörungsideologischen Initiativen wurde dabei vorrangig gefordert, Schulen, Geschäfte und die Gastronomie wieder zu öffnen. Die ersten Verbreitungswege des Aufrufes ließen vermuten, dass dahinter Menschen steckten, die sich angesichts der Corona-Krise ohne politische Agenda schlicht um ihre Zukunft sorgen. Rund eine Woche vor dem Termin mobilisierten aber auch immer mehr Rechtsextreme, „Reichsbürger/innen“, „Querdenker/innen“ und Verschwörungsgläubige.

Am Ende war die am Valentinstag von der Polizei geduldete Versammlung, auf der nur kurz Reden gehalten und nur wenige Schilder gezeigt wurden, sehr viel heterogener als bisherige lokale Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Einige Eltern mit Kindern waren gekommen, Kiosk-Betreiber und Gastronomen aus der osteuropäisch-, türkisch- bzw. arabisch-stämmigen Migranten-Community sowie Freizeit-, Kraft- und Kampfsportler. Rund ein Drittel der Demonstrierenden waren schon von anderen Protesten gegen die Maßnahmen her bekannt: Linksalternative, eine Die Linke-Ratsfrau aus Stolberg, rechte „Wutbürger/innen“ und vereinzelt Rechtsextreme sowie Holocaust-Relativierende, Esoteriker/innen, radikale Impf- und Pharmazie-Gegner/innen, vereinzelte AfD-Vertreter sowie viele „Querdenker/innen“ und Verschwörungsgläubige.

Gerade letztere erhoffen sich neue Kooperationsmöglichkeiten mit eher „normalen“ Bürger/innen außerhalb der Filterblasen. Im Vorfeld und bei der Demo kam man sich denn auch näher. Es wurden Flyer verteilt und Gespräche geführt oder auf Internet-Präsenzen aus diesem Spektrum hingewiesen. Das „Querdenken“ und dem verschwörungsideologischen Bündnis „Aachener für eine menschliche Zukunft“ äußerst nahe stehende Online-Portal „Kritische Aachener Zeitung“ umschrieb die Szene so: Mangels Redebeiträgen „verwendeten die TeilnehmerInnen die Zeit und das Zusammensein für Schwätzchen untereinander. Man traf und begrüßte sich, meist ohne Mundschutz und meist auch ohne Einhalten des geforderten ‚Sicherheits’Abstandes.“

Eine neue Protest-Melange?

Tatsächlich verhielten sich Teile der Menschen, die bisher gar nicht bei den lokalen Protesten gegen die Schutzmaßnahmen aufgefallen waren, mehrheitlich eher regelkonform. Sie achteten nicht selten doch auf den Abstand, viele trugen medizinische Masken, wenn zum Teil wohl auch nur sinnbildlich mit einem X durchgestrichen als Zeichen des Protestes. Familien mit spielenden und herumtollenden Kindern standen auf demselben Platz wie besagte Gewerbetreibende, darunter Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Schüler und Hobbyfußballer hielt kurz für ein Erinnerungsfoto ein Plakat hoch mit der Aufschrift: „22 Millionäre dürfen Fußball spielen. 22 Kinder nicht? Öffnet die Sportvereine!“ Ängste wurden so artikuliert und einzelne Maßnahmen nebst deren Widersprüchlichkeiten hinterfragt.

Zum anderen nahmen Aktivist/innen von „Querdenken“ und Verschwörungsgläubige teil, die auf ihren eigenen Versammlungen dubiose Inhalte verbreiten und sich zunehmend stark radikalisieren. Sie hielten zuweilen die Abstände nicht ein und trugen kaum Masken. Und da gab es einen Mann mit dem Megaphon, der sich der Polizei letztlich als Versammlungsleiter zur Verfügung stellte.

Mangels Anmeldung der Demo war der Polizei doch daran gelegen den Menschen eine Brücke zu bauen, um auf dem Vorplatz des Tivoli protestieren zu können, auch wenn es Befürchtungen gab, dass es wegen des benachbarten Test- und Impfzentrums auch dort zu Aktionen kommen könne. Dennoch sprachen Polizisten jenen Mann und dessen Begleiter/innen zu einer Zeit an, als noch kaum andere Demonstrierende vor Ort waren.

Mit seinem Megaphon nahm er offensichtlich eine herausragende Rolle ein und wirkte auf die Beamten daher als Quasi-Wortführer. Man könne die Demo nur dulden, erklärten die Polizisten ihm, falls etwa er als Versammlungsleitung fungiere. Die Gesprächsbereitschaft vonseiten des Mannes und den rund zehn Begleiter/innen war allerdings zuerst äußerst provokativ bis offen feindselig. Er selbst beharrte anfangs darauf, dass er nur mit den Beamten spreche wenn sie den Abstand wahrten.

Die Polizei gehöre überdies zum Problem, unterdrücke die Menschen, hieß es spöttisch aus der Gruppe. Als ein Polizist erwähnte, er müsse kurz mit der Einsatzleitung Rücksprache halten, pöbelte jemand dazwischen, er müsse wohl „Mama Merkel“ anrufen und seine Befehle erhalten. Hämisches Gelächter folgte. Und als zwei Stunden später, nach Ende der Versammlung, Teile aus eben jener Gruppe an einem Polizeieinsatz [1] vorbeikamen, war der Tonfall wieder aggressiv. Die Lockdown-Gegner pöbelten erneut, denn Polizisten hätten ihnen keine Vorschriften zu machen. Schimpfend und lästernd zog das Quartett weiter und grölte die Losung „A.C.A.B.“ („All Cops are Bastards“; Alle Bullen sind Schweine). Ein solches Verhalten harmonierte weder mit den um ihre Zukunft besorgten Familien, Geschäftsleuten oder Freizeitkickern, noch mit „Querdenken“.

Ein anonym breit gestreuter Aufruf

Seit ungefähr dem 6. Februar kursierte eine entsprechende Grafik mit dem Aufruf zur Versammlung via Messenger und in den Sozialen Medien. Kurz vor der Demonstration fielen im Stadtbild und einigen Außenbezirken auch vierfarbig gedruckte Plakate auf, die entweder illegal plakatiert oder in Geschäften ausgehängt worden waren. Zudem wurde ein entsprechender Chat in dem Messenger-Dienst Telegram eingerichtet. Dort tritt eine Person als – vermeintlich? – Verantwortlicher auf, der u.a. mitteilte: „Ich wurde gefragt ob die Demo angemeldet ist[.] Das ist sie nicht. Wir wurden auch nicht gefragt, ob man unsere Grundrechte einschränken darf[.]“ Gehofft wurde darauf, dass in Aachen am Valentinstag auch ein spontaner Umzug wie in Wien stattfinde.

In der österreichischen Hauptstadt waren solche Proteste zuvor mehrfach verboten worden und fanden mit mehreren Tausend Teilnehmer/innen dennoch statt, wobei die Polizei immer wieder bedrängt, abgedrängt und Polizeiketten überwunden wurden. Dazu merkte bei Telegram die Person an, die vorgibt, sie stecke hinter den Anrufen für den Protest am Tivoli: „Das ist die Macht des Volkes! […] Im [verlinkten] Artikel [zu Wien] wird natürlich von ‚Rechtsradikalen‘ usw[.] phantasiert. Lasst Euch davon nicht beeindrucken! Das sind nur Versuche das Volk zu spalten.“ Tatsächlich waren die Proteste in Wien jedoch durchaus mit geprägt von Rechtsextremen, Neonazis und Menschen, die den Holocaust relativierten.

Online wurde der Aufruf für die Aachener Versammlung zuerst in der Freizeit-, Kraft- und Kampfsportszene sowie unter Menschen aus der Techno- und DJ-Szene verbreitet. Arbeiter/innen und Kleinunternehmen verbreiteten den Aufruf zudem. Hinzu kamen rasch auch Maßnahmen- und Maskengegner/innen mit einem Hang zu Verschwörungsmythen. In ersten Debatten auf sozialen Plattformen sprachen sich Menschen, die teilnehmen wollten, allerdings auch dagegen aus, dass man mit „Querdenken“ gemeinsam demonstriere. Es dauerte aber nicht lange bis der Aufruf auch unter „Gelbwesten“ und vereinzelt unter rechtsextremen Hooligans kursierte. Zudem verbreiteten ihn AfD-Anhänger/innen und letztlich auch die bekannten Verschwörungsgläubigen, „Querdenker/innen“, „Reichsbürger/innen“ und Rechtsextremen.

Der offenbar aus einem zuerst eher bürgerlichen Spektrum initiierte Aufruf elektrisierte besonders radikale Maßnahmen- und Demokratiefeinde, die darauf hofften, eine breitere Protestbewegung aufbauen zu können außerhalb der eigenen Filter- und Demonstrationsblasen. Aber als sich nach rund zwei Stunden am Sonntag die Versammlung wieder zerstreute, schloss sich doch niemand an, als das „Querdenken“-Projekt „Aachener Corona Chor“ (ACC) noch mit rund zwanzig Personen aus Protest gegen die Schutzmaßnahmen durch die Innenstadt zog.

Ob in Aachen nun eine neue, breitere Protestbewegung gegen den Lockdown entsteht bleibt abzuwarten. Der Mann mit dem Megaphon rief am Tivoli dazu auf, man müsse wieder demonstrieren. Via Telegram heißt es nun: „Dies war […] unsere erste Veranstaltung, wir sind aber Feuer und Flamme, den Kampf für unsere Grundrechte weiter fortzuführen. Weitere Veranstaltungen werden folgen.“ Unklar bleibt vorerst dennoch, inwiefern die unterschiedlichen Protagonisten in Kontakt stehen und wer wen zu beeinflussen oder zu instrumentalisieren versucht. (mik)

  • [1] Offenbar zufällig trafen auf dem Heimweg eine Gruppe von Antifaschisten, die mit rund 50 Menschen gegen die Lockdown-Gegner demonstriert hatten, und eine Gruppe der Gegenseite aufeinander. In letztgenannter Gruppe waren auch rechtsoffene Personen. Es kam zu einer kurzen Rangelei bzw. Schlägerei. Die Polizei musste hektisch dazwischen gehen und hielt Beteiligte mittels Polizeiketten auf Abstand. Die beschriebene Szene mit den Lockdown-Gegnern, die auch zuvor schon durch Häme und Pöbeleien gegen Polizisten und Antifaschisten aufgefallen waren, ereignete sich in diesem zeitlichen Zusammenhang.