Zuweilen antisemitischer Wahlkampf rechtsaußen: (Extreme) Rechte und die Europawahl 2019

Region Aachen. Ähnlich wie bei den meisten anderen („etablierten“) Parteien fiel der Wahlkampf anlässlich der Europawahl 2019 auch bei Parteien rechts der Union schwächer aus, als jener vor der letzten Landtags- und Bundestagswahl. Die Wahlergebnisse blieben bei diesen Parteien zudem oft leicht hinter jenen von 2017 zurück. Gleichwohl bestätigten die Ergebnisse rechte Hotspots in der Region und machten deutlich, dass die AfD nun mancherorts über ein festes Wählerpotential verfügt.
Anders als vor zwei Jahren wurden Plakate weitaus seltener beschmiert, teils umfangreiche Zerstörungen an oder Diebstähle von Plakaten beklagten jedoch nahezu alle Parteien. Antisemitische Schmierereien wie 2017 wurden (bisher) aus dem Europawahlkampf nicht bekannt, die neonazistische Miniaturpartei „Die Rechte“ (DR) führte gleichwohl einen antisemitisch konnotierten Wahlkampf. Überdies war das virtuelle Geraune gerade im Umfeld der DR, NPD und zum Teil auch der AfD in den sozialen Medien zuweilen von antisemitischen Anspielungen bzw. Verschwörungstheorien über die „etablierte“ Politik, die Medien und über liberale Projekte sowie NGOs begleitet. Fand also das Beschmieren von Plakaten mit antisemitischen oder verschwörungsgläubigen Parolen diesmal offenbar nicht statt, gehörten auch regional betrachtet im Internet derlei Ansichten weiterhin zum Standardrepertoire am rechten politischen Rand.
Rechte Hotspots unterdessen ohne Wechselwähler
In allen Kreisen der Region lagen die AfD-Ergebnisse unterhalb des Bundesdurchschnitts (11 Prozent), lediglich in einzelnen Kommunen lag die Partei gleichauf oder sogar leicht darüber. NRW-weit holte die AfD 8,5 Prozent, ein Ergebnis, das die AfD regional im Kreis Düren leicht übertraf und im Kreis Heinsberg und der Städteregion ähnlich verzeichnen konnte. In Stadt-Aachen, wo Rechtsaußen-Parteien immer schon weniger Stimmen erhielten als andernorts, blieb die Partei mit 4,97 Prozent weit hinter dem Bundes- und Landesdurchschnitt. Auffallend war in der Region, dass die AfD-Ergebnisse meist leicht hinter jenen bei der Bundestagswahl zurück blieben. Ob dies mit einer schwächeren Mobilisierung zur Europawahl zu tun hat oder es daran liegt, dass der Verfassungsschutz sich unterdessen für die Partei bzw. einige Gliederungen interessiert, ist unklar. Letztgenanntes dürfte gleichwohl einen Teil bürgerlicher Wählerinnen und Wähler verschreckt haben.
Wie oft schon bei vorangegangenen Wahlen konnte die AfD in manchen Kommunen erneut bessere Ergebnisse erzielen als andernorts. Zu den Hotspots zählen weiterhin Hückelhoven (11,04 %), Nörvenich (11.94 %), Aldenhoven (11,52 %) und Alsdorf (12,12 %). Andere Parteien rechts der Union konnten regional kaum nennenswerten Erfolge erzielen, allerdings gab es einige Ausreißer nach oben. Bundesweit verzeichnete die rechtsextreme NPD 0,3 Prozent, in NRW lag der Durchschnitt bei 0,1 Prozent. Auch hier gab es abgesehen von zwei Sonderfällen (s.u.) vereinzelt Kommunen, die mit 0,20 bis 0,31 Prozent Stimmenanteil über dem Landesschnitt lagen (Alsdorf, Eschweiler, Stolberg, Nörvenich, Aldenhoven, Inden, Titz, Linnich, Übach-Paleberg, Geilenkirchen, Heinsberg, Wassenberg und Erkelenz). Auffällig ist, dass die NPD weiterhin im Kreis Düren (0,2 %) und im Kreis Heinsberg (0,27 %) besser abschneiden konnte als im NRW-Durchschnitt.
Zwei besondere Ausreißer im rechten Spektrum und ganz besonders angesichts von NPD und „Die Rechte“ (DR) gibt es in der Region. Im Kreis Düren ist dies die Gemeinde Niederzier mit 0,43 Prozent für die NPD. Bemerkenswert ist das Ergebnis auch deswegen, weil es Wochen zuvor hier zu massivem Vandalismus und zu Sprühaktionen durch Neonazis gekommen war. Neben der NPD schnitten bei der Europawahl in Niederzier auch die DR (0,12 %) sowie die AfD (10,92 %) relativ gut ab. Im Kreis Heinsberg erzielte die NPD erneut in Hückelhoven ein für ihre Verhältnisse überdurchschnittlich gutes Wahlergebnis mit 0,71 Prozent der Stimmen. Die DR kommt auf 0,19 Prozent, die AfD auf 11,04 Prozent. Lediglich in Alsdorf stimmten noch mehr Menschen für Parteien, die politisch rechts der Union einzuordnen sind.
Auffallend ist an den Ergebnissen der neonazistischen „Die Rechte“ (s.u.), dass man angesichts der Wahlergebnisse mutmaßlich regionale Hotspots der NS-Miniaturpartei feststellen kann. Zugleich handelt es sich dabei um Orte, in denen es in der jüngsten Vergangenheit zu massiven Aktivitäten von Neonazis und S52-Aktivisten kam oder in denen verstärkt DR- und S52-Kader leben: In Hückelhoven wählten 28 Menschen die DR (0,19%), in Vettweiß 6 (0,13%) und in Niederzier 8 (0,12%). In Hückelhoven war es in den letzten Jahren zu massiven Aufkleber- und Sprühaktionen gekommen, in Niederzier geschah dies Anfang des Jahres (s.o.) und in Vettweiß lebt u.a. der ehemalige „Kameradschaftsführer“ der „Kameradschaft Aachen Land“ (s.u.).
Kampf um die Straßen und Plätze
Der Wahlkampf im öffentlichen Raum war insgesamt verhaltener als bei früheren Wahlen. Während die AfD plakatierte und auf einzelne Infostände setzte, blieben andere Parteien rechts der Union entweder unsichtbar oder waren nur punktuell wahrnehmbar. Anders als zuvor trat ein dubioser Unterstützerverein für die AfD nicht mit eigenen Plakaten in Erscheinung. Grund dafür dürften bekannt gewordene Probleme und Unregelmäßigkeiten aus der Vergangenheit sein sowie Hinweise darauf, dass auf diesem Weg nebulöse Zuwendungen an die Partei zustande kamen. Im Vorfeld der Europawahl gab es zahlreiche Medienberichte über möglicherweise illegale Parteispenden an die AfD.
Während die AfD etwa in den Kreisen Düren und Heinsberg schon früh damit begonnen hatte, Plakate aufzuhängen, zogen die Verbände in der Städteregion und in der Stadt Aachen erst rund anderthalb Wochen vor der Wahl nach. Gut eine Woche vor dem Wahlsonntag war die Partei dann dank einer Materialschlacht auch im Aachener Straßenbild besonders an den Außenringen, an viel befahrenen Kreuzungen und Zubringerstraßen nicht mehr zu übersehen. Es gibt Schilderungen von Augenzeugen, dass Plakatierer der AfD Plakate anderer Parteien entfernt haben sollen, diese vermeintlich aus Ungeschicklichkeit beschädigten oder bewusst ineinander- bzw. zu Boden geschoben haben sollen. Der AfD-Vizechef aus Aachen, Roger Lebien, widersprach solchen Schilderungen via Facebook-Kommentar. Gleichwohl war zu beobachten, dass die AfD an nicht wenigen Laternen- oder Ampelmasten zugleich mehrere Plakate aufgehängt hatte, während Plakate anderer Parteien dort zuweilen fehlten oder zu Boden gedrückt waren.
Über die AfD-Infostände in der Region verbreiteten einzelne Parteigliederungen, diese seien auf reges Interesse gestoßen. Diese Aussagen dürften indes teilweise übertrieben sein, u.a. wurden Infostände in Aachen am Kugelbrunnen von Passanten weitaus schwächer frequentiert als solche vor anderen Wahlen. Lediglich eine Saalveranstaltung hielt die AfD in der Region offiziell im Rahmen ihres Wahlkampfes ab. Diese fand am 9. Mai in Düren abermals auf Schloss Burgau mit den Kandidaten Guido Reil (Essen) und Martin Schiller (Münster) statt. Laut Partei besuchten den Abend rund 65 Gäste. Da Reil als eine Art Säulenheiliger von seiner Partei propagiert wurde, war der geringe Zuspruch eine mittlere Pleite. Das Motto des Abends lautete leicht windschief getextet: „Für ein Europa der Vielfalt der Nationen.“
Die NPD fiel in der Region mit Plakaten meist nur in Hückelhoven auf, selbst in Stolberg, einst rechte Hochburg in der Region und Sitz des unterdessen nahezu inaktiven NPD-Kreisverbandes Aachen, war die NPD nicht wahrnehmbar. Der NRW-Landesverband der Partei will am 15. Mai in Hückelhoven jedoch im Rahmen einer Wahlkampftour eine kleine Kundgebung abgehalten haben. Zudem will die NPD an jenem Tag eine Lautsprecherfahrt im „Aachener Land“ durchgeführt haben. Beide Wahlkampfaktionen blieben ohne nennenswerte Außenwirkung. Laut Lokalpresse sollen die wenigen NPD-Plakate im Kreis Heinsberg oft von Gegnern beschmiert worden sein. Die NS-Partei „Der III. Weg“ hat regional keine Strukturen und blieb im Wahlkampf unsichtbar. Die völlig marginalisierten rechtsradikalen „Republikaner“ (REP) verfügen zwar noch über geringe Reststrukturen in der Region, traten aber nicht zur Wahl an.
Militanz und Antisemitismus als Wahlkampfevent
Die neonazistische Miniaturpartei „Die Rechte“ (DR) setzte in ihrem Wahlkampf auf maximale Provokationen und ein gewisses Maß an Eskalation. In Aachen sind schwache DR-Strukturen geprägt von oft noch minderjährigen Aktivisten der Neonazi-Gruppe „Syndikat 52“ (S52), einer indirekten Nachfolgeorganisation der verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). DR bzw. S52 publizierten Mitte März Texte und Fotos in den sozialen Medien, wonach man im Rahmen des Europawahlkampfs unmittelbar an der Synagoge und am Synagogenplatz in Aachen Flyer für die verurteilte und inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck verteilt sowie israelfeindliche Aufkleber verklebt habe. Der DR-Kreisverband in Aachen, Heinsberg und Düren teilte kurz darauf mit, man werde den Wahlkampf so gestalten, dass „unseren Gegnern [besonders in Aachen] Hören und Sehen vergeht“. Jener „Wahlkampf [sei vor Tagen] in Aachen rund um die Synagoge gestartet“.
Der DR-Wahlkampf war bundesweit und regional wegen der an die NS-Parole „Die Juden sind unser Unglück!“ erinnernden Losung „Israel ist unser Unglück!“ sowie Plakaten mit der Aufschrift „Wir hängen nicht nur Plakate!“ durch unterschiedliche Medienberichte und Strafanzeigen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung geprägt. Solche Plakate der DR wurden u.a. in Düren, Vettweiß sowie in Hückelhoven aufgehängt, wobei sie in Hückelhoven zeitweise provokativ im Umfeld des Schalom-Parks zu sehen waren. Ihre Ankündigungen für Aachen (s.o.) erfüllten die meist minderjährigen Neonazis kaum, jedoch wurden eine Woche vor der Europawahl Ermittlungen gegen zwei der „Kameraden“ aufgenommen. Grund war eine Bedrohung mit einem Messer von zwei Heranwachsenden, die man offenbar als Linke und daher „Feinde“ eingestuft hatte.
Im Wahlkampf hatten die überwiegend minderjährigen S52-Aktivisten – zum Teil sind sie ebenso DR- Mitglieder – in Aachen für die DR plakatiert. Allerdings war ihnen dies nur eingeschränkt möglich, konnten sie zu Fuß meist nur im Umfeld der beispielsweise elterlichen Wohnungen im Stadtteil Burtscheid mit Leitern und Plakaten losziehen und somit lediglich in einem begrenzten Radius plakatieren. Weil aufgebrachte Anwohner am Krugenofen keine der antisemitischen und israelfeindlichen Plakate vor der Haustür hängen haben wollten, musste an Karfreitag sogar die Polizei eingreifen, damit die fünf Minderjährigen und Heranwachsenden doch noch ihre Plakate aufhängen konnten.
Für Polizei und Rechtsstaat stellte das Agieren der jugendlichen Neonazis in diesem Fall ein Dilemma dar, denn die DR-Plakate bewegten sich strafrechtlich im grenzwertigen, aber noch legalen Bereich und durften also öffentlich aufgehängt werden. Gleichwohl waren sie offen angelehnt an eine der wohl prägendsten judenfeindlichen NS-Losungen. Hätten Polizisten die Neonazis jedoch nicht vor aufgebrachten Anwohnern geschützt, die sie am Plakatieren hindern wollten, hätten die Beamten selbst unrechtmäßig gehandelt. Gleichwohl kam so an Karfreitag in Aachen die peinliche Situation auf, dass rund 75 Jahre nach Ende des Holocaust eine antisemitisch konnotierte und strafrechtlich gesehen grenzwertige Parole von Minderjährigen unter den Augen von Polizisten plakatiert werden konnte.
In anderen Fällen hängten die jungen Neonazis gezielt solche Plakate auf im Umfeld der Wohnungen von „Feinden“ oder an Straßen und Wegen, die diese gelegentlich nutzen mussten. Nach vorangegangenem Psychoterror gegen die „Feinde“ und Beschädigungen an deren Eigentum hatten im Januar deswegen Gefährderansprachen durch die Polizei stattgefunden. Im Zuge des Ende April startenden Wahlkampfes nutzen die Neonazis dann ihre Plakate und Flyer, um die „Feinde“ und deren Nachbarn in teils abgelegenen und kaum frequentierten Nebenstraßen unter dem Deckmantel legaler Parteiarbeit weiter drangsalieren zu können. Betroffen von den Plakat- und Flyeraktionen war auch ein Lokalpolitiker, der zudem dem Beirat der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aachen e.V.“ angehört.
Im Zuge einer NRW-Wahlkampf-Tour mit Parteikadern aus Dortmund, hielt die DR am 20. Mai eine Kundgebung in Düren ab. Polizeikreisen zufolge hatte jene Kundgebung der ehemalige „Kameradschaftsführer“ der 2012 verbotenen KAL angemeldet. Neben dem Ex-KAL-Chef gesellte sich an jenem Montag kurz vor der Wahl aus der Region auch eine Handvoll, teils noch minderjähriger Mitglieder von S52 hinzu. Die Polizei war wegen spontaner Gegenproteste mit Teilen einer Hundertschaft vor Ort und schirmte die Neonazis ab, so dass diese kaum Öffentlichkeit erzielten. Nach Angaben der DR sollen Antifaschisten versucht haben die jungen S52-„Kameraden“ bei deren An- und Abreise anzugreifen, die Jugendlichen wollen sich dafür dann einige Tage später bei den Angreifern durch eigene Attacken gegen diese revanchiert haben.
Plakate als Ziel von Vandalismus
Der polizeiliche Staatsschutz am Polizeipräsidium Aachen registrierte im Großraum Aachen während des Europawahlkampfs Zerstörung und Diebstahl von Wahlplakaten in einem ähnlichen Rahmen wie bei früheren Wahlkämpfen. Betroffen waren davon laut Polizei im Raum Aachen, Düren und Heinsberg alle Parteien. In mindestens einem Fall sollen minderjährige Neonazis von DR bzw. S52 jemanden beschuldigt und angezeigt haben, weil er sich demnach an Plakaten zu schaffen gemacht haben soll. In anderen Fällen drohten sie Anwohnern, die sich über die extremen Aussagen auf den Plakaten beschwerten, ebenso mit Strafanzeigen, sollten die Plakate entfernt oder zerstört werden. Ungeachtet dessen hingen einige Plakate der DR in Aachen nur wenige Stunden, andere demgegenüber einige Tage bis Unbekannte sie zerstörten oder die extremen Parolen mittels Klebeband und Aufklebern verfremdeten.
In Aachen beklebten zudem parallel zum Europawahlkampf „Gelbwesten“ aus dem rechten bzw. rechtsoffenen und verschwörungsgläubigen Spektrum in Einzelfällen Plakate u.a. der CDU und der DKP mit gelbem Klebeband und handschriftlichen Losungen. Einen Mann, den die Polizei zum Spektrum der „Reichsbürger“ zählt und der ebenso in der heterogenen „Gelbwesten“-Szene aktiv ist, ertappte die Polizei Ende April beim Beschmieren von Wahlplakaten. Er hat zuvor als auch noch nach dem Polizeieinsatz Wahlplakate von CDU, FDP, SPD und Grüne in Aachen großflächig und teils im Stile professioneller Grafittis u.a. mit der Losung „Go to Berlin“ bemalt. Das sollte wohl als Aufruf verstanden werden, sich Protesten in Berlin anzuschließen, die von „Gelbwesten“ und „Reichsbürgern“ geprägt sind. (mik)