Prozess gegen Rechtsextremisten wegen Drogenhandels zieht sich

Aachen. Im Februar begann vor dem Landgericht Aachen der Prozess gegen fünf Rechtsextremisten, denen bandenmäßiger Drogenhandel vorgeworfen wird. Es fanden erst 16 Verhandlungstage statt, was u.a. daran liegt, dass die 9. Große Strafkammer bei der Planung von Prozesstagen die Terminkalender von zehn Verteidigern und einer Sachverständigen berücksichtigen muss. Das Ende Mai von einem der Hauptverdächtigen abgelegte Geständnis hätte die Wende bringen können, doch dem Staatsanwalt war es zu dürftig.

Seit seiner Festnahme Mitte 2017 hatte der nunmehr Hauptangeklagte rund 12 Monate zu den Vorwürfen geschwiegen. Der Sohn einer Neonazi-Familie, der lange selbst in der rechtsextremen Szene aktiv war und sich zuletzt in der „Identitären Bewegung“ (IB) engagierte, machte am 30. Mai zwar schlüssig klingende Angaben und entlastete indirekt die Mitangeklagten. Seine sich selbst belastende Aussage war jedoch erwartet worden, denn die Beweislast spricht gegen ihn. So waren die bei einer Razzia am 31. Mai 2017 in Aachen-Brand beschlagnahmten Drogen in seiner Wohnung gefunden worden. Laut Ermittlern fand man fast sechs Kilo Amphetamine, rund 600 Ecstasy-Tabletten sowie eine größere Menge Marihuana.

Sein langes Schweigen begründete der 30-Jährige dessen ungeachtet damit, dass sich im Gerichtssaal ein Journalist „rumtreibe“. Angaben, die er zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu seiner Familie machen würde, so deutete der Angeklagte mehrfach an, könnte der Journalist nach außen weitergeben. Dies könne dann diese Menschen gefährden, hieß es. Überdies brachte der Hauptangeklagte eine solche Weitergabe von Daten mit Angriffen und „Outing“-Aktionen durch Antifaschisten aus der Vergangenheit in Verbindung. Linke hätten etwa 2003 angedroht, das Haus seiner Familie im Kreis Heinsberg anzuzünden. Dies sei an Karneval geschehen. Die Feuerwehrleute seien angetrunken gewesen, hätten nicht schnell genug gelöscht. Das Haus sei nicht mehr zu retten gewesen, für die Familie sei es ein „totales Fiasko“ gewesen, schilderte der Rechtsextremist.

Solche Aussagen erweckten den Anschein, als hätten sich alle gegen die Familie, deren Mitglieder allerdings teilweise seit Jahrzehnten führend in der auch militanten Neonazi-Szene aktiv sind und selbst wegen politischer Delikte oder Gewalttaten auffielen, verschworen: Linksextremisten und ein Journalist Hand in Hand mit (alkoholisierten) Wehrmännern. Dazu möglicherweise noch die Polizei, die den Hausbrand vielleicht niemals wirklich aufgeklärt hat? Warum die rechtsextreme Szene dieses Feuer – laut Angeklagtem ein linksextremistischer Anschlag auf seine Familie – seinerzeit nicht propagandistisch ausschlachtete, bleibt vorerst unklar.

Der heute 30-jährige Rechtsextremist ist den Ermittlern zuvor nicht nur wegen politischer Straftaten, sondern auch durch die illegale Einfuhr von Betäubungsmitteln (BTM) aufgefallen. Im Prozess in Aachen präsentiert der ehemalige Vertreter der IB sich indes nur als Mittelsmann bei dem angeklagten Drogenhandel. Bei seinen Besuchen in Coffeeshops in den Niederlanden will er in Kerkrade „den Holländer“ kennen gelernt haben. Da er sich mit dem Internet gut auskenne, habe man gemeinsam Drogen über das Darknet vertreiben wollen. Der Rechtsextremist will mit einem damals schon auf mehreren Verkaufsebenen im Darknet bestehenden „German Shop“ Ende 2015 handelseinig geworden sein. Dessen Bestellungen habe er fortan als Liste erhalten und die Ware des „Holländers“ anonym per Post verschickt.

Mit der Internet-Währung Bitcoin, in der die Kunden bezahlten, will der Angeklagte von Aachen aus für das Trio auf höhere Gewinne spekuliert haben. Lediglich Anteile vom Umsatz habe er selbst erhalten, sagte er. Der Grund für das illegale Risikogeschäft seien private Schulden gewesen, zudem habe er mit seiner damaligen Lebensgefährtin eine Familie gründen wollen. Das schlug fehl. Die Staatsanwaltschaft bewertete die Aussage als zu unpräzise. So habe der Angeklagte weder Kompagnons benannt, noch welche Drogen er in welchem Umfang verschickt oder verkauft habe. Eine weitere Aussage dazu soll folgen.

Rechtsextremisten als Drogenhändler und -konsumenten

Dem vor dem Landgericht angeklagten Quintett wird bandenmäßiger Drogenhandel im Wert von rund 300.000 Euro vorgeworfen. Vertrieben wurden vor allem Amphetamine, Marihuana und Ecstasy. Doch nach dem Geständnis Ende Mai stellt sich nun die Frage: Sitzen auf der Anklagebank überhaupt Mitglieder jener Bande, oder bildeten nur der Hauptangeklagte mit noch unbekannten Personen diese Bande? Bisher sind zwei der Angeklagten mangels dringenden Tatverdachts aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Es zeichnet sich ab, dass die Beweislast gegen zwei weitere Angeklagte so gering ist, dass auch deren U-Haft bald enden könnte.

Klar ist dessen ungeachtet in dem Prozess geworden, dass nicht nur der Hauptangeklagte selbst Drogen konsumiert und mutmaßlich damit gehandelt hat. Von den vier mitangeklagten Rechtsextremisten, die sich bis zu ihrer Festnahme Mitte 2017 unter anderem in der örtlichen Verband der Neonazi-Partei „Die Rechte“ (DR) und der Nachfolgeorganisation der verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL), „Syndikat 52“ (S52), engagierten, sind weitere durch den Konsum und den Handel von Drogen aufgefallen. In einem gesonderten Verfahren wird zudem gegen mindestens einen weiteren „Kameraden“ wegen eines BTM-Verstoßes ermittelt.

Gegen den Bruder des Hauptangeklagten, der bis zu seiner Festnahme DR-Mitglied war, sich bei S52 engagierte und Gastsänger sowie Produzent des Neonazi-HipHoppers „Makss Damage“ war, wurde schon zuvor im Rahmen eines anderen BTM-Verfahrens ermittelt und prozessiert. Bezeichnend dürfte es bei all diesen Erkenntnissen gewesen sein, dass ausgerechnet am Tag des Prozessbeginns, dem 6. Februar 2018, der führende Neonazi-Kader im Rheinland, Sven Skoda, einen Text in seinem Blog zum Thema Drogenmissbrauch in der Szene veröffentlichte. Auf den Prozess in Aachen und seine früheren Mitstreiter ging er dabei zwar nicht ein, zwischen den Zeilen wurde aber deutlich, dass Skoda auch darauf anspielte, gilt er doch als politischer Ziehsohn des Vaters der angeklagten Brüder.

In seinem Blogpost schrieb der über das Rheinland hinaus aktive Neonazi im Februar, die Szene habe zu lange weg geschaut, sei zu tolerant gewesen gegenüber „Kameraden“, die sich durch illegale Substanzen berauschten, derlei schönredeten oder sich am Handel sogar bereichern würden. Skoda fabulierte sogar von einer nötigen „Selektion in unseren Reihen“. Die „Idee eines lebendigen, wehrhaften und gesunden Volkes“ sei unvereinbar mit der „Vergiftung des eigenen Körpers. Was für den eigenen Körper gilt, gilt genauso für den Volkskörper als Ganzes. Wer den Volkskörper nicht vor Vergiftung schützt oder sogar aktiv zu seiner Vergiftung beiträgt, versündigt sich an unserer Idee und schließt sich so selbst automatisch aus unserer Gemeinschaft aus!“ Es las sich wie der öffentliche Verstoß einiger der in Aachen Angeklagten aus dem „Nationalen Widerstand“.

Das „Panzerspeed“ aus dem „German Shop“

In dem Prozess vor der 9. Großen Strafkammer wird dem Quintett gemeinschaftliches bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zwischen September 2015 und Mai 2017 vorgeworfen. Weil bei einer Großrazzia Mitte 2017 zudem ein Schlagstock nahe eines Drogendepots gefunden wurde, gibt es auch den Anklagepunkt des bewaffneten Drogenhandels. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Quintett in der Anklageschrift vor, „arbeitsteilig“ gehandelt zu haben. Einige sollen synthetische Drogen hergestellt, andere das Online-Angebot der „German Shop“ genannten Handelsplattform im Darknet verwaltet haben. Nach Eingang des Geldes in der Internetwährung Bitcoin soll der anonyme Versand per Post erfolgt sein.

Mitte 2017 waren die Angeklagten bei einer Razzia inklusive SEK-Einsatz hochgenommen worden. Seinerzeit schlug das Großaufgebot in einem Haus und einer Wohnung in Aachen-Brand zu. Das Quintett wurde in Untersuchungshaft genommen. Im „German Shop“ wurde laut Ermittler über Jahre durch die Betreiber auch mit rechten Inhalten kokettiert. Ein Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden sagte im Prozess in Aachen etwa aus, die Angebote seien mit Panzerbildern geschmückt gewesen, es habe ein militärischer Duktus vorgeherrscht, beworben worden seien Drogen auch als „Panzerspeed“. „Wir brachten das mit der rechten Ideologie der [Hauptangeklagten] Brüder in Verbindung“, sagte der BKA-Beamte als Zeuge. Der Vorläufer von Amphetamin im Zweiten Weltkrieg hieß nämlich „Panzerschokolade“.

Die Ermittlungen gegen den „German Shop“ fußen auf das Ausheben und Stilllegen verschiedener Plattformen im Darknet. FBI und Europol werteten die so gewonnenen Daten vor Jahren aus und leiteten diese an das BKA weiter. Umfangreiche Ermittlungen nahmen ihren Lauf, waren allerdings durch die Strukturen des Internets und vor allem des anonymen Darknets problematisch. Als sich der Verdacht ins Rheinland richtete, begannen kleinteilige Ermittlungen, Zeugenbefragungen und Observationen im Umfeld der verdächtigen Brüder und deren „Kameraden“ in Aachen-Brand. Allerdings lief dabei nicht alles rund. Denn außer gegen den geständigen Rechtsextremisten liegen gegen die anderen Angeklagten bislang nur wenige Beweise und Indizien vor (s.o.). Polizisten haben etwa auffallend wenige Briefeinwürfe observiert, ansonsten aber Busfahrten, Spaziergänge, den Besuch im Fitness-Studio und die Rückgabe von Pfandflaschen.

Anfang Juni stellte sich zudem heraus, dass es in abgefangenen Drogenbriefen DNA-Treffer von zwei der Angeklagten sowie von zwei Unbekannten gab. Seit Beginn der U-Haft lagen von vier Angeklagten DNA-Profile vor zwecks Abgleich. Nicht aber von dem 30-jährigen Hauptverdächtigen, obschon dieser eine Probe habe abgeben wollen. DNA-Abgleiche finden nun durch das BKA erneut statt. Die Anwälte der vier Mitangeklagten haben derweil die ihrer Meinung nach schlechte Arbeit der Ermittler wiederholt kritisiert. Mutmaßungen gegen ihre Mandanten seien in den Akten zu Fakten geworden. Tatsächlich drängt sich zuweilen im Prozess der Verdacht auf, dass die Polizisten sich zwar um eine korrekte Ausführung ihrer Arbeit bemüht haben, indes einige davon mit dem komplexen Vorwurf des Drogenhandels via Darknet zuweilen überfordert waren.

Verzögerungstaktig der „Szenenanwälte“?

Das Verfahren verläuft seit Anfang Februar nicht nur wegen der Probleme, Termine abzustimmen sehr schleppend. Unterdessen sind bis Mitte Oktober insgesamt 29 Prozesstage terminiert. Einige der Anwälte werden ab Herbst in einem großen Neonazi-Prozess in Koblenz gegen das als kriminelle Vereinigung eingestufte „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABM) andere Mandanten vertreten. Sollte das BTM- Verfahren in Aachen bis dahin nicht beendet sein, dürfte es zu weiteren erheblichen Terminproblemen kommen.

In dem Prozess gegen die fünf Rechtsextremisten haben von den zehn Verteidigern vier Bezüge zur rechtsextremen Szene und treten dementsprechend selbstbewusst auf. Beteiligte Ermittler, Staatsanwälte, Belastungszeugen sowie die drei Richterinnen der 9. Großen Strafkammer sehen sich zuweilen heftiger Anwürfe ausgesetzt. Zielgerichtet-akribisch bis ermüdend-penibel und abschweifend befragen die zehn Strafverteidiger nahezu alle Zeugen, manches erinnert dabei an eine Zermürbungstaktik. Befangenheits- und sonstige Anträge der Anwälte wurden ablehnt, neue gestellt. Ein ähnliches Vorgehen brachte die erste Auflage des Prozesses gegen das ABM in Koblenz zu Fall und den Münchener NSU-Prozess mehrfach aus dem Takt.

In umfangreichen und langen Prozessen stehen Angeklagten neben dem Pflichtverteidiger Ersatzanwälte zu. Das soll verhindern, dass ein Prozess platzt, sollten einzelne Verteidiger verhindert sein. Zum Auftakt im Februar hatten nur zwei Mitangeklagte je zwei Anwälte, allesamt Juristen ohne Bezüge zur rechten Szene. Als Verteidiger mit solchen Bezügen vertraten ein Jurist aus Köln den Hauptverdächtigen sowie ein solcher aus Düsseldorf einen Mitangeklagten. Der Bruder des Hauptangeklagten wurde von Beginn an durch einen renommierten, anderen Strafverteidiger aus Düsseldorf vertreten. Dieser hat keine Bezüge zur rechten Szene, allerdings schon Skoda (s.o.) in dem ABM-Mammutprozess in Koblenz verteidigt.

Hinzu kamen nun am Landgericht Aachen Ersatzanwälte aus Witten und Regensburg, die in den letzten Jahren auch zahlreiche Rechtsextremisten verteidigten. Zudem wurde eine Anwältin aus Koblenz als Ersatzverteidigerin zugeordnet. Sie ist keine „Szeneanwältin“, vertrat aber ebenso in Koblenz schon einen Rechtsextremen. Jener ABM-Prozess mit über 20 Angeklagten war im Mai 2017 nach rund 330 Prozesstagen vorerst geplatzt und beginnt bald wieder von neuem. Eine Reihe von Anwälten aus dem rechten Spektrum hatte im Koblenzer Gerichtssaal über Jahre Kammer und Anklage durch zahlreiche Anträge und ausufernde Zeugenbefragungen vorgeführt.

Auch das Auftreten der vier „Rechts-Anwälte“, wie man sie in Antifakreise nennt, erinnert am Landgericht Aachen an den Koblenzer Prozess. Selbst wenn Zeugen aussagen, die ihre Mandanten nicht belasten oder gar nichts über deren Rolle aussagen können, steht den Anwälten laut Prozessordnung ein Fragerecht zu. Tatsächlich nutzen eine Reihe der Anwälte dieses Recht zuweilen sehr umfangreich, befragen etwa Ermittler über die Observationen von Mitangeklagten, obschon die eigenen Mandanten im Einzelfall davon nicht konkret betroffen sind.

Heftige Wortgefechte zwischen den Richterinnen, der Staatsanwaltschaft und den Anwälten gab es in dem Prozess in Aachen schon von Beginn an. Der Tonfall der Anwälte, die der rechten Szene nahe stehen, verschärfte die Stimmung indes. Ein Ermittlungsleiter des BKA aus Wiesbaden wurde überdies gefragt, ob er im Rahmen seiner Ermittlungen mit israelischen Stellen Kontakt hatte oder einmal in Tel Aviv gewesen sei. Da man sich im Rahmen der Ermittlungen auch mit US-Behörden austauschte, wollte ein Anwalt ebenso wissen, ob geprüft worden sei, dass etwaige belastende Akteninhalte nicht durch „Waterboarding“ (Folter) oder Entführungen zustanden gekommen seien.

Ein Polizist sagte in einem unbefangenen Moment als Zeuge aus, dass es bei der computergenerierten Herstellung von Lichtbildmappen mit Tatverdächtigen in ganz seltenen Fällen schon vorgekommen sei, dass unter den vorgegebenen Fotos ausschließlich von Männern auch das Bild einer Frau zu sehen gewesen sei. Da liege wohl ein Programmierfehler vor, witzelte der Ermittler zur Erheiterung vieler im Saal. Später indes sinnierte eine Anwältin davon, man könne doch den Programmierer vorladen und befragen. Es könne ja sein dass das kein Fehler sei, sondern die Auswirkung des „Genderwahns“, das Programm also einem „Gender-Algorithmus“ folge.

Solche spitzfindigen Anmerkungen dürften nichts zur Aufklärung der angeklagten Vorwürfe beitragen. Ein politisches Statement gegen Israel, die USA oder gegen Emanzipation und Frauenrechte im Sinne der Angeklagten sind sie dennoch. (mik)