Der Dammbruch: AfD-naher Redner und verschwörungsideologischer Autor in Aachen

Aachen. Am letzten Samstag war der AfD-nahe, rechte und verschwörungsideologische Medienaktivist Thorsten „Silberjunge“ Schulte aus Hamm Redner bei dem verschwörungsideologischen Bündnis „Aachener für eine menschliche Zukunft“ und „Querdenken 241“. Waren die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Aachen lange heterogener als in vielen anderen Städten und wurde zu Beginn von Aktivist/innen organisiert, die eher aus der linken und friedensbewegten Szene her bekannt waren, zeichnete sich ein Rechtsruck schon seit längerem ab. Schultes Gastspiel illustriert jenen nun zweifellos und konkret erkennbar.

Der „Silberjunge“ war etwa einer aus der kleinen Gruppe mit rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Störer/innen im Bundestag, die einzelne AfD-Abgeordnete sozusagen über die Gästeliste eingeschleust hatten am Tag der Abstimmung zum neuen Infektionsschutzgesetz, dem 18. November. Als angebliche Journalist/innen hatten diese Medienaktivist/innen der rechten Szene(n) Politiker/innen und deren Mitarbeiter/innen bedrängt sowie beispielsweise Wirtschaftsminister Peter Altmaier beleidigt. Schulte war quasi ein Wiederholungstäter, denn nach eigenen Angaben musste er schon im Sommer wegen des Aufnehmens eines Werbevideos im Bundestag eine Geldbuße von 200 Euro zahlen.

Laut des von ihm selbst verbreiteten Bußgeldbescheides hatte er schon einmal am 23. Dezember 2019 gegen die Hausordnung des Bundestages verstoßen, indem er dort und im Jakob-Kaiser-Haus ein Video aufnahm und darin für sein verschwörungsideologisches Buch „Fremdbestimmt“ warb. Werbeaufnahmen für kommerzielle Zwecke sind im Parlament jedoch verboten. Schulte war zudem kurz angestellt als Mitarbeiter der AfD-Fraktionsvorsitzenden, Alice Weidel, die ihn jedoch alsbald wieder entließ.

Der Autor und Redner gastiert seit Monaten immer wieder bei Versammlungen von „Querdenken“ bzw. „Corona Rebellen“. In den Jahren zuvor war er eher durch Reden und Gastauftritten bei der AfD aufgefallen, heute indes ruft er zur Querfront zwischen Linken und Rechten auf. Der frühere Unternehmensberater und Investmentbänker gibt sich dabei geläutert, präsentiert sich in seinem Sinne sogar antikapitalistisch.

Bei einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen in Dortmund hatte Schulte im Juli 2020 auch über seine Kooperationen mit Rechtsextremen gesprochen. Mit seinem Auftritt am 1. Juni vor „Pegida“ in Dresden habe er nur die „Schweigespirale der Medien“ durchbrechen wollen. Sein am 25. Juni publiziertes und gemeinsam aufgenommenes Video mit dem völkisch-nationalistischen und rechtsextremen Rapper Chris Ares sei nur zustande gekommen, weil der befreundete Sänger sich von „Gewalt distanziert“ habe [1].

Dog-whistle Politics statt Antisemitismus...

In Aachen trat am 2. Januar neben Schulte auch der verschwörungsideologische „Querdenken“-Redner Daniel Langhans aus Ulm auf. Der Kommunikationstrainer und PR-Profi mit Doktor-Titel zitierte einen KZ-Überlebenden, um sodann in diesem Kontext die Corona-Maßnahmen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu bezeichnen. Die „Menschheit soll unterjocht werden“ von „Schurken“, die das alles „von langer Hand“ geplant und „vorbereitet“ hätten. Behördenvertreter/innen, Ärzt/innen, Politiker/innen und Beamte/innen machten sich mitschuldig, so das verschwörungserzählerische Narrativ, denn alles sei nur „ein Schwindel“ und „Psychokrieg“.

Langhans wehrt sich immer wieder dagegen, als Antisemit bezeichnet zu werden. Gleichwohl spielt er mit Andeutungen und Stereotypen die antisemitisch gelesen werden können. In Aachen sagte er etwa, dass es zwar auch um das Geld gehe. Er erwähnte dabei aber „etwas viel, viel Entsetzlicheres“, denn es gebe eine „kleine Zahl von Menschen, die haben ganz, ganz dunkle Pläne.“ Über Umwege kam Langhans dann auf die „Hochfinanz“ sowie die „Eugenik“ von Bill Gates zu sprechen, der über Impfstoffe die Weltbevölkerung reduzieren wolle. Ganz am Rande erwähnte er zudem die Bankenfamilien Rockefeller und Rothschild sowie „kranke Hirne“, die die Weltbevölkerung reduzieren wollten. Im Hintergrund steckten Pläne einer „globalen Weltregierung“ mit dämonischem, satanischem Wesen. „So genannte“ Impfungen seien „Völkermord“.

Thorsten „Silberjunge“ Schulte bestritt in seiner Rede in Aachen, dass er selbst am 18. November im Bundestag Politiker/innen oder deren Mitarbeiter/innen beleidigt oder gestört habe. Allerdings sei er stolz darauf dabei gewesen zu sein und den Kontakt zu anderen radikalen Medienaktivist/innen im Vorfeld hergestellt zu haben. Den Bundestag nannte er „Teufelsladen“. Das am 18. November verabschiedete Infektions- bzw. Bevölkerungsgesetz sei vom Namen her eine „teuflische Verdrehung“, denn es sei „kein Gesetz zum Schutze unserer Bevölkerung [denn] es setzt unsere Grundrechte außer Kraft“. Dabei gehe es um die „Selbstbestimmung“ der Menschen.

Der „Silberjunge“ gab seinem Vorredner Langhans Recht mit einer Argumentation und sagte: „Man muss dem Geld folgen [und sich fragen] wer hier gerade Profit daraus schlägt.“ Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gehe es wohl nicht um die Interessen der Menschen, sondern eher darum, sich noch eine neue, weitere Immobilie zu kaufen. Mit Blick auf das Ergebnis einer Umfrage sagte Schulte, die meisten Menschen in Deutschland wollten „die Selbstbestimmung“ und wollten „in der Rangordnung nicht von Konzernen und Megareichen nach unten gedrückt werden, sie [wollen] das Ende der Fremdbestimmung“.

Querfront statt querdenken

Nahmen auch in der Vergangenheit immer schon Personen aus dem linken bis linksalternativen und rechten bis rechtsextremen oder sogar „Reichsbürger“-Spektrum an den „Grundrechte-Demos“, „Querdenken“-Versammlungen und „Hygiene-Demos“ in Aachen teil, war der Besuch Schultes ein Dammbruch. Schon in der Vergangenheit hatten an solchen Kundgebungen auch Vertreter/innen der Die Linke und der AfD teilgenommen, darunter auch Funktionäre beider Parteien. Am Samstag nahmen knapp über 100 Menschen teil. Von der AfD oder deren engem Umfeld waren rund zehn Personen anwesend, darunter zwei Vorstandsmitglieder aus Stolberg und Baesweiler des Kreisverbandes Städteregion Aachen sowie der Chef des Stadtverbandes Eschweiler. Anwesend waren Parteimitglieder oder Anhänger/innen, die eher für einen radikaleren Kurs stehen. Überdies nahm eine ehemalige Funktionärin von „Pro NRW“ teil, die unterdessen dem Seniorenrat Aachen angehört.

Demgegenüber gehörten aber auch ein ehemaliger Vorstandsbeisitzer des Kreisverbandes Städteregion Aachen von Die Linke [2] und ein ehemaliger Funktionär des Aachener Friedenspreises ebenso der Kundgebung an, wie auch eine Reihe von Personen, die sich zuvor in der linken und friedensbewegten Szene engagierten oder als linksalternative Künstler/innen und Musiker/innen firmieren. Die rund 100 Menschen kamen dabei nur zum Teil aus Aachen. Rund die Hälfte aller Teilnehmenden kam etwa aus Stolberg, Eschweiler, Baesweiler, Würselen, Herzogenrath, Heinsberg, Geilenkirchen, Düren, Jülich, Südlimburg (NL) und Dortmund.

Wohin die verschwörungsideologischen Versammlungen in Aachen führ(t)en wird an einer Frau deutlich, die sich – auch aus familiären Gründen – früher in der antirassistischen Szene engagierte. Vor rund drei Jahren lieferte sie sich noch heftige Wortgefechte mit dem damaligen AfD-Chef aus Aachen im Frankenberger Viertel und kritisierte dabei die Partei und deren fremdenfeindliche und rassistische Propaganda scharf. Schon im Oktober 2020 besuchte die Frau eine Kundgebung von „Querdenker/innen“ am Tivoli, an der auch Rechtsextremist/innen und AfD-Anhänger/innen bzw. -Funktionäre teilnahmen.

Eine entsprechende Versammlung im Kurpark Mitte November besuchte sie nur kurz, auch an dieser nahmen Rechtsextremist/innen und AfD-Mitglieder bzw. -Funktionär/innen teil. Abermals stand diese Frau am Samstag nun vor dem Elisenbrunnen als Gegnerin der Corona-Schutzmaßnahmen auf derselben Demonstration, an der erneut eine Reihe von AfD-Anhänger/innen und -Funktionär/innen teilnahmen bzw. ein AfD-naher Redner mit einer Nähe zur rechtsextremen Szene auftrat, der zudem Bücher mit fremdenfeindlich konnotierten Inhalten publizierte.

Der Ex-Funktionär von Die Linke nahm hingegen vor Monaten noch an einer Kundgebung der Seebrücke nach dem Brand in Moria teil, bei dem man einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen forderte. Am Sonnabend demonstrierte er erneut in Aachen auf demselben Platz mit Personen, die keine Flüchtlinge in Deutschland haben wollen und zuweilen offen für die „Remigration“ eintreten. Das ein Großteil der Partei Die Linke sein Handeln kritisch sieht, störte den Mann dabei lange äußerst wenig. Er hat – nachdem er sogar schon Ordner bei solchen Versammlungen war – erst Ende November sein Amt niedergelegt nach einem Beschluss, der sich gegen die Teilnahme an „Querdenker“-Demos richtete [2].

Antifaschist/innen bei „Querdenker/innen“ auch nur Rechtsradikale

Seit der großen „Querdenken“-Versammlung im Kurpark im November 2020 fanden in Aachen Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen meistens nicht mehr ohne spontane oder angemeldete Gegenaktionen statt. Meist trafen sich junge Menschen aus der antifaschistischen und linken Szene und demonstrierten am Rande gegen die „Querdenker“ und Anhänger/innen von Verschwörungsmythen die mit Rechtsextremen und Antisemiten in den eigenen Reihen keine Probleme haben. Gegen die Kundgebung mit Schulte demonstrierten rund dreißig Menschen.

Es kam zu teils hitzigen Wortgefechten zwischen diesen sowie „Querdenker/innen“. Zudem wurde ein Flugblatt verteilt, in dem konkret eigene radikale Ansichten oder aber Verbindungen des „Silberjungen“ in die rechtsextremen, fremdenfeindlichen, erzreaktionär-christlichen und antisemitischen Szenen dargestellt wurden. Teile jener Menschen, Gruppen und Organisationen, mit denen Schulte dabei in Verbindung gebracht wurde, werden vom Verfassungsschutz beobachtet.

Letztlich führte die Einladung Schultes selbst in lokalen „Querdenken“-Chats zu Debatten. Während sich einige Aktivist/innen gegen diesen Redner wegen dessen Biografie und Kooperationen aussprachen, verteidigten die meisten dessen Gastspiel sowie dessen politischen und verschwörungsideologischen Aktivitäten. Manche verbreiteten gar, die antifaschistischen Gegendemonstrant/innen seien an dem Tag die wahren „Faschisten“ und eigentlichen „Rechtsradikalen“ am Elisenbrunnen gewesen. (mik)

  • [1] Chris Ares war der bekannteste rechtsextremistische Rapper Deutschlands. Im September 2020 gab er seinen Ausstieg aus dem Musikgeschäft und seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit bekannt. Als Schulte mit diesem kooperierte und sich in Dortmund dazu äußerte, hatte der Musiker sich noch nicht zurückgezogen.
  • [2] Laut Partei trat der Mann, der lange dem Vorstand angehörte und seit Monaten an den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen – teils als Ordner – teilnahm, am 28. November 2020 zurück. Anlass dafür war eine Stellungnahme des Parteiverbandes wonach sich Mitglieder nach mehrfachen Vorfällen von diesen Demonstrationen nunmehr ernsthaft fern halten sollten.