Hohe Geldstrafe wegen Volksverhetzung: „Judenparteien“ nur eine Metapher?
Herzogenrath. Das Landgericht Aachen hat am 30. November einen 63-Jährigen aus Herzogenrath in zwei Fällen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt. Der Mann hatte zwischen Dezember 2016 und Januar 2017 in einer Vielzahl von Postings und Kommentaren im sozialen Netzwerk Facebook gegen Migranten, Geflüchtete und Politiker/innen gewettert. In dem Prozess wurde gleichwohl versucht, Rassismus anderen anzulasten und eine antisemitische Umschreibung zu relativieren.
Das Gros der seinerzeit verfassten Kommentare und Postings beurteilte die Kammer nicht. Das Amtsgericht konzentrierte sich in Erster Instanz auf vier Beiträge in dem sozialen Netzwerk. In welchem Tonfall der Angeklagte in jenem Zeitfenster kommentierte, zeigt ein Kommentar vom 23. Dezember 2016, den der heute 63-Jährige um 11.34 Uhr auf der Facebook-Seite von AfD-Ratsmann Markus Mohr aus Aachen hinterließ: „Die Judenparteien werden ihren Plan zur Destabilisierung Europas und zur Vernichtung Deutschlands gnadenlos fortsetzen, – der Widerstand muß vielfältig und phantasievoll daherkommen….“
Angeklagt war der Mann wegen dieses konkreten Beispiels nicht. Mohr, der seinerzeit dem völkischen „Flügel“ der AfD zugerechnet wurde, griff offenbar redaktionell ein und löschte oder sperrte diesen Beitrag bzw. Nutzer [1]. Dieser Kommentar ist heute nicht mehr auffindbar unter dem entsprechenden Posting des jetzigen AfD-Chefs von Aachen. Die Umschreibung „Judenparteien“ fand sich gleichwohl auch in einem der rechtlich zu bewertenden Kommentare bzw. Postings in der Anklageschrift wieder. Der Angeklagte selbst sagte am 30. November auf Nachfrage des Vorsitzenden, diese Aussage halte er nicht für antisemitisch.
Von den Grünen zu „Pro NRW“
Der Mann war in den 1990er Jahren nach eigenen Angaben Mitglied im Stadtrat von Herzogenrath für die Grünen. Er will sich in der Friedens-, Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung engagiert haben. Von den Grünen sei er dann zur ÖDP gewechselt. Allerdings änderte sich dann seine politische Gesinnung immer mehr. Vor Gericht wurde diese weitere Entwicklung jedoch weitestgehend ausgespart. Weder der Angeklagte, noch sein Anwalt oder der medizinische Gutachter – der im Prozess die biografischen Angaben des Angeklagten aus einem Gutachten wiedergab – wiesen darauf hin, dass der heute 63-Jährige sich in den letzten Jahren politisch sowohl im Umfeld von „Pro NRW“ als auch jenem der AfD bewegte [2].
Beruflich arbeitete der Mann zuerst beim Ordnungsamt, später im Museumsdienst Aachen. Dort sei er nach eigenen Angaben vor Jahren freigestellt worden. Unterlagen in den Gerichtsakten besagen, der Grund dafür sei ein gestörtes Betriebsklima mit Besucher/innen und Kolleg/innen. Der Mann sagte, diese Gründe seien vorgeschoben. Jedoch ist er zweimal in anderen Belangen schon verurteilt worden und in einem weiteren Falle ebenso mit der Polizei in Konflikt geraten. Bei Facebook ist der 63-Jährige weiterhin aktiv. Rund zwei Stunden nach seiner Verurteilung am 30. November teilte er dort eine Zitat-Kachel mit der Losung: „Niemand der gegen den Islam ist, ist ein ‚Rassist‘ [–] denn der Islam ist keine Rasse, sondern eine grausame, unzeitgemäße und völlig überholte Religion!“
„Untermenschen“ und „Judenparteien“
In dem Verfahren war der 63-Jährige in erster Instanz in drei Fällen wegen Volksverhetzung und in einem wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen angeklagt gewesen. Bei letztgenanntem hatte er mittels Bild die Diktatoren Josef Stalin, Adolf Hitler und Mao Zedong gezeigt und „Massenmörder“ genannt. Daneben hatte er Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen der Flüchtlingspolitik mit diesen Massenmördern in einen Kontext gesetzt. Da Hitler auf der Grafik eine Armbinde mit Hakenkreuz trug, hatte das Amtsgericht den Mann wegen Zeigens des verbotenen Symbols sowie wegen nur eines der drei zuerst angeklagten Hetzpostings zu einer Geldstrafe von 8.400 Euro verurteilt.
Dagegen waren der Strafverteidiger und die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen. Der Anwalt aus Niedersachsen, der selbst eine Nähe zum rechten politischen Spektrum hat, wollte einen Freispruch erreichen. Die Facebook-Beiträge seines Mandanten seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, denn dieser habe nur straffällig gewordene Migranten oder Flüchtlinge hart angegangen. Der widerliche Tonfall folge dabei in seiner Machart den widerlichen Taten. Die Staatsanwaltschaft wollte indes die Kommentare härter bestraft wissen.
Aufgerufen hatte der Herzogenrather zwischen Dezember 2016 und Januar 2017 in einer Vielzahl von Postings und Kommentaren im Internet etwa dazu, Widerstand zu leisten und sich zu bewaffnen. Die Bürger müssten sich selbst schützen und verteidigen. Migrant/innen hatte er als „minderwertige Bastarde“, „kriminelle Neger“, „Sozialschmarotzer“ und „Untermenschen“ bezeichnet. Der Zuzug von Migrant/innen und Asylbewerber/innen sei eine „Umvolkung“ und dubiose Kreise würden so eine „hellbraune Mischrasse“ in Deutschland herstellen wollen. Zugleich hatte er gegen die „Lügenmedien“ und gegen die „Judenparteien“ geschimpft.
„Hasstiraden“ oder der Rassismus anderer?
Der Staatsanwalt nannte das in seinem Plädoyer „widerliche Hasstiraden“. Der Verteidiger konterte, sein Mandant habe verbal nur Migranten angegriffen, die Straftaten begangen hätten. Dass die Anklagebehörde darin Rassismus zu erkennen glaube, läge vielleicht an falschen Interpretationen, was möglicherweise auf eigene rassistische Denkmuster fuße. Zuvor nach der Umschreibung „Judenparteien“ befragt, hatte er Angeklagte darauf auch mit anti-muslimischen Andeutungen geantwortet. Gegen Juden habe er nichts. Vielmehr seien Menschen die wahre Bedrohung, die in der Nähe des bzw. im Justizviertel lebten – gemeint waren offenbar Muslime und Migrant/innen aus dem arabischen Raum bzw. der Türkei – und die den Juden die Kippa vom Kopf schlagen würden.
Er sei zudem nur unbewaffnet aus dem Haus gegangen und in dieses Viertel gekommen, weil es „ans Gericht geht“. Den Begriff „Judenparteien“ habe er gewählt im biblischen Kontext, in dem die Juden auch als „Geldwechsler“ dargestellt seien. Es gehe den Parteien, die der Angeklagte meinte, nur ums „Geld scheffeln“. Diese Parteien machten die Armen ärmer und die Reichen reicher. In der Antisemitismus-Forschung gilt eine solche Umschreibung gleichwohl als antisemitisches Denkmuster. Die Nationalsozialisten hatten überdies die Weimarer Republik eine „Judenrepublik“ genannt.
Den kurios wirkenden Argumenten zum Rassismus vonseiten des Strafverteidigers und jenen zum Antisemitismus durch den Angeklagten folgte das Landgericht Aachen am 30. November indes nicht. Es verurteilte den 63-Jährigen angesichts zweier besonders radikal verfasster Kommentare wegen Volksverhetzung. Die Verwendung des Hakenkreuzes auf dem Bild mit Hitler, entschied die Kammer, habe allerdings dokumentarischen Charakter. Auch wenn manche Worte des Herzogenrathers an die Sprache der Nationalsozialisten erinnerten, sei das Bild mit Hitler, Stalin und Mao keine Verherrlichung der Nazizeit, so der Richter in seiner Urteilsbegründung. (mik)
- [1] Kopie und Screenshot befinden sich im Archiv des Autors.
- [2] Vertiefende Recherchen des Autors.